"Bedingungsloses Grundeinkommen": Bestechende Idee, viele offene Fragen

Finnland testet es, Frankreich verspricht es, die Schweiz lässt darüber abstimmen: Die Idee eines "Bedingungslosen Grundeinkommens“ begeistert die Öffentlichkeit und beschäftigt zunehmend auch Europas Politiker. Über eine bestechende Idee, bei der noch viele Fragen offen sind.

Drucken

Schriftgröße

Am 1. Jänner 2017 wurde Juha Järvinen, ein 38-jähriger arbeitsloser Finne aus einer Industriestadt im Westen des Landes, endlich zum freien Menschen.

Seit diesem Tag ist Järvinen einer von 2000 Finnen, die von der Regierung des Landes per Zufallsprinzip für ein einzigartiges Experiment ausgewählt wurden. Zwei Jahre lang erhält er nun ein "Bedingungsloses Grundeinkommen“ (BGE). Es sind 560 Euro monatlich. Diese Summe ist zwar kaum höher als Järvinens bisherige Arbeitslosenunterstützung. Aber im Gegensatz dazu fließt das Geld bedingungslos. Was immer Järvinen tut - ob er neue Arbeit findet, sich als Selbstständiger versucht oder auf alle Auflagen des Job-Centers pfeift - die 560 Euro bekommt er fix.

Dieser Tage gibt Järvinen in internationalen Medien Interviews. Eigentlich bleiben die Teilnehmer des Experiments anonym, doch er ist an die Öffentlichkeit getreten. Er berichtet, wie sich das Grundeinkommen auf sein Leben auswirkt. Zum Beispiel dass er jetzt seine selbstgefertigten Holzschnitzereien über das Internet verkaufen könne. Zuvor hätte ihm das Arbeitsamt bei Zusatzverdiensten sogleich die Unterstützung gestrichen. Es gehe ihm heute viel besser durch das Grundeinkommen, sagt Järvinen.

Debatte über BGE in Öffentlichkeit angekommen

All das klingt nach keiner großen Angelegenheit. Doch Järvinen steht für etwas. Das Grundeinkommen, das an jeden bedingungslos ausgezahlt werden soll, gilt für immer mehr Menschen als vielversprechende Idee, für die es sich zu kämpfen lohnt. Eine Idee, die in eine Zeit passt, in der Europas Politiker keine Antwort finden auf jahrelange Wirtschaftskrisen und rasant gestiegene Arbeitslosenzahlen. Vor ein paar Jahren noch interessierte sich lediglich ein kleiner Kreis wissenschaftlicher Sektierer für das BGE. Heute ist die Debatte in der breiten Öffentlichkeit angekommen. In einer Zeit voller schlechter Nachrichten hat Juha Järvinen eine gute zu verkünden.

Befürworter sehen im BGE einen Ausweg aus prekären Jobverhältnissen. Eine Emanzipation von der ermüdenden Fixierung auf den Arbeitsmarkt, der ja doch längst nicht mehr Vollzeitstellen für alle parat hat. Einen Weg zu mehr per sönlichem Glück und Selbstständigkeit. Oder, wie es einer von vielen Bloggern im Internet zum Thema ausdrückt, "ein positives Gesellschaftsmodell, das nicht auf Neid und Missgunst aufbaut, sondern auf individueller Entscheidungsfreiheit ohne Existenzängste“.

Die Politiker reagieren auf das öffentliche Interesse. Nicht nur in Finnland, auch in Kanada und den Niederlanden erwägt man ein BGE. In der Schweiz sprachen sich bei einer Volkbefragung vergangenen Sommer immerhin 23 Prozent für dessen Einführung aus, obwohl die Idee noch immer weithin als utopisch gilt. In Frankreich verspricht Benoît Hamon, Kandidat der sozialistischen Regierungspartei bei den Präsidentschaftswahlen im Mai, ein BGE von monatlich 750 Euro, zunächst für alle 18- bis 25-Jährigen.

