In einigen Produktgruppen sinken die Preise in den Supermarktregalen wieder etwas. So billig wie vor der Krise ist es aber bei weitem nicht.
Lebensmittel-Inflation

Der harte Kampf um die Lebensmittelpreise

Für Konsumenten bleiben die meisten Lebensmittelpreise hoch, Bauern bekommen aber wieder weniger für Milch, Getreide und Co. Die Bundeswettbewerbsbehörde sollte die Schuldigen für die massiven Preisanstiege im Supermarkt suchen, könnte aber am Ende ohne Sündenbock dastehen.

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Von seinem Anwesen hoch über Krieglach blickt Jakob Karner weit in das Mürztal hinein. Gemeinsam mit Frau und Sohn führt er hier einen Milchviehbetrieb. Mit seinen 40 Kühen der Rasse Holstein gehört er zu den größeren Milchbauern in Österreich, die im Durchschnitt rund 20 Tiere halten. Zwei Mal täglich, 365 Tage im Jahr werden die Tiere gemolken – und Holstein-Rinder gelten als besonders leistungsfähige Milchkühe. Für den Haupterwerb reicht aber auch das nicht: „Da müsste ich mindestens 60 Tiere haben“, sagt Karner. Der 59-Jährige – er ist auch Obmann der Obersteirischen Molkerei – kennt die Sorgen und Nöte der Bauern. Und das sind aktuell die Preise, die sie für ihre Produkte erzielen können. 43 Cent pro Liter bekommen sie derzeit für konventionelle Milch, für Bio- und Heumilch gibt es Aufschläge. „Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, ob die Preise weiter unter Druck bleiben. Aber wir hoffen, dass die Talsohle erreicht ist.“

Wie viel wir für Milch, Brot, Fleisch und Gemüse ausgeben, ist zum Politikum geworden. Die SPÖ forderte eine Mehrwertsteuersenkung für Lebensmittel, die FPÖ gar einen Preisdeckel auf Grundnahrungsmittel. Und im Mai dieses Jahres rief die türkis-grüne Regierung die Branchenvertreter wegen der stark gestiegenen Preise zu einem Lebensmittelgipfel ins Bundeskanzleramt. Wirksame Maßnahmen, wie auch immer die aussehen könnten, blieben jedoch aus. Wenngleich es bei einigen Produktgruppen bereits zu Rückgängen gekommen ist, steigen andere unvermindert weiter. Die Konsumenten stöhnen an den Kassen der Supermärkte ob der hohen Ausgaben, die Bauern ächzen wegen ihrer sinkenden Erträge. Verdienen sich die großen Handelskonzerne hier also ein üppiges Körberlgeld? Eine Frage, der auch aktuell die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) nachgeht.

„Wir senken viele weitere Preise!“, lässt etwa die heimische Supermarktkette Spar ihre Kunden wissen. „Wir, für Sie, gegen die Teuerung!“, verspricht Konkurrent Billa auf seiner Website. Botschaften, die für die Konsumenten erfreulich sind, den heimischen Bauern und Lebensmittelproduzenten jedoch sauer aufstoßen. Dass Supermärkte nun mit solchen Slogans werben, ist dem öffentlichen Druck geschuldet und wohl nicht zuletzt auf die angekündigte BWB-Prüfung zurückzuführen.

Wir geben  mehr Geld für weniger Ware  aus. 

Im August waren Lebensmittel nämlich schon wieder um 9,8 Prozent teurer als noch vor einem Jahr. Auch wenn sich die Inflation insgesamt etwas abbremst, billiger wird es dadurch noch nicht. Schuld an den hohen Preisen und damit an der Teuerung will am Ende des Tages niemand sein. Weder die Politiker, die ein Jahr vor der Nationalratswahl de facto schon im Wahlkampf sind, noch die Supermärkte und auch nicht die Bauern und Produzenten.

Suche nach Schuldigen

Seit einem Jahr durchforsten die Wettbewerbshüterinnen Umsatzentwicklung, Verträge, Rechnungen und Lieferkonditionen im Lebensmitteleinzelhandel, bei Großhändlern und Produzenten. Die Hauptfrage: Warum sind die Preise für Essen und Trinken derart stark und schnell gestiegen? Und wer trägt Schuld daran?

„Es ist die größte Branchenuntersuchung seit Bestehen der Bundeswettbewerbsbehörde“, sagt eine Sprecherin auf Nachfrage. Die Prüferinnen und Prüfer haben mehr als 700 Handelsunternehmen, 1500 Lieferanten und Lieferantinnen und 34 Produktgruppen untersucht. Der Prüfbericht wird gerade fertiggestellt.

„Wir sehen seit Anfang der Krise, dass die Menschen durch die Bank weniger einkaufen und dafür von den billigen Produkten mehr“, sagt Hannes Royer. Er ist Obmann des Vereins „Land Schafft Leben“ und Biobauer. Auf seinem 800 Jahre alten Hof in Schladming hält er 80 Kalbinnen. Er zieht die weiblichen Jungtiere auf, bis sie alt genug sind, um Milch zu geben. Pro Tag und Tier bekommt er 2,20 Euro.

Dass der Lebensmittelkonsum verhalten ist, merkt auch Milchbauer Karner: „Durch die ständige Inflationsdiskussion ist er zurückgegangen. Die Leute kaufen bewusster ein und schmeißen weniger weg.“ Dazu kommt: Der Lebensmitteleinkauf macht heute einen größeren Anteil des Haushaltseinkommens aus als vor Corona. Waren es 2019 noch 9,3 Prozent – ein langjähriger Tiefststand –, sind es heute 12,3 Prozent. Wir geben also mehr Geld für weniger Ware aus. Denn laut Zahlen der rollierenden Agrarmarktanalyse (rollAMA) ist die Absatzmenge im ersten Halbjahr um 3,5 Prozent gesunken, während die Preise für den Warenkorb um 11,3 Prozent gestiegen sind. Ein paar Beispiele: Minus sechs Prozent bei Milch. Butter: minus 4,8 Prozent; Fleisch und Geflügel: minus 3,8 Prozent. „Nur von der Haltbarmilch wurde mehr verkauft, weil sie am billigsten ist“, erklärt Royer.

„Weil der mediale und gesellschaftliche Druck auch auf den Handel deutlich spürbar ist, werden Preise immer weiter gedrückt“, meint er. Und der öffentliche Druck, die Preise zu senken, wandert offenbar entlang der Lieferkette bis hinunter zu den Bauern und Produzenten. „Die Molkereien stöhnen massiv, die Landwirte auch.“

Die Handelsvertreter sehen das anders: „Preissenkungen hängen nicht von der BWB ab, sondern einzig und allein davon, zu welchen Preisen wir Produkte einkaufen können und wie sich unsere Kostenstruktur im Großhandel gestaltet“, sagt Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Bei zahlreichen Produkten sind die Preise zuletzt auch tatsächlich gesunken – in allen Supermärkten. Butter, Öl und Milch sind zum Beispiel „wieder billiger“, wie es auf den Preisschildern in manchen Geschäften heißt. Wobei hier „billiger“ nicht billig wie vor der Inflationskrise bedeutet. „Wir haben unseren Kunden versprochen, dass wir die Preise so schnell wie möglich senken, wenn wir Preissenkungen seitens der Lieferanten erhalten. Daran halten wir uns“, meint Berkmann.

Getreide billig, Mehl teuer

Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine ging Weizen durch die Decke. Die Preise werden an den Weltmärkten gemacht und wirken sich auch auf Österreich aus. Der Höhepunkt wurde im Mai des vorigen Jahres erreicht. Doch seither geht es wieder steil bergab. Das, sowie die hohen Kosten für Betriebsmittel führen dazu, dass trotz guter Ernteerträge die Stimmung bei den Ackerbauern im Keller ist. Denn während sie ihr Getreide jetzt wieder billiger verkaufen, bleiben ihre Kosten für Energie und Transport hoch.

Hinter den Kulissen dürften die Preisverhandlungen derzeit besonders hitzig sein.

Gänzlich anders ist die Situation an den Supermarktkassen. Der Preis für Mehl kannte zuletzt nur eine Richtung: nach oben. Im August war er so hoch wie nie zuvor. Selbiges gilt für Brot und Teigwaren. „Das liegt daran, dass derzeit noch teuer gekauftes Getreide vermahlen wird. Wenn diese Lagerbestände aufgebraucht sind, sollten die Preise für Konsumenten auch wieder nach unten gehen“, sagt Agrarökonom Franz Sinabell vom WIFO.

Hinzu kommt, dass der Preis für Weizen zum Beispiel bei der fertigen Semmel nur noch einen ganz kleinen Teil Kalkulation ausmacht. Hinzu kommen Transport- und Logistikkosten, höhere Lohnkosten und Energiepreise, die noch immer weit über dem langjährigen Durchschnitt liegen. „Wenn wir mit unseren Bäckern Preise verhandeln, zücken diese sofort die Strom- und Gasrechnung, die heuer deutlich höher ist und verständlicherweise zu höheren Preisen führt“, sagt Paul Pöttschacher, Sprecher der REWE Group.

Während die Preise vieler anderer Agrargüter schon im Jahr 2022 ihren Höhepunkt erreicht haben, war dies bei Schweinefleisch erst diesen Sommer der Fall. In den vergangenen Jahren lagen die Erzeugerpreise für Schlachtschweine relativ konstant bei 1,50 Euro pro Kilo. Jetzt sind es 2,21 Euro. Das liegt unter anderem daran, dass auch die Preise für Mais, der als Futtermittel verwendet wird, ein sehr hohes Niveau erreicht hat. Bei den Schweinefleischpreisen in den Läden zeigt sich, dass der Handel die Preissenkungen zumindest teilweise an die Kunden weitergegeben hat.

Vorwürfe an Supermärkte

Hinter den Kulissen dürften die Preisverhandlungen mit Lieferanten und Produzenten derzeit besonders hitzig sein. Der Rewe-Konzern macht auch gar kein Hehl daraus: „Unsere Einkäufer:innen verhandeln täglich hart. Damit Sie bei Billa und Billa Plus den bestmöglichen Preis bekommen“, ist auf der Website der Supermarktkette zu lesen.

„Die Preisentwicklungen gehen immer auf Kosten der Landwirte“, zeigt sich Milchbauer Karner überzeugt. Ungefähr ein Viertel der heimischen Milcherzeugung landet im Supermarkt, ein Viertel wird an Gastronomie- und Hotelleriebetriebe geliefert, und rund die Hälfte wird ins Ausland exportiert. Wie viel also ein heimischer Bauer für seine Milch bekommt, hängt auch davon ab, wie viel ein italienischer, polnischer oder deutscher Milchbauer verlangt. Aber nicht nur.

Im vom Landwirtschaftsministerium eingerichteten unabhängigen und weisungsfreien „Fairness-Büro“ können Landwirte unfaire Geschäftspraktiken melden. Seien es einseitige Änderungen von Lieferbedingungen, kurzfristige Auftragsstornierungen verderblicher Lebensmittel oder auch die Androhung von Konsequenzen gegenüber unbeugsamen Lieferanten. Über 200 Beschwerden waren es im Vorjahr, und auch für heuer wird mit einem ähnlich hohen Wert gerechnet. Zur derzeitigen Situation am Lebensmittelmarkt hat Leiter Johannes Abentung folgende Wahrnehmungen: „Der harte Kampf um die Marktanteile der drei großen Lebensmitteleinzelhändler über die Preispolitik trifft natürlich auch die Lieferanten. Der enorme wirtschaftliche Druck wirkt sich sowohl auf Bäuerinnen und Bauern als auch auf die Lebensmittelproduzenten aus.“ Besonders zeige sich das bei Aktionen wie „1+1“ oder „-25%“, wo laut Beschwerden die anfallenden Kosten regelmäßig auf die Lieferanten übergewälzt würden. „Wenn jemand die Kosten nicht tragen will, wird die Auslistung der Produkte in den Raum gestellt“, sagt Abentung. „Die Existenzängste bei vielen Beschwerdeführern sind offensichtlich“, so der Leiter des Fairness-Büros.

