Rudi Nemeczek

Rudi Nemeczek: Was ich vom Leben gelernt habe

Seit 40 Jahren ist Rudi Nemeczek Frontmann der Wiener Band Minisex. Jetzt veröffentlicht der 63-jährige Musiker sein verschollenes Soloalbum „1994“. Nemeczek sagt im profil-Interview:

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„1994“ ist die Entdeckung eines Schatzes. Das Album war verschollen, die Rechte nicht geklärt. Die zehn Songs sind irrsinnig eingängig, haben selbstironische Texte und ein starkes Bekenntnis zur Melodie. Für mich ist „1994“ jetzt schon ein Evergreen, der teilweise wie Udo Jürgens auf Koks klingt. Auf „1994“ findet man keine Autotunes, keine Samples, nur super Texte, die ich gemeinsam mit Wolf Haas und Heli Deinboek geschrieben habe. Ich hoffe, dass die Menschen die Ironie, die in den Schlagern versteckt ist, erfreut. Man darf nicht vergessen: Die Songs sind 25 Jahre alt. Dass das nicht wie Deichkind kling, ist klar.

Der Rock’n’Roll stand immer für Aufbruchstimmung, wird aber heute auch gern von Menschen benutzt, die das Gegenteil von Aufbruch vermitteln. Das ist dann eine Welt, in der die Frau wieder das brave Dirndl am Herd ist und man zum Scheitelknien ins Eck geht. Nationalisten tun ja immer so, als würden sie Besitz an einem Land haben. Diese Tendenz spürt man in der Politik, aber auch bei sehr erfolgreichen Volks-Rock’n’Roll-Sängern. Gabalier, warum tust du uns so weh?

Das Lied „Stille Konsequenz“ habe ich für eine große Liebe geschrieben, die ich 24 Jahre nicht gesehen habe. Das Verrückte ist: nächstes Jahr werde ich sie heiraten. Das Lied handelt von einer Liebesbeziehung, die nicht sein darf, in der immer einer sagt: Geh weg – aber bitte komm her.

Ich kann zwischen Musikstilen vermitteln. Ich war mit Peter Alexander in einer Show und bin gleichzeitig beim Volksstimmefest der KPÖ im Wiener Prater aufgetreten. Ich bin ein bekennender Liebhaber von Brian Eno und dem Schlager von Christian Anders und Marianne Rosenberg. Das hört man auch auf dem neuen Album. Musikalisch begleiten mich David Bowie und Iggy Pop mein Leben lang. Vor ein paar Jahren habe ich auch Lemmy Kilmister und Motörhead lieben gelernt. Diese Kompromisslosigkeit ist faszinierend.

Ich liebe Wien. Aufgewachsen bin ich in Favoriten – und noch heute habe ich eine romantische Beziehung zu diesem Bezirk. Ich war immer der Prolet mit Matura, der sich mit allen möglichen Schichten verstanden hat, der sich mit dem Uni-Professoren unterhalten kann, aber auch mit den Schichtarbeitern in Favoriten. Die Matrosen, die einmal im Monat aus Hamburg heim nach Wien gekommen sind, habe ich geliebt. Dann hieß es Party und Radau im Pfarrjugendclub. Das war der Aufbruch der working class. Nach dem Motto: Wir erheben uns aus unserem Schicksal und sind stolz auf uns.

Rudi Nemeczek

Künstlerisch muss man mit der Axt durch die Wand gehen. Angst darf man keine haben. Ich bereue nichts und stehe zu allem. Die Gefahr, zur belächelten Kultfigur zu werden, gibt es immer. Minisex kam aus dem Wiener Underground – und plötzlich waren wir die Ö3-Lieblinge. In einem der zahlreichen Pop-Fanzines stand einmal der berühmte Satz: Der Nemeczek hat mit einem Tausender beim Würstelstand gezahlt.

Als Künstler muss man sich ironisch infrage stellen, sonst ist man nicht authentisch. Popmusik war für mich immer Ernsthaftigkeit mit Augenzwinkern. Ich habe jede Höhe und Tiefe des Musikgeschäfts durchlebt – von Anfeindungen bis Huldigungen kenne ich alles. 2016 habe ich mit der Musikerin Ankathie Koi beim Wiener Popfest „Maschin“ von Bilderbuch gecovert. Das geht heute alles zusammen.

Fotos: Philipp Horak

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.