Die kalte Progression ist nicht so kalt wie gedacht

Obwohl die kalte Progression wahrlich keinen guten Ruf genießt, haben die Arbeitnehmer über Umwege von ihr profitiert, zeigen Berechnungen der WU.

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Es gibt Forderungen, bei denen sind sich alle maßgeblichen politischen Kräfte einig. Zum Beispiel bei der Abschaffung der sogenannten kalten Progression. Dafür votiert die schwarz-blaue Regierungskoalition ebenso wie die oppositionelle SPÖ, die NEOS ebenso wie Gewerkschaftsbund und Industriellenvereinigung.

Der Hintergrund

Je mehr unselbstständig Erwerbstätige verdienen, desto mehr Lohnsteuer zahlen sie ans Finanzamt. Wenn die Löhne um die jährliche Inflationsabgeltung steigen, rücken immer mehr Steuerpflichtige in höhere Tarifstufen vor. Die Beschäftigten müssen also auf ihr Gehalt höhere Steuern zahlen, obwohl dieses de facto gar nicht gestiegen ist.

Abschaffung der kalten Progression 2023

Die Regierung hat kürzlich die Abschaffung der kalten Progression angekündigt, wenn auch erst im Jahr 2023, also in der nächsten Legislaturperiode. Von dann an soll laut FPÖ-Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs (Foto) eine Art Automatismus zum Einsatz kommen (der sogenannte Tarif auf Rädern). Grundgedanke der geplanten Reform: Die Inflation wird bei der Berechnung der Lohnsteuer mitberücksichtigt. Steigt sie, zahlt der Arbeitnehmer automatisch im selben Ausmaß weniger Lohnsteuer.

Was gut klingt, hat einen Haken, wie Berechnungen zweier Ökonomen von der Wiener Wirtschaftsuniversität (WU) zeigen. Sie wecken Zweifel, ob die Beschäftigten letztlich wirklich die Gewinner einer solchen Reform wären.

Worum geht es?

In schöner Regelmäßigkeit finden in Österreich Steuerreformen statt. In deren Rahmen wird meist auch die Lohnsteuer ein Stück gesenkt, sonstige Entlastungen für Arbeitnehmer werden beschlossen. Die diesbezüglich letzten Reformen gab es im Jahr 2005 (unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel) sowie 2009 und 2016 (beide unter SPÖ-Kanzler Werner Faymann).

Mehrheit der Arbeitnehmer profitierte von Reformen

Vanessa Lechinger und Mathias Moser vom WU-Forschungsinstitut „Economics of Inequality“ haben berechnet, was gewesen wäre, hätten die damaligen Entlastungen nicht stattgefunden – weil stattdessen der automatische Ausgleich der kalten Progression zum Einsatz gekommen wäre. Ergebnis: Die Mehrheit der Arbeitnehmer profitierte von den Reformen deutlich mehr als von einem etwaigen Ausgleich. „Das Entlastungsvolumen der Steuerreformen ist im Aggregat größer als die Verluste durch die kalte Progression“, sagt Vanessa Lechinger. Vor allem infolge der Reform 2016 fiel die Entlastung ordentlich aus – laut den WU-Berechnungen fast doppelt so hoch wie die kalte Progression.

In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten hätte es sich also für die Arbeitnehmer als Verlustgeschäft entpuppt, hätte es keine Lohnsteuerreformen gegeben, sondern einen automatischen Ausgleich der kalten Progression. Freilich: Das muss nicht auf ewig so sein. „Eine Steuerreform könnte auch weniger Entlastung für die Lohnsteuerpflichtigen ergeben, als ein Tarif auf Rädern bringen würde“, sagt der Steuerexperte Peter Brandner vom Thinktank Weis[s]e Wirtschaft in Wien. „Das hängt ganz vom jeweiligen budgetären Spielraum und politischen Willen ab.“ Heißt: Beim Ausgleich der kalten Progression bekommt man möglicherweise zwar weniger als durch etwaige Steuerreformen – ist aber eher auf der sicheren Seite.