Die Wiener Symphoniker

Wiener Symphoniker im Höhenflug

Unter Philippe Jordan sind die Wiener Symphoniker strahlender denn je.

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Ludwig van Beethoven sei "kein Titan und kein Denkmal", sondern schlicht ein Mensch. So sieht Philippe Jordan, der charismatische Chef der Wiener Symphoniker, jenen Komponisten, mit dem er sich derzeit am meisten beschäftigt. Er will nicht zu ihm aufschauen, sondern ihn "erleben", ihn für sein Publikum nahbar machen - ohne jede Anbiederung.

Wiens Sinfonieorchester, das in Musikverein und Konzerthaus ungleich öfter und vielfältiger präsent ist als die Philharmoniker, hat unter dem gefragten Maestro zuletzt einen veritablen Höhenflug hingelegt. Seit Herbst 2014 amtiert Jordan als Chef der Symphoniker, bis 2021 läuft der bereits verlängerte Vertrag. Genau so lange wird der 42-jährige Schweizer auch als Musikdirektor an der Pariser Opéra national engagiert sein. Gegenwärtig bereitet er an der Seite des Regisseurs Barrie Kosky zudem "Die Meistersinger" für die diesjährige Bayreuther Festspielpremiere Ende Juli vor. Jordan erarbeitet seine Großprojekte strategisch erstaunlich geschickt. Zunächst durchleuchtete er mit seinen Wiener Musikern "zum besseren Kennenlernen und Entwickeln eines spezifischen Klangbildes" alle Schubert-Sinfonien. Nun erobern sie sich die großen Bach-Chorwerke neu. "Dabei wollen wir nicht nur über Besetzung, Klang und Phrasierung nachdenken, sondern auch über Inhalte, über Drama, Aussage, Botschaft", erklärt Jordan.

Philippe Jordan ist einer der zentralen Dirigenten der jüngeren Generation, die mit Nikolaus Harnoncourts Originalklangerkenntnissen aufgewachsen ist, aber auch Herbert von Karajans strukturklaren Ansatz und Claudio Abbados inhaltliche Versenkung verinnerlicht hat. Der Sohn des Dirigenten Armin Jordan, der seine Profession als Repetitor und Kapellmeister in Ulm sowie als Daniel Barenboims langjähriger Assistent an der Berliner Staatsoper gelernt hat, weiß sehr genau, wie er vorgehen muss. In Paris, wo die unter einem Organisationsdach vereinten Häuser Palais Garnier und Opéra Bastille über zwei Orchester verfügen, stemmte er mit beiden - auch als pädagogische Maßnahme - je zwei Teile von Wagners "Ring des Nibelungen".

Beethoven-Zyklen von gestern und heute

Jordan hat die Konzertzahl an der Seine gesteigert - und dort bereits seinen ersten Beethoven-Zyklus absolviert. Es ist bemerkenswert, wie sehr diese neun, allesamt in Wien komponierten Sinfonien bis heute sowohl die traditionellen Orchester als auch neu gegründete Kammerformationen prägen und beschäftigen. Diese Musik ist ihr Nukleus, und jeder Musiker ergreift begierig die Gelegenheit, sie sich in einem Durchlauf neu anzuverwandeln.

Vor zwei Jahrzehnten produzierten die Wiener Symphoniker ihren letzten Beethoven-Zyklus, damals unter Wladimir Fedosseyev, stilistisch völlig anders als nun mit Jordan. In Wien haben sie die neue Sinfonienserie beinahe durch. Im Musikverein steht am 21. und 22. Juni nur noch die Neunte aus, die Jordan mit der Chorfantasie, auch "Kleine Neunte" genannt, kombinieren wird. Für das eigene Label wurde das Gros der Werke ebenfalls schon auf CD eingespielt. Im Herbst steht die Veröffentlichung der Ersten und Dritten Sinfonie an.

Die Verwertungskette funktioniert. In der kommenden Saison wird es den ganzen Komplex in Wien noch einmal geben, diesmal nach dem obligatorischen Silvester-"Götterfunken" an vier Tagen im Konzerthaus. Präzise vorbereitet und zusammengesetzt wurde das Projekt bei der kürzlich absolvierten China-Tournee. Den Höhepunkt markierte Shanghai, wo man zum ersten Mal alles hintereinander spielte: eine Premiere für Orchester und Stadt. "Das war so sportiv wie intensiv", sagt Philippe Jordan zufrieden. Auf seine üblichen Rituale - Espresso vorher und in der Pause, ein schnell gezischtes Bier unmittelbar nach dem ersten Applaus-Abgang - hätte Jordan da fast verzichten können, so berauscht waren sie hinterher alle, Musiker wie Chef.

