Spanische Hofreitschule

„Wir wollen von einer reinen Tourismusattraktion wegkommen“

Alfred Hudler, neuer Geschäftsführer der Spanischen Hofreitschule, über galoppierende Kosten, lahmende Einnahmen und ob eine fehlende Ausbildung in klassischer Reitkunst in seinem Job ein Problem ist.

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Gegenüber der Spanischen Hofreitschule befindet sich das Büro von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel. Der meinte vor über 21 Jahren, dass die „alten Schablonen – Lipizzaner, Mozartkugeln oder Neutralität – in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr greifen“. Ich nehme an, Sie sehen das anders, sonst hätten Sie sich für Ihre neue Position gar nicht beworben.
Hudler
Ich bin als Wiener aufgewachsen mit der Spanischen. Ich habe sie immer sehr faszinierend gefunden, ihre Schönheit, Eleganz, Ästhetik, Perfektion. Ich bin mein ganzes Leben sehr viel gereist und habe die Spanische immer als eine Visitenkarte Österreichs gesehen. Im positiven Sinne. Und das sehe ich bis heute so. Übrigens habe nicht ich mich beworben – ich wurde letzten Sommer vom Headhunter Stanton Chase angerufen. Zugegeben, ich war sehr schnell begeistert, die Spanische ist einfach eine großartige Institution.
Sie haben sich unter 41 Mitbewerbern durchgesetzt. Der Rechnungshof hatte zuvor bemängelt, es fehle ein durchgehendes Marketingkonzept. Ist deshalb die Wahl auf Sie gefallen?
Hudler
Die Entscheidungskriterien kenne ich nicht. Ich bringe natürlich sehr viel Erfahrung und Verständnis mit, was Markenführung und die Entwicklung hochwertiger Marken betrifft – und auch viel Leadership.
Sind Sie selbst schon von Handball auf das Pferd umgesattelt?
Hudler
Ich habe seit meiner Kindheit Leistungssport betrieben, sehr intensiv Handball, einen Mannschaftssport. Ich bin immer wieder geritten, bin auf Pferden gesessen. Aber ich habe keine Ausbildung in der klassischen Reitkunst.
Das Wissen über klassische Reitkunst war in dieser Ausschreibung auch nur noch wünschenswert, nicht mehr Voraussetzung. Ich nehme an, Sie lassen sich da von den Oberbereitern coachen?
Hudler
In dem ganzen Bewerbungsprozess habe ich mir natürlich diese Frage auch gestellt, nicht aus der klassischen Reitkunst kommend, ob ich das auch gut und sehr gut machen kann. Das ist stets mein Anspruch. Dann dachte ich mir, dass es kein Nachteil ist, im Gegenteil. Zur Reitkunst kann ich wiederum andere Kompetenzen einbringen. Jetzt geht es darum, alle Kompetenzen zusammenzuführen, um die besten Voraussetzungen für Perfektion auf höchstem Niveau zu schaffen. Ich richte gerade ein Gremium zur klassischen Reitkunst ein, mit dem Ziel, verschiedene Perspektiven und Know-how einzubeziehen, immer zum Wohl der Pferde.
Sie sind jetzt 100 Tage im Amt. Konnten Sie sich persönlich schon einbringen?
Hudler
Was ich einbringe, ist sicher auch ein neuer Blickwinkel, ein Geist der Erneuerung. Das tut jeder Organisation gut. Wobei ich da behutsam vorgehe, mit einem großen Respekt vor ihrer langen Tradition.
Sie suchen ein neues Publikum?
Hudler
Die Idee ist schon, dass wir noch wesentlich mehr Menschen ansprechen. Da geht es darum, einerseits diesen Anspruch auf Perfektion zu wahren, aber trotzdem die Spanische Hofreitschule nahbar zu machen. In Wien hat jeder eine große Hochachtung vor der Spanischen Hofreitschule. Aber viele sagen: „Ich bin noch nicht auf die Idee gekommen, dorthin zu gehen.“ Wir wollen von einer reinen Tourismusattraktion wegkommen, ein Gesamterlebnis schaffen.
Was ist das genau? Ihr neuer Kletterpark im Gestüt Piber?
Hudler
