Google: Wie ein Konzern unsere Sicht auf die Welt prägt

Die EU legt sich mit dem kalifornischen Suchmaschinenanbieter Google an. Es geht um Meinungsmache, Monopole und Milliarden. Und um die Frage: Was ist das eigentlich für eine Firma, die da unsere Sicht auf die Welt prägt (und möglicherweise verändert)?

Drucken

Schriftgröße

Google, das ist für viele Österreicher wie Elektrizität, Straßen oder Wasser: Es gehört zur ganz selbstverständlichen Infrastruktur unseres Alltags. Wir benutzen es, nehmen es für gegeben hin, denken nicht weiter darüber nach, woher es kommt und warum. Viele von uns finden das ziemlich angenehm.

Muss Europa gegen Google einschreiten?

Der amerikanische Suchmaschinenanbieter ist die beliebteste Marke in Österreich, in einer Studie von Young & Rubicam verwies er zuletzt sogar das Österreichische Rote Kreuz und Hofer auf die Plätze. Doch nicht allen behagt diese Erfolgsgeschichte: Weil Google immer mehr Dienste lanciert, immer mehr Bedürfnisse unserer digitalen Existenz erfüllen will, werden die Konkurrenten und nun auch die EU-Kommission unruhig. Die Kernfrage lautet: Nutzt Google seine marktbeherrschende Stellung auf unfaire Weise aus? Muss Europa einschreiten, um den digitalen Wettbewerb vor dem Suchmaschinenriesen zu beschützen?

Kürzlich kündigte die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager an, härter gegen Google vorzugehen. Geprüft werden nun nicht nur Details der Suchmaschine, sondern auch das Smartphone-Betriebssystem Android. In beiden Geschäftsfeldern ist der kalifornische Konzern der klare Marktführer. Neun von zehn Suchanfragen in Europa laufen über Google. Acht von zehn Smartphones weltweit haben das Google-Betriebssystem Android installiert.

Auch für den Bau von Straßen und den Verkauf von Elektrizität gibt es in Europa strenge Auflagen. Je wichtiger Google wird, desto genauer blicken die europäischen Regulatoren auf den digitalen Riesen.

Aber wie funktioniert Google nun eigentlich? Warum tut es, was es tut? Und was heißt das für uns? Acht Dinge, die Sie über Google wissen sollten:

§1. Google ist politisch (und zwar ganz konkret).

An der Brüsseler Chaussee D’Etterbeek, Hausnummer 180, wird dieser Tage Internetgeschichte gemacht. Es geht hier, im Belgienbüro von Google, gerade um sehr viel, konkret darum, allzu drastische Auswirkungen des EU-Wettbewerbsverfahrens vom kalifornischen Suchmaschinenanbieter abzuwehren. EU-Politiker wollen Googles Geschäftsmodell beschneiden, möglicherweise drakonische Geldstrafen in Milliardenhöhe erlassen. Daran sollen sie von den neun Google-Mitarbeitern an der Chausse D’Etterbeek 180 gehindert werden. Aber wie? Durch Lobbying. Zwischen 3,5 und vier Millionen Euro hat Google laut EU-Transparenzregister allein im Jahr 2014 für Stimmungs- und Meinungsmache in Brüssel aufgewendet, was im Vergleich zum Jahr davor einer Steigerung von 150 Prozent entspricht. Einen ähnlich rasanten Aufschwung nahmen Googles politische Werbemaßnahmen auch in den USA.

