"Der Kugel ist es egal, wohin sie rollt"

Philosoph Liessmann: "Der Kugel ist es egal, wohin sie rollt"

Der Philosoph Konrad Paul Liessmann über Glücksspiel, Sucht und Eva Glawischnig.

Drucken

Schriftgröße

Interview: Angelika Hager

profil: Wie verwerflich ist es aus moralischer Sicht, dass der Staat vom Glücksspiel profitiert, gleichzeitig aber auch mit erhobenem Zeigefinger davor warnt? Liessmann: Seit dem 19. Jahrhundert wird darüber heftig diskutiert, das Thema war damals sehr stark von der Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie bestimmt. Ich erinnere mich an eine frühe Diplomarbeit, die ich über das Leben der Dienstboten in jener Zeit schrieb. Es wurde damals ein hitziger Diskurs geführt, ob es Dienstmädchen überhaupt erlaubt sein sollte, Lotto zu spielen, oder ob man sie nicht besser dazu anhalten sollte, zu sparen und langsam ihre Existenz zu verbessern, anstatt auf das rasche, große, aber ungewisse Glück zu setzen. Ein Glücksspiel, das in der Illegalität stattfindet, will keiner. Deswegen ist ein staatlich strukturierter Rahmen dafür der einzig gehbare Weg.

profil: Oft stellt das Glücksspiel für eine einkommensschwache Schicht die einzige Möglichkeit dar, auf legalem Weg ihr Leben verbessern zu können. Liessmann: Natürlich stellt das Glücksspiel für die unterprivilegierte Schicht einen besonderen Reiz dar: Alles scheint möglich. Aber es gewinnt immer nur der Betreiber. Darüber hinaus hat es auch eine Entmündigungsfunktion: Indem ich mich dem blinden Zufall ausliefere, vertraue ich nicht mehr auf meine eigenen Leistungen, sondern entlaste mich von jeder Eigenverantwortung. Da der Zufall blind ist, regiert hier allerdings eine egalitäre Form von Gerechtigkeit: Der Kugel ist es völlig egal, wohin sie rollt und wem dann das Glück lacht – einem Millionär oder einer Grünen.

Der Fall Glawischnig hat mich überhaupt nicht überrascht.

profil: Womit Sie das Stichwort für die aktuelle Debatte geliefert haben. Steht es der Ex-Grünen Eva Glawischnig aus moralphilosophischer Sicht frei, sich in den Sold eines Konzerns zu stellen, gegen den sie bis vor Kurzem auf die Barrikaden gegangen ist? Liessmann: Ich verfechte einen sehr starken Freiheitsbegriff, der in der modernen Philosopie eine zentrale Rolle spielt. Die politische Freiheit, wie wir sie seit der Französischen Revolution und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung kennen, transformierte Freiheitskonzepte in Menschenrechte: in Form des Rechts auf Meinungsäußerung, freie Wahl des Berufs, Wohnorts, der Religionszugehörigkeit etc.

profil: Heißt das, dass Sie Glawischnig exkulpieren? Liessmann: Natürlich hat sie die Freiheit, zu tun, was sie will. Abgesehen davon hat mich der Fall Glawischnig überhaupt nicht überrascht. Ähnlich gelagerte Fälle sind in Deutschland der Ex-Kanzler Gerhard Schröder oder bei uns Alfred Gusenbauer mit seinen Beratungstätigkeiten. Die Frage, die sich in all diesen Fällen stellt: Dürfen oder sollen politische Überzeugungen jederzeit austauschbar sein? Sind Politiker wie Manager, die, sobald sie einen Sportschuhkonzern leiten, die Interessen der Läufer und Wanderer vertreten, und bei einem Jobwechsel in die Erdölbranche nur mehr von Verbrennungsmotoren und dem Individualverkehr schwärmen? Oder hat Politik mit Überzeugungen zu tun, die tiefer gehen?

Sucht und jede Abhängigkeit ist ja die größte Form der Unfreiheit.

profil: Gegenfrage: Ist Moral in der Politik zu einem naiven Luxus und damit auch überflüssig geworden? Liessmann: Die Vorstellung, dass Politik mit moralischem Engagement und Überzeugen zu tun hat, erodiert zunehmend. Das schadet natürlich besonders solchen Bewegungen wie den Grünen und auch den Sozialdemokraten, die in ihren Wahlbroschüren gerne mit dem großen moralischen Gestus auftreten, immens. Und bei Glawischnig, die sich immer als Supermoralistin inszeniert und Novomatic – zu Recht – scharf kritisiert hat, ist dieses Erodieren eben besonders auffällig.

profil: Wie weit darf oder soll sich der Staat in das Freizeit- und Genußverhalten seiner Bürger einmischen? Liessmann: Ich unterscheide prinzipiell zwischen der staatlichen Regelung der Verhältnisse der Menschen untereinander und der Einmischung in das, was der Einzelne mit sich tut oder sich auch selbst antut. Wenn durch die Verhaltensweisen eines Einzelnen andere in Mitleidenschaft gezogen werden, ist es legitim, dass der Staat sich involviert, indem er Verbote ausspricht oder Dinge erschwert. Nur bin ich in Vertretung meines Freiheitsbegriffs strikt dagegen, dass Menschen, die sich die Freiheit der Selbstschädigung nehmen, gleichzeitig beanspruchen, dass die Gesellschaft dann für die Therapien aufkommt und die Reparaturkosten übernimmt.

profil: Suchterkrankungen sind aber häufig keine Charakterschwäche, sondern haben mit der biochemischen Programmierung eines Menschen zu tun, auch genetische Vorbelastung und Kindheitserfahrungen spielen eine Rolle. Liessmann: Das spricht Menschen aber von der Verantwortung nicht frei, ihre Rahmenbedingungen zu ändern. Sucht und jede Abhängigkeit ist ja die größte Form der Unfreiheit. Wenn ein Mensch also weiß, dass sein Dopaminhaushalt ihn für Suchtverhalten anfällig macht, kann er sich auch weniger schädliche Surrogate suchen – zum Beispiel Kunst sammeln.

Konrad Paul Liessmann, geboren 1953, unterrichtet seit 1995 am Institut für Philosophie an der Universität Wien; seit 2014 leitet er dort den Universitätslehrgang Philosophische Praxis. Liessmann hat zahlreiche Beiträge und Publikationen mit dem Schwerpunkt Bildung sowie Kunst- und Kulturphilosophie verfasst, zuletzt: "Bildung als Provokation" (Zsolnay Verlag).

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort