Gastkommentar

Gabriel Felbermayr zur Teuerung: Das Ende der Illusionen

Pandemie und Krieg führen in Österreich zu einem Wohlstandsverlust, der nicht verhindert werden kann. Jetzt geht es darum, die Kosten fair zu verteilen.

Drucken

Schriftgröße

___

von Gabriel Felbermayr

Steuereinnahmen, Umsätze, Unternehmensgewinne sind auf Rekordniveaus geklettert. Letztes Jahr betrug das Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes (BIP) stürmische fünf Prozent. Alles gut also? Prallt die Teuerungskrise an unserer Volkswirtschaft ab?

Die guten Zahlen verbergen einen erheblichen Kaufkraftverlust. Zwar lag das reale BIP im vierten Quartal 2022 um fast drei Prozent über dem Niveau des vierten Quartals 2019. Der Kaufkraftverlust ist darin aber nicht abgebildet. Der Grund liegt in der Art und Weise, wie die Preisbereinigung des BIP passiert.

Warum ist das so? Ein volkswirtschaftlicher Crashkurs: Der Euro-Betrag der im Inland erwirtschafteten Einkommen wird mit dem sogenannten BIP-Deflator bereinigt. Dieser BIP-Deflator ist der Preisindex der im Inland hergestellten Güter und Dienstleistungen. Dieser Index unterscheidet sich von jenem, der die Preise der im Inland für Konsum und Investitionen verwendeten Güter misst und somit für den Wohlstand der Menschen relevant ist.

Der BIP-Deflator ist im Jahr 2022 um 5,2 Prozent gestiegen. Der Preisindex der inländischen Verwendung aber um deutlich höhere 7,4 Prozent. Die Diskrepanz der beiden Indizes war schon 2021 zu beobachten und wird auch 2023 das Bild prägen. Die Preise für importierte Energie und Rohstoffe sind viel stärker gestiegen als die im Inland hergestellten Güter und Dienstleistungen.

Will man für eine realistische Einschätzung die Kaufkraft des BIP messen, muss man es mit dem Preisindex der inländischen Verwendung bereinigen. Damit halbiert sich ungefähr das BIP-Wachstum, und die in Österreich im Jahr 2022 erwirtschaftete Kaufkraft liegt nicht über, sondern unter dem Niveau von 2019.

Aber selbst das ist noch zu optimistisch. Seit dem vierten Quartal 2019 ist nämlich die Bevölkerung in Österreich um rund 180.000 Personen auf mittlerweile fast 9,1 Millionen Menschen gewachsen-nicht nur wegen der Flüchtlinge aus der Ukraine. Die Anzahl der Menschen, die in irgendeiner Form Anspruch auf die in Österreich erwirtschaftete Kaufkraft haben, ist damit um knapp zwei Prozent gestiegen. Die realen Einkommen pro Kopf liegen mithin um ungefähr zwei Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2019. Kein Wunder, dass die Stimmung nicht gut ist. Gemäß WIFOPrognose wird sich die Malaise in den kommenden beiden Jahren noch verschärfen.

An diesen unerfreulichen Zahlen erkennt man den Wohlstandsverlust, der durch Corona und Ukraine-Krieg entstanden ist. Die positiven Wachstumszahlen täuschen. Sie verbergen die deutliche Verteuerung des Lebensunterhalts. Die sprudelnden Steuereinnahmen ändern daran nichts. Und auch der starke Arbeitsmarkt ist kein Beleg für eine starke Wirtschaft-der Arbeitsmarkt ist ausgelastet, aber der Wohlstand steigt nicht. Der Umbau des Energiesystems und die längst überfällige Modernisierung des Bundesheeres werden zudem Ressourcen verschlingen, die nicht für den Konsum zur Verfügung stehen. Weiter steigende Preise sind die Konsequenz. Der konsumierbare Kuchen wird kleiner.

Die bittere Wahrheit: Selbst wenn alle Einkommen-Löhne, Pensionen, Sozialleistungen, Profite, Mieteinnahmen, et cetera-um exakt die Inflationsrate steigen, kann sich gesamtwirtschaftlich trotzdem kein allgemeiner Kaufkrafterhalt ausgehen, weil die realwirtschaftlich verfügbaren Mittel dafür nicht ausreichen. Versucht man das trotzdem, verfestigt sich die Inflation unweigerlich auf hohem Niveau. Denn wenn die Preissteigerungsrate nicht höher als zwei Prozent sein soll, dürfen Preise und Einkommen nominell nur um das Ausmaß der Produktivitätssteigerung über diesem Wert wachsen. Um die damit verbundenen Realeinkommenseinbußen kommen wir nicht herum.

Gürtel enger schnallen, mehr arbeiten. Das ist unabweisliche Notwendigkeit.

Der Staat kann dies nicht ausgleichen, denn er kann zwar Schulden machen und Geld auszahlen, er kann aber nicht Ressourcen aus dem Nichts schaffen. Auch die Geldpolitik ist angesichts einer Indexautomatik machtlos.

Die zentrale Frage ist nicht, wie der Wohlstandsverlust noch verhindert werden kann, sondern wie wir ihn fair verteilen. Es sollte unstrittig sein, dass starke Schultern mehr von dieser Last tragen müssen. Daher war es richtig, die Sozialleistungen mit der Inflation steigen zu lassen. Gleichzeitig müssen aber Besserverdienende und Unternehmen einen überproportionalen Anteil leisten. Diese haben oft genug von Teuerungshilfen mit der Gießkanne und von generösen Corona-Unterstützungen profitiert, ohne dass dies notwendig gewesen wäre.

Und wenn die Pro-Kopf-Einkommen durch die wachsende Bevölkerung nicht noch weiter geschmälert werden sollen, muss das Arbeitsvolumen-gemessen in Stunden, nicht Köpfen-wenigstens so schnell wachsen wie die Einwohnerzahl. Aktuell sind wir auf einem anderen Trend. Wenigstens sollten Geflüchtete in Österreich möglichst schnell und umfassend in Beschäftigung gebracht werden.

Gürtel enger schnallen, mehr arbeiten. Keine Formel, mit der sich Politik und Wirtschaftsforschung beliebt machen-aber eine unabweisliche Notwendigkeit, wenn anstatt der realen Pro-Kopf-Einkommen die Inflation dauerhaft sinken soll.

 

Für Felbermayr gibt es prinzipiell politisch umsetzbare Lösungen

Gabriel Felbermayr

ist Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) und Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU Wien).