Und in Österreich? Wie ein profil-Rundruf unter den Parlamentsparteien ergibt, beschäftigt sich bisher noch keine intensiv mit dem BGE. Am klarsten ablehnend reagiert die ÖVP: "Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde falsche Anreize setzen und den Wert von Leistung aberkennen“, heißt es im Grundsatzprogramm der Partei. Interessanterweise äußert sich auch der Österreichische Gewerkschaftsbund skeptisch: "Der ÖGB hat zwar bisher keine offizielle Linie dazu, aber es gibt zahlreiche kritische Stimmen“, sagt Bundesvorstandsmitglied Markus Koza. Wie kommt es zu solchen Konstellationen? Wer das verstehen will, muss die Geschichte und Funktionsweise des Grundeinkommens kennen. Und er muss begreifen, welches Problem die derzeitige Ausrichtung unserer Gesellschaft auf die Lohnarbeit bringt.

Im Normalfall verkaufen die Menschen - es sind in Österreich rund fünf von zehn - ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt. Sie erschaffen dabei Güter und Dienstleistungen, von deren Wert sie einen Teil als Lohn erhalten. Die anderen fünf der zehn Österreicher sind Kinder, Jugendliche, Auszubildende, Alte, Kranke und Arbeitslose. Sie werden von den fünf Arbeitenden mitversorgt.

Lohnarbeitsmodell mit Ablaufdatum?

Doch dieses Lohnarbeitsmodell kommt an sein Ende, meinen viele. Nicht etwa, weil die Arbeitenden weniger Güter und Dienstleistungen erschaffen als früher. Im Gegenteil, es werden sogar immer mehr. Doch die Arbeit läuft inzwischen derart effizient und technisiert ab, dass es immer weniger Menschen dafür braucht.

Experten wie der US-Ökonom Jeremy Rifkin sprechen vom bevorstehenden "Ende der Arbeit“: In nicht allzu ferner Zukunft reiche ein geringer Prozentsatz der Weltbevölkerung, um die gesamte globale Produktion zu bestreiten. Solche Vorhersagen sind umstritten. Aber eine Tendenz in diese Richtung ist unverkennbar.

In Österreich stagniert seit einem Jahrzehnt die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden - obwohl der Output der Wirtschaft stark steigt. In der Stahlindustrie in den USA arbeiteten Anfang der 1980er-Jahre mehr als drei Mal so viele Beschäftigte wie heute - und erzeugten um ein Viertel weniger Stahl. Und die Entwicklung geht weiter: Auf Basis einer Untersuchung in 15 Staaten im Vorjahr prognostizieren Experten des Weltwirtschaftsforums im Schweizer Davos bis zum Jahr 2020 einen Verlust von 5,1 Millionen Arbeitsplätzen. Die größten Rationalisierungsschübe stehen demzufolge nicht, wie früher, in der Industrie bevor, sondern bei niedrig- und mittelqualifizierten Büroarbeiten.

All das könnte man zwar auch als gute Nachricht lesen. Die moderne Menschheit kann sich weitgehend zurücklehnen, weil dank überragender Technologie die Maschinen für alles Notwendige sorgen. Doch in der Praxis hängen das persönliche Einkommen und der Grad der sozialen Absicherung von der Lohnarbeit ab. Wer ihr nicht nachgeht, obwohl er dazu in der Lage wäre, riskiert sein materielles Eigentum (bis auf ein Minimum) und sein soziales Ansehen. Und zwar ganz unabhängig davon, ob es die Arbeitskraft dieser Person wirklich braucht oder nicht.

Genau hier schafft das Bedingungslose Grundeinkommen Abhilfe, glauben die Befürworter. Es würde die Fixierung auf die Arbeitsplätze beenden. Die Menschen könnten stattdessen, wenn sie wollen, Gärten pflügen, Romane schreiben oder ehrenamtlich im Flüchtlingsheim mithelfen. Außerdem müsste das Bruttoinlandsprodukt, also die jährliche Summe des Werts aller Güter und Dienstleistungen in einem Staat, nicht weiterhin krampfhaft wachsen, nur damit möglichst viele Menschen auf dem Arbeitsmarkt unterkommen. Und: In den weiteren technischen Fortschritt, der menschliche Arbeit überflüssig macht, könnte man getrost investieren - ohne soziale Folgen fürchten zu müssen.

