Filmfestspiele in Cannes 2019: Widerstand in mörderischen Zeiten.

Filmfestspiele in Cannes 2019: Widerstand in mörderischen Zeiten

Tagebuch aus Cannes 2019 (III): Terrence Malicks Blick auf den Antifaschismus des Oberösterreichers Franz Jägerstätter.

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Der Widerstandsgeist eines Mannes, der im August 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet wurde, wird in „A Hidden Life“ dramatisch beschworen – und man kommt nicht umhin, in dieser Erinnerung an Franz Jägerstätters konsequent antifaschistische, politisch unmissverständliche Haltung auch einen bitteren Kommentar zur politischen Gegenwart zu lesen.

Der legendäre und menschenscheue US-Regisseur Terrence Malick („Days of Heaven“, „Badlands“, „Tree of Life“), der übrigens wenige Wochen nach Jägerstätters Tod geboren wurde, beschwört in seinem bildmächtigen Jägerstätter-Requiem den Untergang einer paradiesischen Welt, eines Bergbauerndorfs im oberösterreichischen St. Radegund. Der Film kam nun, nach Jahren der Schnittarbeit, endlich zur Uraufführung, im Wettbewerbsprogramm des laufenden Festivals in Cannes. Malicks erst zehnte abendfüllende Regiearbeit, veröffentlicht genau ein halbes Jahrhundert nach seinem Kurzfilmdebüt („Lanton Mills“), ist ein wuchtiges, symphonisches Werk geworden, das – gemessen an früheren Werken dieses Künstlers – erstaunlich linear erzählt ist; allerdings inszeniert Malick sein Drama in verschwenderischen, aus der Hand gedrehten, oft schwindelerregenden Bildern, bewusst nicht-ökonomisch und anti-industriell, fernab klassischer Hollywood-Dramaturgien.

Den Einbruch des Nationalsozialismus in das ländliche Idyll beschreibt Malick als fast körperliche Erfahrung, als Kontrapunkt zur harten Landarbeit, die er ausführlich nachzeichnet: die Arbeit mit der Erde, den Tieren, der Natur. Die „Heimattreue“ und der Militarismus der Nazis stehen dazu in markantem Gegensatz. Jägerstätter wird verhaftet, weil er sich weigert, den Eid auf Hitler zu leisten, wird deportiert und gefoltert, muss seine Frau Franziska und die drei kleinen Töchter allein lassen, weicht aber nicht von seiner – aus dem Glauben geschöpften – Überzeugung ab. Detailliert und mit nahezu gleichgroßer Aufmerksamkeit skizziert Malick auch die Schicksalsjahre der Frau Franz Jägerstätters, die 2013 (als Hundertjährige!) starb. Die letzte Stunde des Films gehört dem Tribunal, das den Verweigerer zum Tode verurteilt, einem letzten Wiedersehen der Liebenden und der Vollstreckung des Urteils.

Die Besetzung ist bemerkenswert: Der Deutsche August Diehl und die Österreicherin Valerie Pachner überantworten sich der Darstellung des tragischen Paars mit Verve und Konzentration. Bruno Ganz lässt als NS-Richter noch einmal, in einem seiner letzten Auftritte, das Charisma spielen, der fabelhafte Franz Rogowski als Jägerstätter-Freund seine träumerischen Qualitäten. „A Hidden Life“, eine deutsch-amerikanische Koproduktion, wurde großteils in Italien, zum Teil aber auch in Österreich und mit vielen heimischen Schauspielkräften gedreht (in größeren Nebenrollen: Karl Markowics, Tobias Moretti); aber Jörg Widmers manieristische Kameraarbeit ist der eigentliche Star dieses Films: Die Bilder tanzen, schwanken, zittern in Untersichten, Nahaufnahmen und Weitwinkelperspektiven.

Tatsächlich ist „A Hidden Life“, auch wenn man über das Pathos lamentieren mag, das durch die fast ununterbrochene Orchesterbegleitung James Newton Howards mobilisiert wird, erneut als radikal persönliches Statement zu verstehen, als Hymne an die Überwältigungskraft eines physischen Kinos – und an die äußerste Notwendigkeit oppositionellen Handelns in totalitären Zeiten.

Stefan   Grissemann

Stefan Grissemann

leitet seit 2002 das Kulturressort des profil. Freut sich über befremdliche Kunst, anstrengende Musik und waghalsige Filme.