Solche Vorwürfe sind nicht neu. Und der Handel weist sie – seit Jahren – vehement zurück. „Das ist die ewig alte Leier, die dadurch entsteht, dass Landwirte zwar gute Produkte produzieren können, aber sie haben in vielen Fällen keine Ahnung vom Handel“, sagt Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Die Landwirte hätten gerne eine einfache Lösung: „Die Supermärkte sollen halt mehr verlangen, und dann würden sie mehr Geld bekommen. In unverantwortlicher Weise unterstützen diese platte Herangehensweise manche Funktionäre der Bauernschaft. Um ihrer Klientel zu gefallen, übersehen sie dabei bewusst, dass die Preise von ganz vielen Rahmenbedingungen abhängen. Zudem werden wir von der Landwirtschaft regelmäßig gedrängt, Aktionen zu machen, damit auch Übermengen verkauft werden können“, kontert Berkmann.

Der Mitbewerb sekundiert: „Man vergisst in der Diskussion schnell, dass die Gewinnmargen im Lebensmitteleinzelhandel bei ein bis zwei Prozent liegen“, sagt REWE-Sprecher Pöttschacher. Das sei nur ein Bruchteil dessen, was manche Lebensmittelhersteller und Marken an Margen erwirtschaften.

Dass der Handel hier zulasten der Bauern seine Erträge erhöhen will, glaubt WIFO-Ökonom Franz Sinabell auch nicht. Jedoch aus einem ganz anderen Grund: „In einer Zeit, in der die BWB jedes Papier umdreht, wird man sich hüten, so etwas zu tun.“

Dass die Preise für viele Bauern jetzt herunterrasseln, muss man auch vor dem Hintergrund des vergangenen Jahres sehen. Und das lief für die Landwirtschaft – trotz hoher Inflation, massiv gestiegener Energiekosten und globaler Unsicherheiten – hervorragend. Die Nettogewinne sind über die gesamte Branche gerechnet um ein Viertel gestiegen, wie die landwirtschaftliche Gesamtrechnung der Statistik Austria zeigt. In manchen Bereichen lief es besonders gut: „Den größten Gewinnzuwachs gab es in der Forstwirtschaft“, sagt Adolf Marksteiner von der Landwirtschaftskammer. Einerseits war endlich der lästige Borkenkäfer weg, der in den Jahren davor nicht nur an den Holzstämmen, sondern auch an den Gewinnen geknabbert hatte. Vor allem aber schoss die Nachfrage nach Brennholz und Pellets in Folge der gestiegenen Energiepreise massiv in die Höhe. Aber auch bei Milch (plus 25 Prozent) und Getreide (plus 45 Prozent) stiegen die Einnahmen der heimischen Bauern. Allerdings, und das ist die Kehrseite der Medaille: Das Einkommen der Bauern befindet sich damit inflationsbereinigt auf dem Niveau von 2011. „Heuer wird es diese Gewinne mit Sicherheit nicht geben“, meint Royer.

Preise schossen überall durch die Decke

Der starke Anstieg der Lebensmittelpreise ist jedoch nicht hausgemacht, sondern verlief in der gesamten Eurozone ähnlich. „In Deutschland hingegen sind die Preise viel stärker angestiegen, wenngleich von einem niedrigeren Niveau ausgehend“, sagt Sinabell. Und in Ungarn sind die Lebensmittel- und Getränkepreise zuletzt wieder um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen – also doppelt so stark wie bei uns.

Dieser Umstand macht die Suche nach einem Schuldigen für die teils massiven Preisanstiege nicht einfacher. Denn um eindeutig wettbewerbsrechtliche Verstöße benennen zu können, muss die BWB auch Preisanstiege deutlich über dem international marktüblichen Niveau feststellen, meint zum Beispiel Marktsteiner von der Landwirtschaftskammer. Und wenn alle entlang der Lieferkette für die Preisanstiege mitverantwortlich sind, hat am Ende niemand Schuld.

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).