WOHNANLAGE IN FLORIDSDORF: Beim einstigen Vorzeigeprojekt gibt
es Ärger.

Gesetzeslücken: Ärger beim sozialen Wohnbau

Wie große Immobiliengesellschaften versuchen, die Rechte von Mietern zu beschneiden und dem sozialen Wohnbau Objekte zu entziehen.

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Es ist eine Szene, die man mannigfach aus Filmen kennt: Ein Detektiv, der mit einem Foto in der Hand von Haus zu Haus geht und sich nach der darauf abgebildeten Person erkundigt. Für Sandra Habermann wurde die Fiktion Realität. Sie war die Person auf dem Foto. "Nachbarn haben mich gefragt, ob bei mir alles in Ordnung ist und mich gewarnt, dass mir jemand hinterherspioniert“, erzählt die junge Frau.

Habermann ist Mieterin in einer Wohnanlage in der Fritz-Kandl-Gasse in Wien-Floridsdorf. Ihr Fall ist ein Beispiel dafür, wie große Immobiliengesellschaften eine Unschärfe in der Gesetzgebung nutzen, Mieter um ihre Rechte beschneiden und versuchen, dem sozialen Wohnbau Objekte zu entziehen.

Unweit des Bisambergs, wo Wien ländlich wird, entstand 2006 ein Vorzeigeprojekt: vier Passivhäuser mit insgesamt 70 Wohneinheiten, in ökologisch-nachhaltiger Holzbauweise, unterstützt durch Wohnbauförderungsmittel des Landes Wien - ein leistbares Refugium für junge Familien. Zum Richtfest gab sich auch der damalige Wohnbaustadtrat Werner Faymann die Ehre.

Eine geförderte Wohnung mieten, einen Grund- und Baukostenbeitrag leisten und nach zehn Jahren die Möglichkeit haben, die Wohnung zu einem fairen Preis zu kaufen: Das war der Plan, den Habermann und ihre Nachbarn hatten.

Es sollte anders kommen.

Ende September 2015 kaufte die Erste Immobilien Kapitalanlagegesellschaft von der Bank-Austria-Gruppe ein Immobilienportfolio mit mehr als 1200 Wohnungen. Das erworbene Paket bestand aus sechs geförderten Wohnimmobilien in Wien, darunter auch die Anlage in der Fritz-Kandl-Gasse. Im Zuge des Kaufes wurde von der Erste Immobilien das Förderdarlehen für dieses Objekt vorzeitig getilgt. Damit gilt es aus Rechtssicht der Erste als freifinanzierter Wohnbau.

Umstrittene Informationsveranstaltung

Erst ein Jahr später wurden die Mieter zu einer Informationsveranstaltung geladen. Gegenstand: "Konditionen und Abwicklungsmodalitäten im Erwerbsfall von Wohnungseigentumsobjekten“. - "Dabei wurden die Bewohner über die Rückzahlung der Förderung und weitere Details ausführlich informiert“, erklärt Klaus Lackner, Sprecher der Erste Group. Dem widersprechen mehrere Teilnehmer gegenüber profil deutlich: "Die Förderrückzahlung wurde erst nach über einer Stunde und mehrmaligem hartnäckigen Nachfragen eingestanden.“ Generell sei diese Veranstaltung nicht auf transparente Information ausgelegt gewesen, so die Mieter. "Rechtlich hätte die Erste Immobilien KAG die Wohnungen nicht zum Kauf anbieten müssen, hat dies aber trotzdem freiwillig gemacht“, sagt Lackner.

Tatsächlich können Mieter einer aus öffentlichen Mitteln geförderten Wohnung gemäß Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz (WWFSG) "die nachträgliche Übertragung in das Wohnungseigentum“ begehren. Dabei seien die Bestimmungen des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes (WGG) anzuwenden. Dort ist zu lesen, dass der Anspruch auf Kauf (neben anderen Kriterien) dann besteht, wenn die Förderung aufrecht ist.

"Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber das so wollte“, sagt Sandra Habermanns Anwalt, Thomas Payer. Jahrelang haben Mieter in dem Glauben gelebt, sie könnten die von ihnen bewohnte Wohnung nach Ablauf einer Zehn-Jahres-Frist erwerben. Der Rechtsanspruch auf Kauf war für viele ein wesentlicher Grund zur Anmietung. Sie hatten über Jahre dafür gespart, um dann zu erfahren, dass ihre Rechte beschnitten wurden, ohne dass man sie darüber informiert hatte.

Das betrifft nicht nur die Mieter der Fritz-Kandl-Gasse. In den vergangenen Jahren wurden immer mehr Wohnprojekte als Mietkaufmodelle errichtet. Experten schätzen ihren Anteil auf rund 70 Prozent. Bedeutet dies, das Hunderte oder gar Tausende Betroffene keine Rechtssicherheit haben?

Nachfrage im zuständigen Wirtschaftsministerium. Dort lässt man wissen, dass die Bauträger im Regelfall "ohnedies in den Mietverträgen eine Vereinbarung zugunsten einer Kaufoption“ abschließen würden. Auch wenn kein gesetzlicher Anspruch mehr bestehe (weil die Forderungen zurückgezahlt wurden), gebe es jedenfalls einen vertraglichen. Im Falle der Fritz-Kandl-Gassen-Mieter verweist der entsprechende Passus im Vertrag jedoch lediglich auf das Gesetz.

Ethisch zweifelhaftes Vorgehen

Das Vorgehen der Erste Group mag rechtlich gedeckt sein, ethisch zweifelhaft ist es allemal - besonders für einen Konzern, der sich gern soziales Engagement und gesellschaftliche Verantwortung auf die Fahnen heftet. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Sache freilich klar: Im freifinanzierten Wohnbau ist man nicht an lästige Beschränkungen gebunden, was die Höhe der Miete betrifft. Und höhere Mieteinnahmen bedeuten höhere Renditen für jenen Immobilienfonds, in den die Wohnimmobilie als Anlageobjekt eingebracht wurde.

Doch kann es im Interesse der Stadt Wien liegen, dass aus der Idee des geförderten Wohnbaus eine Unterstützung für Investmentfonds wird? Wenn dieses Beispiel Schule macht, kann dies dazu führen, dass dem sozialen Wohnbau massiv Objekte entzogen werden. Im Büro von Wohnbaustadtrat Michael Ludwig sieht man indes keinen Handlungsbedarf. "Wenn sich ein gewerblicher Anbieter zu einer geförderten Variante entschließt, erwirbt die öffentliche Hand einen Vorteil in Form günstiger Wohnungen“, erklärt Sprecher Hanno Csisinko. "Insofern werden dem sozialen Wohnbau keine Objekte entzogen, da sie ohne Förderung gar nie in diesen Bereich gekommen wären“. Das ist grundsätzlich richtig, es macht allerdings einen erheblichen Unterschied, ob Wohnbauten nur wenige Jahre oder doch über Dekaden als gefördert gelten und somit mehrere Generationen in den Genuss günstigerer Konditionen kommen können. Bei Neuvermietung ist der Mietzins nicht mehr an Beschränkungen gebunden.

Sandra Habermann will sich indes noch nicht geschlagen geben. Sie hat Klage auf Festsetzung eines angemessenen Preises eingebracht. Von der Erste wurde ihr die zehn Jahre alte Wohnung nämlich um über 380.000 Euro angeboten. Gerechnet hatte sie mit Kosten von rund 230.000 Euro. Die Diskrepanz erklärt sich durch ein neues Nutzwertgutachten, welches die Erste in Auftrag gegeben hat. Darin wird die zur Wohnung gehörige Terrasse nun mit 60 Prozent des Quadratmeterpreises bewertet - während die Stadt Wien zwischen 15 und 25 Prozent empfiehlt.

Die Erste konterte mit einer Kündigungs- und Räumungsklage. Da würden sämtliche Gründe abgeschrieben, welche das Mietrechtsgesetz aufzählt“, sagt Anwalt Payer. Habermann vermutet, dass das eingangs erwähnte Interesse an ihrer Person mit dieser Causa zusammenhängt.

Dazu will sich die Erste Group mit Verweis auf laufende Gerichtsverfahren nicht äußern.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).