Seine gewohnte Ignoranz gegenüber dem Politikbetrieb hat das Unternehmen spätestens im Jahr 2012 aufgegeben, als die US-Handelskammer ein ähnliches Verfahren gegen Google anstrengte. Davor beschäftigte der Konzern genau einen Lobbyisten in Washington, was einer Verhöhnung der örtlichen Gepflogenheiten gleichkam. Im Vorjahr eröffnete das Unternehmen am Capitol Hill freilich ein Lobbying-Büro, dessen Grundfläche etwa jener des Weißen Hauses entspricht (gut 5100 Quadratmeter). Weiters finanziert Google laut einer Analyse der „Washington Post“ inzwischen 140 Thinktanks, Interessengruppen und Wirtschaftsverbände, darunter maßgebliche Meinungsmacher wie die konservative Heritage Foundation. An der Spitze der hundertköpfigen Washingtoner Google-Lobby steht die ehemalige republikanische Kongressabgeordnete Susan Molinari. Sie sagt: „Unser Ziel ist es, politischen Entscheidern zu helfen, Googles Geschäftsmodell zu verstehen.“

Lange war Google nicht willens, am drögen, ewig abwägenden, höllisch unberechenbaren politischen Spiel mitzumachen, man hatte schließlich viel weiter reichende Visionen (siehe auch §3). Mit seiner Hinwendung zum politischen Alltagsgeschäft reagiert Google nun auf die Tatsache, dass selbst die größten Visionen von politischen Vorgaben abhängen, sobald der politische Betrieb ­beginnt, sich für sie zu interessieren. Digitalthemen sind am Capitol Hill angekommen, und im Brüsseler EU-Viertel sowieso. Mit weiterem Lobbying ist definitiv zu rechnen.

§2. Google ist gar nicht so böse (zumindest nicht absichtlich).

Menschen, die beruflich mit Google zu tun haben, sind oft ehrlich erschüttert, wenn man sie auf das schlechte Image ihres Arbeitgebers hinweist. Weil sie, ganz ehrlich, nicht verstehen können, woher dieses Image kommen soll. Erstens macht man ja nichts Verbotenes (siehe auch §6), und zweitens lautet das Firmenmotto nicht umsonst „Don’t be evil“, sprich: „Sei nicht böse“, beziehungsweise „Tu nichts Böses“. Google versteht sich als Firma, die viele nützliche Ideen hat, die verwenden kann, wer will, und die, ganz prinzipiell, die Welt verbessern. Ganz ehrlich.

Damit entspricht das Unternehmen ganz dem Geist des Silicon Valley, dessen Gründungsmythen tief in der Gegenkultur der 1960er- und 1970er-Jahre wurzeln. Von der liberalen Stanford University her weht seit damals ein Geist, der ein bisschen Hippie ist und sehr viel Utopist, und sagt: Die Welt wird durch Technik besser und gerechter, die Regierungen der industriellen Welt, diese müden Riesen aus Fleisch und Stahl, sollen sich in diesem Prozess gar nicht erst einmischen. Wenn Hindernisse überwunden und das Leben vereinfacht wird, verringert das die Ungleichheit der Menschen.

Das hat sich leider als schöner Traum erwiesen, an dessen Stelle eine modernisierte Version des American Dream getreten ist: Wenn wir es hier schaffen, können sie es überall schaffen (nämlich: mit einer guten Idee an der Börse Milliarden zu verdienen). Können sie eben nicht. Das Silicon Valley zählt heute zu den ungerechtesten Plätzen auf der Welt, um die nerdhaft verspielte Welt der Start-up-Milliardäre wurden weiche Grenzen aufgezogen, die man nicht gleich sieht, aber definitiv nicht überwindet. Auch nicht mit dem neuesten Software-Update. Sorry. Nicht bös sein!

§3. Google macht das Leben einfacher (und ärmer).

Ein Algorithmus ist laut klassischer Lexikondefinition eine eindeutige, in klaren Einzelschritten formulierte Handlungsanweisung zur Lösung eines Problems. Laut gängiger Google-Kritik ist ein Algorithmus, konkret: Googles Suchalgorithmus, ein undurchschaubares, streng geheimes Ding, das unser Leben, konkret: unsere Sicht auf die Welt, bestimmt. Mit jeder Suchabfrage via Google wird dieser Algorithmus tätig, filtert die Abermillionen möglicher Treffer und reiht sie nach klaren mathematischen Vorgaben. Das deklarierte Ziel dabei: nicht alle möglichen Ergebnisse zu einer Suche, sondern bloß die relevanten auszuwerfen. Das ist in erster Linie praktisch, in zweiter aber doch bedenklich, weil es unsere Weltsicht einschränkt, nämlich auf genau die Ergebnisse, die der Google-Algorithmus für relevant erachtet, ohne dass wir wüssten, nach welchen Kriterien er das macht.

Jede Kritik daran wird freilich dadurch verkompliziert, dass man über den Gegenstand der Kritik eben nicht allzu viel weiß. Der Google-Suchalgorithmus ist so etwas wie das Coca-Cola-Geheimrezept der Digitalwirtschaft, auch wenn Google-Manager gern erklären, dass der Algorithmus keineswegs topsecret sei. Und was davon nicht bekannt sei, bleibe aus guten Gründen geheim, weil sonst jeder Spammer den Algorithmus für seine Zwecke verwenden könne. Sagt Google, das den Algorithmus natürlich für seine Zwecke verwendet. Sagt die Konkurrenz. Beide Seiten haben gute Argumente.

Ein anderes Argument lautet: Der Google-Algorithmus macht uns bequem – und manche meinen sogar: denkfaul. Das würde dann zum Problem, wenn freiwerdende Gehirn- und Zeit-Kapazitäten nicht für neue Aufgaben verwendet werden, weil wir ja längst damit beschäftigt sind, die nächste und übernächste Information zu überfliegen. Zumindest behauptet das der US-Autor Nicholas Carr. In einem viel diskutierten Text im Magazin „Atlantic“ erklärte er, warum uns Google dümmer mache. „In der Welt von Google, der Welt, die wir betreten, wenn wir online gehen, gibt es kaum noch Platz für die Unschärfe des Nachdenkens. Uneindeutigkeit ist kein Weg zur Einsicht, sondern ein Fehler, der behoben werden muss.“

§4. Google erfindet unsere Zukunft (und ist dabei nicht besonders kreativ).

Als Kind hat man noch Träume. Zum Beispiel vom Weltraum. Oder von Autos, die selbstständig fahren, wenn nicht sogar fliegen können. Von Uhren, mit denen man telefonieren kann. Und von Süßigkeiten, die überall herumliegen und für die man kein Taschengeld ausgeben muss. Viele dieser Träume werden am Google Campus in Mountain View Wirklichkeit, wobei nur die Süßigkeiten auf den engeren Firmenbereich beschränkt bleiben dürften. Alles andere soll weltweit Wirklichkeit werden. Dafür hat Google Obi Felten angestellt, die im Google-Entwicklungslabor „Google X“ als „Head of Getting Moonshots Ready for Contact with the Real World“ arbeitet. Das muss man jetzt vielleicht erklären. Als „Moonshots“ werden im Google-Slang Projekte bezeichnet, die so abstrus klingen, dass niemand an ihre Verwirklichung glauben würde, wenn nicht doch eine realistische Chance bestünde, mit ihnen Unmengen an Dollars zu verdienen. Zum Beispiel: selbstfahrende Autos. Oder Heißluftballons mit WiFi-Sendern. Oder mitdenkende Kontaktlinsen. Oder eine Brille, mit der man telefonieren kann. Letztere ist schon am Markt, nennt sich Google Glass, hat ihr Vorbild in dem Science-Fiction-Film „Terminator“ und sich als eher mäßiger Publikumserfolg erwiesen. Die beiden letzten Punkte hängen zusammen. Die Google-Entwickler versuchen, die Welt nach dem Muster von Science-Fiction-Fantasien umzugestalten, was nicht für ihre Kreativität spricht, aber im Silicon Valley ein gängiges Muster der Produktentwicklung darstellt. Das ist nicht ganz unberechtigt: Science-Fiction lebt immerhin von kollektiven Fantasien. Vor allem aber von den Fantasien männlicher Teenager. Für manche Start-ups mag das ein guter Ratgeber sein (Tinder: Wie bekomme ich Mädchen ins Bett, ohne vorher blöd rumzusülzen? Facetime: Wie kann ich rund um die Uhr mit meinen Kumpels zusammensein? iPhone: Wie steuere ich mein Leben vom Sofa aus fern?). Andererseits: Heißluftballons mit Internet-Anbindung? Warum nicht gleich per Mini-Raumschiff in die Blutbahn? Wobei: Die Konkurrenz ist auch nicht besser. Oder wollen Menschen über 13 wirklich mit ihren Uhren telefonieren?