Die Symphoniker haben Beethoven also erneut zum Thema gemacht, fast drei Jahre vor dem Jubiläumsjahr 2020, wenn der 250. Geburtstag des gebürtigen Bonners und Wahl-Wieners gefeiert wird. Für ein Wiener Orchester, noch dazu für das städtische, sind die neun Sinfonien die ewige, absolute Herausforderung. Ob es im Orchester noch Nachfahren Beethovens gebe, wurde auf der Pressekonferenz in Shanghai gefragt. Wir schließen es nicht aus, gab sich Intendant Johannes Neubert diplomatisch. Plastisch ziseliert, elegant balanciert, so dirigiert Philippe Jordan diese neun Werke - grundsätzlich auswendig, aber jedes mit anderem Ansatz. Dabei pressen auch die erfahrensten Musiker die Lippen zusammen und rücken auf ihren Stühlen nach vorn. Beethoven fordert alles, das ist kein Sturm-und-Drang-Rauschen. Moderne steckt bei Jordan im liebevoll modellierten Detail. Und man spürt sofort: Jordan und sein Orchester sind im Spiel und in den Aufnahmesitzungen äußerst Beethoven-affin geworden. Sie wissen, was sie wollen, reagieren unmittelbar. Jordans Gestik ist knapp, das Orchester folgt präzise und geschlossen, mit viel Freiheit im Spiel.

Das ist besonders in der dramaturgisch stringenten "Eroica" zu hören, die exakt so gelingt, wie Jordan es wollte: menschlich, nicht heroisch, präsent, nicht gehetzt, die vielen innovativen Details auskostend - etwa das Spiel mit Synkopen -, aber diese nicht ausstellend. Diese Dritte Sinfonie hat Fluss und Funken, nichts wirkt ostentativ, erzwungen, überspitzt. Jordan geht einen goldenen Mittelweg: Vertrautes mischt sich mit Neuem, melodisch, strukturiert, nie die großen Bögen vernachlässigend. Ein Hörgenuss. Der Symphoniker-Kraftakt hat sich ausgezaht -nicht nur in Shanghai, wo ein junges Publikum, sogar kleinste Kinder darunter, erst aufmerksam lauschte, um sich hinterher wie im Stadion jubelnd Luft zu machen und noch eine Zugabe zu erklatschen. Jordan freut sich: "Wir haben unsere Arbeit für 2020 somit gemacht, wollen uns dann auf anderes konzentrieren." In der folgenden Saison etwa auf Bruckner, den er mit Zeitgenössischem paaren wird. Kein Zweifel: Die Wiener Symphoniker sind wieder da, sie erscheinen präsenter denn je. Mögen die Philharmoniker kommen; denn auch die wollen bis zu Beethovens 250. Geburtstag einen sinfonischen Durchmarsch vollenden - mit Andris Nelsons am Pult. Sie werden sich diesmal, bei derart starker, lokaler Konkurrenz, anstrengen müssen.

Zukunftsmusik

Die kommenden Beethoven- Konzerte und Veröffentlichungen der Symphoniker.

Die nächsten Beethoven-Termine Philippe Jordans in Wien sind am 21. und 22. Juni; damit wird der erste Zyklus mit der Neunten im Musikverein zum Abschluss kommen. Der zweite Anlauf startet im Konzerthaus am 30. und 31. Dezember sowie am 1. Jänner 2018 mit der bei den Symphonikern obligatorischen Neunten Sinfonie zum Jahreswechsel, diesmal ergänzt um die Zweite. Dann geht es in drei weiteren, jeweils einmal wiederholten Konzertschritten bis zum 21. Jänner weiter. Wer nicht auf die erste Beethoven-CD mit der Ersten und der Dritten Sinfonie im Herbst warten will, dem sei für den kleinen Phantomschmerz zwischendurch das frisch auf Silberscheibe vorliegende "Frühling in Wien"-Programm unter Manfred Honeck empfohlen: eine süffige Walzer-Bonbonniere. Carl Michael Ziehrers vom Orchester gepfiffene "Weana Mad'ln" ist übrigens bereits in der Symphoniker-Telefonschleife zu hören.