Verschiedene Realisierungsvarianten

Doch wie viel würde das BGE kosten? Soll es das bestehende Sozialsystem ergänzen? Oder gleich ersetzen? Die Antwort fällt je nach Modell unterschiedlich aus. Gemeinsam ist allen Konzepten: Die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens kommt bei diesen praktischen Aspekten in den Mühen der Ebene an. Und offenbart zahlreiche Stolpersteine.

Eine naheliegende Realisierungsvariante wäre, dass jeder Mensch steuerfrei einen bestimmten Geldbetrag pro Monat bekommt. Er sollte nicht zu gering sein. Denn immerhin wäre dem Grundgedanken nicht gedient, wenn sich die Bezieher erst recht mit schlechten Billigjobs durchschlagen müssen, weil ihr BGE nur einem Notgroschen gleichkäme.

Würde also beispielsweise jeder Österreicher monatlich 1000 Euro bekommen, lägen die staatlichen Ausgaben für das gesamte Grundeinkommen (bei 8,7 Millionen Einwohnern) bei mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Österreichs gesamte Sozialausgaben - von den Pensionen über den Betrieb von Spitälern bis zu den Kindergartenplätzen - betrugen im Jahr 2015 laut Statistik Austria 100 Milliarden Euro. Also genauso viel.

Freilich könnten manche Leistungen - etwa Arbeitslosengeld, Mindestsicherung und Familienbeihilfe - ins BGE einfließen. Andere aber nicht. Beispiel: Eine pflegebedürftige alte Frau in Österreich bezieht aus dem derzeitigen Sozialsystem Pension und Pflegegeld sowie möglicherweise Witwenpensionen und Zuschüsse für die Beschäftigung von Pflegekräften. Die Summe all dieser Leistungen ergibt in vielen Fällen mehr als 1000 Euro. Doch die Frau braucht das Geld wegen ihrer Pflegebedürftigkeit. Man könnte nicht einfach alles streichen, nur weil ein Grundeinkommen eingeführt wurde.

Umgekehrt verdienen derzeit laut Statistik Austria rund zwei Millionen Österreicher in ihren Jobs monatlich mehr als 2500 Euro netto. Auch sie würden 1000 Euro bekommen, quasi als Taschengeld, obwohl sie es nicht unbedingt brauchen. Das gilt auch für die Superreichen, die ihr Vermögen in lukrativen Immobilien oder diskreten Steueroasen halten.

Finanzierung durch Erhöhung der Einkommenssteuer

Für die Regierung wäre es eine teure Aufgabe, das Grundeinkommen zu finanzieren und zugleich wichtige Sozialleistungen beizubehalten. Bewerkstelligen ließe sich dies möglicherweise - so ist es zumindest in vielen Konzepten vorgesehen - großteils über eine deutliche Erhöhung der Einkommenssteuer. Bereits heute stellt die Steuer auf die Arbeitslöhne die einträglichste in Österreich dar. Doch was bedeutet das? Jene, die in ihrer normalen Lohnarbeit etwas mehr Geld verdienen, würden darauf extrem hohe Steuern entrichten. Überspitzt gesagt, die Besserverdienenden liefern fast ihren kompletten Lohn an den Staat ab, um ihn anschließend als BGE zurückzubekommen. Unnötig, meint der deutsche Ökonom Heiner Flassbeck, dies würde nur Frust über hohe Steuern schüren: "Ein gewaltiges Umverteilungskuddelmuddel in der oberen Hälfte der Einkommenspyramide.“

Es gibt aber auch andere Konzeptionen des Grundeinkommens. Eine davon stammt von der Schweizer Initiative "Bedingungslos“. Demnach soll jeder Bürger 2500 Franken (2349 Euro) erhalten. Entscheidender Unterschied zum vorherigen Modell: Die Arbeitslöhne werden auf das BGE angerechnet. Das bedeutet, wer etwa 5000 Franken verdient, erhält diese Summe auch weiterhin. Nur werden 2500 der 5000 Franken eben umdeklariert, zum Grundeinkommen.