§5. Google hat mächtige Feinde (die auch schon zahlen mussten).

Wer das Wettbewerbsverfahren gegen Google verfolgt, erlebt ein Déjà-vu: Ein ähnlicher Prozess lief bereits Anfang der Nullerjahre, als die EU-Kommission gegen Microsoft vorging, den Marktführer bei den Computer-Betriebssystemen.

Vier Mal wurde Microsoft von der europäischen Kommission zu hohen Strafen verurteilt, musste seit 2004 insgesamt 2,2 Milliarden Euro zahlen.

Konkret wurde dem Konzern vorgeworfen, dass er auf Windows-Computern eigene Software vorinstalliert hatte, etwa den Windows Media Player, und somit die Konkurrenz behinderte. Denn deren Software war nicht standardmäßig auf den Windows-Rechnern zu finden.

Nun prüft die EU, ob Google ähnliche agiert. Weltweit nutzen acht von zehn Smartphones das Betriebssystem Android, auch hier sind oft Google-Apps vorinstalliert. „Man nennt so etwas eine Kopplungsstrategie. Ich halte es für sehr naheliegend, dass die EU nun noch genauer auf Google blickt und auch Parallelen zu Microsoft zieht“, meint der Wiener Rechtsanwalt und Universitätslektor Peter Thyri. Die EU-Kommission könnte nun etwa die Verträge prüfen, die Google mit Smartphone-Herstellern wie Samsung aushandelte. Machen es diese Abmachungen der Konkurrenz schwerer, ihre Apps an den Konsumenten zu bringen? Eine entscheidende Frage.

Die Ironie der Geschichte ist, dass davon ausgerechnet der frühere Wettbewerbssünder Microsoft profitieren könnte, einer der reichsten Gegenstreiter Googles. Microsoft bietet mit Bing selbst eine Suchmaschine an und will mit den Windows Phones eine Alternative zu Googles Handybetriebssystem Android verkaufen, beides mäßig erfolgreich. Microsoft ist einer von rund 20 Beschwerdeführern im laufenden Verfahren gegen Google, und steckt viel Geld in Lobbyismus. Laut dem Transparenzregister der EU beschäftigte Microsoft im Jahr 2014 insgesamt 14 meldungspflichtige Lobbyisten, diese Präsenz kostete das Unternehmen 4,5 bis fünf Millionen Euro. Das ist mehr als Google investiert.

Im aktuellen Wettbewerbsverfahren geht es also längst nicht nur um Europa gegen Google, sondern auch um das Match zwischen Google und Microsoft – in Brüssel findet sozusagen ein Auswärtsspiel dieser beiden US-Konzerne statt.

Wir – und viele andere – sind von Google abhängig. (Matthias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer)

Der zweite prominente Gegner Googles sind die deutschen Verleger, allen voran das Medienhaus Axel Springer, das Zeitungen wie „Bild“ und „Die Welt“ besitzt, aber auch mehrheitlich das Preisvergleichsportal idealo.de. Der Springer-Konzern ist sowohl am Onlinewerbemarkt als auch im digitalen Suchgeschäft ein Konkurrent Googles.

