Ökonom Andrew Keen über Silicon Valley

Andrew Keen: "Eine elitäre Gruppe junger weißer Männer"

Interview. "Eine elitäre Gruppe junger weißer Männer"

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profil: Herr Keen, Sie sind der Überzeugung, dass viele Start-up-Gründer im Silicon Valley zwar glauben, mit ihren Entwicklungen die Welt zu verbessern, aber eigentlich gar nicht wüssten, was sie da tun.
Andrew Keen: Nehmen wir als Beispiel Mark Zuckerberg - er glaubt wahrscheinlich wirklich, dass er mit Facebook der Menschheit einen Gefallen getan hat, da sich so jeder mit jedem vernetzen kann. Aber in Wahrheit profitiert vor allem er davon, da er so Unmengen an Daten sammeln kann. Und im Grunde ist Zuckerberg ein Uni-Abbrecher, der viel zu wenig Erfahrung sammeln konnte und gar nicht begreifen kann, welche Verantwortung er trägt und wie nachhaltig er die Welt verändern kann.

profil: Fehlt dem Sillicon Valley also eine Art moralischer Überbau?
Keen: Auf alle Fälle. Es sei jetzt dahingestellt, wie ein solcher aussehen könnte, aber diese jungen Menschen haben oft nur eine technische oder wirtschaftliche Ausbildung und müssen unbedingt lernen, die sozio-kulturellen Auswirkungen ihres Handelns zu reflektieren. Sie müssen auch begreifen, dass sie eine Vorbildwirkung haben. Es darf nicht sein, dass Jungunternehmer von einem Tag auf den anderen berühmt werden - und sich dann so aggressiv und rüpelhaft benehmen wie der Uber-Manager Emil Michael, der sogar öffentlich erklärt hat, dass er kritische Journalisten fertigmachen will.

profil: Es gilt das Prinzip "The Winner Takes It All“.
Keen: Das ist leider wahr, wie wir am Beispiel von Amazon deutlich gesehen haben. Viele kleine Buchhandlungen mussten mittlerweile zusperren. Nun ist der Konzern so mächtig, dass die Verlage ihm völlig ausgeliefert sind; er kann sie alle mühelos unter Druck setzen. Nicht einmal die erschreckenden Berichte über die Ausbeutung von Lagerarbeitern haben dem Erfolg geschadet. Mit dem App-basierten Fahrdienst Uber verhält es sich ähnlich; er wird die Taxibranche weltweit verändern.

profil: Doch wie verhält es sich bei einem Unternehmen wie Airbnb? Es wird ja gerade wegen seiner dem Tauschhandel ähnlichen Ideologie gelobt.
Keen: Natürlich klingt es verlockend, dass jeder sein Apartment vermieten oder preiswerte private Übernachtungsmöglichkeiten finden kann. Kleine Hotels leiden jetzt schon unter Airbnb, und ich befürchte, dass am Ende nur noch große Ketten übrigbleiben. Was passiert mit all den Mitarbeitern, die ihre Jobs verlieren? Aber auch für die Nutzer ergeben sich Nachteile: Wer bezahlt Ihnen den Schaden, wenn jemand in ihrer durch Airbnb vermieteten Wohnung randaliert? Wer seine Wohnung Fremden weitervermietet, weiß nicht, worauf er sich einlässt, und ist rechtlich nicht geschützt. Außerdem kann die Allgemeinheit auf keinen Fall profitieren, da keine Steuern bezahlt werden. Diese liberale Peer-to-Peer-Idee, die jedem Vorteile bringt, klingt schön - doch in Wahrheit werden wir ordentlich über den Tisch gezogen. Nicht einmal Google meint es mit der Google-Brille oder mit den selbstfahrenden Autos gut mit uns. So können sie nur mehr Daten sammeln. Im Moment profitiert von unserer hypervernetzten Welt nur eine elitäre Gruppe von jungen weißen Männern.

profil: Aber wie könnte eine funktionierende Regulierung aussehen?
Keen: Leider gibt es kein Patentrezept, das dieses Problem lösen könnte. Natürlich sind die Regierungen gefordert, hier einzugreifen. Das heißt etwa, endlich dafür zu sorgen, dass Airbnb-User Steuern zahlen. Es müssen auch die einzelnen privaten Firmen mehr zusammenarbeiten. So hätten Filmfirmen gemeinsam in der Vergangenheit viel wirksamer gegen Internetpiraterie vorgehen können. Letztendlich muss aber auch die Gesellschaft begreifen, dass das Internet nicht nur Rechte und Möglichkeiten, sondern auch Verantwortlichkeiten bringt. Alleine der Umgangston auf manchen Plattformen ist schauderhaft. Von Cybermobbing unter Jugendlichen will ich gar nicht anfangen.

profil: Müsste sich das Bildungssystem mehr dieses Problems annehmen?
Keen: Ja, aber es ist doch immer einfach, alles den Lehrern umzuhängen. Wir brauchen generell eine Reform des Schulsystems, das noch immer auf Werten des 19. Jahrhunderts beruht und auf Disziplinierung setzt. Heute ist in der Berufswelt vor allem Kreativität gefragt - aber wie soll das unterrichtet werden? Wir stehen also vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen.

profil: Glauben Sie, dass das digitale Glücksrittertum im Silicon Valley ein Ende finden wird? Es wird ja allseits gemunkelt, dass sich bereits die nächste große Dotcom-Blase aufbläht …
Keen: Es ist wirklich verrückt, in welchen Größenordnungen Start-ups gehandelt werden. Airbnb liegt bei 13 Milliarden, Uber wird sogar auf 19 Milliarden Dollar geschätzt. Wie es dann aber aussieht, wenn ein Unternehmen wirklich an die Börse geht, haben wir bei Facebook gesehen - es war eher enttäuschend. Ich denke, dass die Finanzbranche aus der Dotcom-Blase gelernt hat und eine Silicon-Valley-Blase eher implodieren als explodieren würde. Die Investoren würden Geld verlieren, aber den weltweiten Finanzmarkt wird das nicht beeinflussen.

profil: Wie wird sich das Internet in den nächsten 25 Jahren weiterentwickeln?
Keen: Viele Firmen wie Facebook werden irrelevant geworden sein. Das Internet der Dinge wird vielleicht schon Realität sein, so wie selbstfahrende Autos; und eventuell hat jeder dann einen 3D-Drucker zu Hause, was wiederum sämtliche Hersteller in die Krise stürzen könnte. Google investiert enorm viel in die Forschung künstlicher Intelligenz, und es wird spannend, was dieses Feld bringen wird. Auf alle Fälle werden über das Internet jetzt die Weichen für die weitere Entwicklung der Menschheit gestellt. Bislang haben wir versagt, diese in die richtige Richtung zu lenken.

INTERVIEW: TINA GOEBEL

Andrew Keen, 54

Der britische Historiker und Ökonom lehrte an mehreren amerikanischen Universitäten und gründete selbst 1995 ein erfolgreiches Internet-unternehmen im Silicon Valley. Internationale Bekanntheit erlangte er als Autor und Vortragender. Er zählt zu den weltweit einflussreichsten Kritikern des Internets.

Andrew Keen, Das digitale Debakel

Warum das Internet gescheitert ist - und wie wir es retten können, Deutsche Verlags-Angstalt, 320 Seiten, 19,99 Euro

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