Damit wäre die Finanzierung gleich viel einfacher, argumentieren die Befürworter dieses Modells. Denn den Großteil des Geldes gibt es ja schon, als Löhne. Zusätzlich finanziert werden müssten laut Schweizer Initiative nur die Aufwendungen für jene Bürger, die heute weniger als 2500 Franken verdienen. Deren Finanzierung, glauben die Initiatoren, ergibt sich etwa daraus, dass nach Einführung die staatliche Verwaltung kostengünstiger funktionieren würde.

Aber auch bei diesem Modell bleiben Fragen offen. Zum Beispiel: Nach wie vielen Jahren hätten auch ausländische Zuzügler Anspruch aufs BGE? Oder: Wie verhindert man Schwarzarbeit?

Vor allem Letzteres könnte ein Problem darstellen. Immerhin verringert sich im Schweizer Modell das Grundeinkommen je nach Anstieg des Arbeitslohns - eine Konstruktion, die viele wohl motiviert, den Arbeitslohn vor den Behörden zu verstecken. Deshalb müsste der Staat die Schwarzarbeit durch genaue Kontrollen bekämpfen. Die Behörden würden gewissermaßen in jeden kleinen Arbeitsvertrag hineinschnüffeln. Das nimmt viel vom Charakter der Freiheit und Bedingungslosigkeit, der die Idee so anziehend macht.

Grundeinkommen von Lohnarbeit abhängig

Aber es gibt noch einen grundsätzlicheren Einwand. "Letztlich funktioniert das Bedingungslose Grundeinkommen vor allem unter einer wichtigen Bedingung“, sagt ÖGB-Vorstandsmitglied Markus Koza, "nämlich unter der, dass möglichst viele Menschen einer Erwerbsarbeit nachgehen.“ Diese erwirtschaften nämlich die Werte, von denen das Grundeinkommen finanziert wird. Sie zahlen die Steuern, die das System am Laufen halten.

Das Grundeinkommen ist also von einer Einrichtung abhängig, aus der es die Menschen eigentlich befreien wollte: der Lohnarbeit. Angenommen, zu viele Menschen entschließen sich, nicht mehr zu arbeiten und nur noch vom Grundeinkommen zu leben? Früher oder später würde das System kollabieren.

Befürworter antworten auf dieses Argument gern mit Verweis auf die hohe Arbeitsbereitschaft der Menschen. 80 bis 90 Prozent der Befragten, zeigen Umfragen in Deutschland und der Schweiz, würden ihre alten Jobs nach Einführung eines Grundeinkommens unverändert weiterführen wollen. Die Sichtweise teilt auch Juha Järvinen, jener Finne, der seit Jänner für das Grundeinkommen ausgewählt wurde. Die Menschen seien weder faul noch träge, erzählt er der "Süddeutschen Zeitung“: "Nach einer Weile müssen sie etwas tun, das ist menschlich.“

Doch auch hier gibt es einen Einwand. Angenommen, die meisten Menschen wollen zwar weiterhin arbeiten, trotz BGE - doch sie können nicht. Denn aufgrund der weit fortgeschrittenen Technisierung gibt es kaum noch Jobs. Das "Ende der Arbeit“, wie es die Ökonomen prognostizieren, ist eingetreten. Folge: Zu viele Leute würden vom Grundeinkommen leben, zu wenig Steuern einzahlen. Auch in diesem Fall wäre dem System die Finanzierung entzogen.

An dem fundamentalen Problem, dass den Menschen möglicherweise die Lohnarbeit ausgeht, würde das Grundeinkommen also wohl nichts ändern. Um diesen Mangel zu beheben, müsste man andere Konzepte entwickeln. Zum Beispiel Wege finden, die gesamte Arbeit zu besteuern, nicht nur jene, die Menschen leisten. Salopp gesagt: Auch Maschinen müssten Steuern zahlen.

Doch derartige Fragen haben mit dem Grundeinkommen nichts zu tun. Das ist wieder eine andere Geschichte.

Dieser Artikel ist Teil einer profil-Serie, die sich mit Ideen für die Wirtschaft befasst, die seit der Finanzkrise des Jahre 2008 an Bedeutung gewinnen. Bisherige Teile: die Maschinensteuer (profil 34/16) und das Vollgeld (profil 42/16).