In einem offenen Brief an Google schrieb Matthias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer: „Ein großer Anteil journalistischer Qualitätsmedien erhält seinen Traffic überwiegend via Google. Das heißt im Klartext: Wir – und viele andere – sind von Google abhängig.“

Die Verleger haben zwar deutlich weniger Geld für Lobbying, aber gute Verbindungen zum Deutschen Bundestag und nach Brüssel. Ihr politischer Druck ist mit Sicherheit einer der Gründe, warum die EU nun genau auf Google blickt. Hinzu kommt, dass die NSA-Affäre das Unbehagen gegenüber amerikanischen Internetkonzernen vergrößerte und in wirtschaftlich härteren Zeiten häufiger die Frage gestellt wird, ob Google denn in Europa genügend Steuern zahlt.

§6. Google macht nichts Illegales (nur Kapitalismus).

Vergangenes Jahr lag der Gewinn von Google höher als die Wirtschaftsleistung mancher Staaten. Rund 14 Milliarden Euro betrug er 2014, mehr als das Bruttoinlandsprodukt von Malta oder Mazedonien. Vergleichsweise bescheiden hingegen die Steuern, die Google in Europa auf seine Gewinne entrichtete: Sie lagen bei ungefähr 0,2 Prozent.

Im Schnitt zahlen Europas Unternehmen rund 20 Prozent Steuern auf ihre Gewinne. Wie kann es sein, dass Google mit einem Hundertstel dieses Steuersatzes davonkommt? Und das noch dazu legal?

Der Konzern bedient sich eines Steuervermeidungsmodells, das den Spitznahmen „Double Irish with a Dutch“ trägt. Im Prinzip funktioniert es so: Wenn jemand um 100 Euro bei Google wirbt, bleibt diese Summe nicht bei der Europazentrale im irischen Dublin.

Diese zahlt nämlich 98 Euro Lizenzgebühren an die niederländische Google-Tochter. Und diese wiederum überweist 96 Euro an eine Google-Firma auf den Bermudas, einem extremen Niedrigsteuerland. Google nützt also Schlupflöcher bei Lizenzregelungen und Unterschiede in nationalen Steuergesetzgebungen aus. Dadurch werden von 100 Euro Einnahmen nur 4 Euro regulär in Europa versteuert. Die restlichen 96 landen unversteuert auf den Bermudas.

Auf ähnliche Modelle zur Steuervermeidung greifen auch andere Digital-Konzerne zurück, etwa Amazon oder Apple. Sie alle stehen massiv in der Kritik, vor allem seit der Finanzkrise 2008. Gegen Google ermitteln Finanzbehörden in zahlreichen Ländern, etwa in Italien. In London musste sich Google-Nordeuropa-Chef Matt Brittin zudem im Jahr 2013 gar einer Anhörung durch das Parlament stellen. Irland schließlich hat auf Druck der EU Ende vergangenes Jahr angekündigt, den Double Irish mittels Gesetzesänderungen unmöglich zu machen.

Bei Google zeigt man trotz alledem bis jetzt keine Reue. Im Gegenteil, im Jahr 2012 meinte der heutige Google-Vorstandschef Eric Schmidt in einem Interview gar, er sei „sehr stolz“ auf die Google’sche Steuervermeidung. Denn „man nennt das Kapitalismus“.

§7. Google muss sich Europa unterwerfen (zumindest ein bisschen).

Google ist der Prototyp eines Datenkraken. Es verleibt sich jede zugängliche Information ein, ohne vorab um Zustimmung zu fragen – und das sorgt in Europa für Ärger.

Man erinnere sich nur an die Aufregung, als Google mit eigenen Autos durch österreichische und deutsche Straßen fuhr und den öffentlichen Raum abfotografierte – für den Kartendienst „Google Street View“. Ein praktisches Produkt, wenn man per Mausklick erkunden will, wie eine Gegend aussieht.

