SERGEJ MAGNITSKY: Der Steuerexperte kam unter mysteriösen Umständen ums Leben.

Magnitsky-Affäre: Justiz geht Anzeige nicht nach

Mitte 2019 verwarf die Staatsanwaltschaft eine große Geldwäsche-Anzeige ohne Ermittlungsverfahren: „kein Anfangsverdacht“. Nun fördern Recherchen Erstaunliches zutage.

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Man sieht Geld nicht an, ob es aus einer Straftat stammt und gewaschen wurde. Aber es gibt Warnsignale. Man muss allerdings genau hinsehen. Und so weit ist die österreichische Justiz in einem besonders heiklen Fall – allem Anschein nach – nie gekommen.

profil liegt ein Schriftsatz der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vom 14. Juni 2019 vor, in dem diese festhält, dass sie in Bezug auf eine Ende Februar 2019 von der britischen Fondsfirma Hermitage Capital eingebrachte Anzeige kein Ermittlungsverfahren einleiten werde. Hermitage äußerte – zusammengefasst – den Verdacht, dass über österreichische Banken umgerechnet 967 Millionen US-Dollar gewaschen worden sein könnten. Rund 634 Millionen US-Dollar seien auf Konten bei der Raiffeisen Zentralbank (nunmehr Raiffeisen Bank International) geflossen. Die RBI und alle anderen Banken haben sämtliche Vorwürfe immer bestritten.

Hermitage folgt seit mehr als zehn Jahren der Spur des Geldes aus einem Kriminalfall, bei dem Betrüger in Russland Steuerrückzahlungen von umgerechnet 230 Millionen US-Dollar ergaunert haben. Sie verschoben das Geld über Briefkastenfirmen ins Ausland. Sergej Magnitsky, ein Steuerexperte einer für Hermitage arbeitenden Anwaltskanzlei, soll versucht haben, die Vorgänge aufzudecken, dabei aber involvierten Beamten zu nahe gekommen sein. Er landete selbst in Untersuchungshaft und kam unter mysteriösen Umständen ums Leben.

Ermittlungen in zahlreichen Staaten

Hermitage erstattet nun Anzeigen in Staaten, in denen Geld aus dem Briefkasten-Netzwerk gelandet ist. Die ursprünglichen 230 Millionen Dollar sollen über viele Stationen hinweg mit anderen Geldern gemischt worden sein. In zahlreichen Staaten wurden Ermittlungen gestartet – nicht in Österreich.

Im profil vorliegenden WKStA-Schriftsatz steht, dass nicht einmal ein „Anfangsverdacht“ vorliege. Die Justiz sieht im Betrugsfall in Russland ein Steuerdelikt – und ein solches scheide in Österreich als „Vortat“ für Geldwäsche aus, jedenfalls zur Zeit der meisten angezeigten Transaktionen. Der mangelnde Anfangsverdacht gelte „sinngemäß auch für die Inhaber der Sender- und Empfängerkonten“.

Wie profil vorliegende Informationen zeigen, handelt es sich bei einem dieser Kontoinhaber um Kresimir F. aus Kroatien. Auf sein Konto bei einer kleinen österreichischen Bank flossen rund 2,5 Millionen Euro von einer Mayco Finance Holdings Limited mit Sitz in der Karibik und Konto bei der Ukio Bank in Litauen. Als Überweisungsgrund war ein Kaufvertrag für zwei Wohnungen in Zagreb angeführt. Wie die slowenische Investigativplattform „Ostro.si“ und das „Organized Crime and Corruption Reporting Projekt“ (OCCRP) vor wenigen Tagen mit Verweis auf das kroatische Grundbuch und das Rechercheprojekt „Ukio Leaks“ (an welchem auch profil beteiligt war) berichteten, soll es sich dabei jedoch um ein Scheingeschäft gehandelt haben. Ein weiterer Kroate namens Sinisa C. wiederum erhielt von Mayco insgesamt rund 5,7 Millionen Euro auf zwei österreichische Bankkonten – laut „Ostro“ und „OCCRP“ für den Verkauf einer Villa, der niemals stattgefunden hatte, sowie aus einem Kredit, der anscheinend niemals zurückgezahlt wurde. „Ostro“ bringt F. und C. mit dem einflussreichen kroatischen Geschäftsmann Mihajlo Perencevic in Verbindung, ohne ihm in Bezug auf diese Transaktionen etwas vorzuwerfen. Dieser habe eine Anfrage unbeantwortet gelassen.

Mayco-Überweisungen von rund 14,8 Millionen Euro

Die Überweisungen an F. und C. – und weitere Mayco-Zahlungen – hat Hermitage im Rahmen der Anzeige als Teil einer umfangreichen Transaktionsliste vorgelegt. Insgesamt belaufen sich die Mayco-Überweisungen auf rund 14,8 Millionen Euro. Damit ist Mayco viertgrößter Zahlungsabsender. Sinisa C. wiederum findet sich unter den Top-20-Empfängern.

Die österreichische Justiz wird jedoch – ungeachtet der mutmaßlichen Scheingeschäfte – auch weiterhin keine Ermittlungen starten. Die WKStA teilt mit, dass die angezeigten Transaktionen „auf ihre strafrechtliche Relevanz hin geprüft“ worden seien und sich an der „rechtlichen Beurteilung“ nichts ändere. Im Regierungsprogramm hat die türkis-grüne Koalition eine „Ausbildungsoffensive im Zusammenhang mit ‚Geldwäsche‘ für die Strafjustiz“ angekündigt. Der aktuelle Fall zeigt: Ohne Änderungen, was die sehr rigide gehandhabte Vortat-Problematik angeht, dürfte die beste Ausbildung wenig nützen.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).