Vielen Hausbesitzern war dies gar nicht recht, sie fürchteten etwa, dass Diebe diese Fotos von Hauseingängen nutzen können. Im Jahr 2010 wurde dies heftig diskutiert. Mit dem Ergebnis, dass Google Street View in Deutschland und Österreich keine Autos mehr auf die öffentlichen Straßen schickt. Ein Sieg für jene, denen Google bereits zu aufdringlich wird. Ein Verlust für User, die fremde Straßen vom Sofa aus erkunden wollten.

Einigen Europäern behagt ebenfalls nicht, dass unvorteilhafte Informationen über sie oft nur schwer aus dem Netz zu bekommen sind – ein Spanier klagte deswegen und erhielt Recht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) urteilte im Jahr 2014, dass es ein „Recht auf Vergessen“ geben muss. Europäer können demnach von Suchmaschinen wie Google verlangen, Links aus den Suchergebnissen zu löschen, wenn diese ein schutzwürdiges Interesse verletzen, zum Beispiel die Privatsphäre.

Die Aufregung über Street View und das Recht auf Vergessen zeigen, dass Europa Google bereits in die Schranken wies – zumindest ein bisschen. Ob sich Google zu wenig an die Datenschutzgesetze hält und dadurch Vorteile ergattert, kann auch noch Thema im aktuellen Wettbewerbsverfahren werden.

§8. Google hat ein Problem (es heißt Facebook).

Google, ein Riese mit bombastischen Plänen, die an Science-Fiction erinnern. Doch bei all der Aufregung wird in Europa oft eines vergessen: Neben Google wächst ein zweiter digitaler Riese heran, nämlich Facebook.

Das soziale Netzwerk hat laut eigenen Angaben monatlich knapp 1,4 Milliarden User. Durchschnittlich 745 Millionen User rufen sogar jeden Tag von ihrem Smartphone oder Tablet Facebook auf. Das Unternehmen von Mark Zuckerberg ist vielerorts sogar besser aufgestellt als der Suchmaschinenprimus.

Der wichtigste Trend im digitalen Business ist die steigende mobile Internetnutzung. Immer mehr User surfen zunehmend via Smartphone und Tablet.

Facebook hat sich geschickt darauf vorbereitet, kaufte auch erfolgreiche Onlinedienste wie das Fotoportal Instagram oder den Kurznachrichtendienst WhatsApp ein.

In den USA merkt man bereits, dass Facebook Google näher rückt. Viele Amerikaner, vor allem Jüngere, nutzen Facebook als Tor zur Welt – sie steuern oft nicht mehr direkt eine Nachrichtensite an, googeln auch nicht gezielt nach einem Thema, sondern lassen sich von Facebook die wichtigsten Meldungen liefern. „Wenn eine Nachricht wichtig ist, wird sie mich erreichen“, lautet dabei das Motto.

Waren US-Medien früher stark von Google und dessen Suchalgorithmus abhängig, spielt heute Facebook eine zunehmend größere Rolle. Und das wirkt sich auch auf den Werbemarkt aus, wo Google bisher sein Geld verdient. Facebook hat auch hier bedeutende Weichenstellungen gesetzt, die Werbeplattform Atlas gekauft und will die User umso gezielter – egal auf welchem Gerät – mit maßgeschneiderter Werbung beliefern.

All dies ist für Google eine beunruhigende Entwicklung und führt zur Frage: Wenn Europa so streng auf Google blickt, warum tut es das nicht auch bei Facebook?

Das Internet ist für uns alle „Neuland“, sagte einmal die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und erntete Häme – zu Unrecht. Die Zukunft Googles ist absolut ungewiss. Sie hängt nun nicht nur von der eigenen Innovationskraft, von abstrus klingenden „Moonshot“-Projekten (siehe §4) und von Gegenspielern wie Facebook ab, sondern auch von der Strenge der Europäischen Kommission und der Frage, ob Europa für Internetriesen so strenge Vorgaben machen sollte wie für das Strom- und Wassernetz.

MITARBEIT: JOSEPH GEPP

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.