Auch der gehört dazu, auch wenn viele sagen, dass man von der eigentlichen Attraktion, den Pferden, ablenkt. Nur, wir gewinnen so neue Besucher und Familien, die sonst nie auf die Idee gekommen wären, unser Gestüt zu besuchen und bei einem gebotenen Gesamterlebnis auch eher wiederkommen. Den gleichen Anspruch haben wir für unseren Standort in Wien. Der Unternehmenskern wird selbstverständlich die Pflege der klassischen Reitkunst und auch die Zucht bleiben. Das ist ja auch so im UNESCO-Kulturerbe verankert. Aber es gibt rundherum noch so viel zu erzählen und viel zu erleben. Denken Sie etwa an die damals schon zukunftsweisende Architektur der Winterreitschule, eine große Halle ohne Säulen. Zur klassischen Reitkunst gehören ebenso die alten Handwerke wie die Sattler, der Hutmacher, der Schmied. Die Spanische ist also nicht nur Touristenmagnet. Sie hat auch einen Bildungsauftrag.
Was ist eigentlich aus dem 120-Millionen-Euro-Projekt, einem Lipizzaner-Resort mit 200 Betten und 24 Suiten auf dem Gelände des Bundesgestüts Piber, geworden? Finanziert von einer privaten Liechtensteiner Investorengruppe in Zusammenarbeit mit dem Grazer Architekten Thomas Pucher? Die Stadtgemeinde Köflach hat ja schon Ende 2021 ein überarbeitetes Konzept beim Land eingereicht.
Hudler
Ah, ja? Das ist mir noch gar nicht untergekommen. Aber ich treffe ohnehin den Bürgermeister. Ich habe jetzt nicht vor, dass wir ein Hotel bauen. Aber es geht mir schon darum, Kooperationen zu suchen und dass wir Möglichkeiten schaffen, dass es für jemanden attraktiv wird, dort auch Übernachtungsmöglichkeiten und Erlebnisgastronomie zu bieten.
Kann man ein Kulturgut wie die Hofreitschule genauso vermarkten wie Limonaden und Bier?
Hudler
Ich würde sagen ja und nein. Für mich ist eine Marke ein Leistungsversprechen und ein Wertesystem. Die Spanische Hofreitschule ist eine Luxusmarke, wenn man so will, mit sehr großer Bekanntheit. Unsere Marke ist weltweit einzigartig, nicht so leicht reproduzierbar und kopierbar. Man muss wissen, dass die Ausbildung von Bereiterinnen und Bereitern sowie der Pferde acht bis zehn Jahre dauert. Wir haben es vor allem mit Tieren zu tun. Das Tierwohl steht bei uns an allererster Stelle – auch wenn wir noch so geniale Marketingideen haben. Die Besucher sollen idealerweise die kleinen, aber ständigen Veränderungen nicht merken. Es geht darum, die Institution zeitgemäß zu halten. Wir starten jetzt zum Beispiel einen Test auf TikTok, um jüngere Besucherinnen und Besucher anzusprechen. Neben den besonderen analogen, wollen wir künftig auch virtuelle Erlebnisse bieten. Der Markenaufbau soll aber kein Hüftschuss werden, wir wollen ihn professionell angehen. Dafür haben wir ein Institut der Universität St. Gallen beauftragt.
Kann man sich eine aufwendige Modernisierung überhaupt leisten? Sie haben ja auch einen Schuldenrucksack übernommen.
Hudler
Wir kämpfen wie alle Unternehmen und Privaten auf der Welt mit enormen Kostenexplosionen, und das in allen Bereichen. Von der Energie über Futtermittel, Einstreu bis zum Personalaufwand. Wir schauen uns alle Prozesse genau an und überlegen uns, wie wir die ganzen Abläufe effizienter machen können. Grundsätzlich ist die Spanische Hofreitschule sehr, sehr schlank aufgestellt. Wir möchten dennoch alles neu ausschreiben, um sicherzugehen, dass wir auch wirklich überall sehr wettbewerbsfähige Konditionen haben. Vor allem möchten wir aber die enormen Kostensteigerungen auf der Umsatzseite abfedern. Ich habe mit meinem Team schon einen Arbeitsplan für das Jahr 2023 erstellt.
Was steht auf der Prioritätenliste?
Hudler
Ein genauer Ausbildungsplan, wie viele Bereiterinnen und Bereiter sowie Pferde man ohne Qualitätsverlust ausbilden kann, dies in Verbindung mit unserer Lehrlingsoffensive im Frühjahr mit einem Tag der offenen Tür.
Haben Sie Nachwuchsprobleme?
Hudler
Wir haben sehr, sehr viele Interessentinnen und Interessenten. Das Entscheidende ist, dass man möglichst rasch erkennt, wer auch wirklich bereit ist, diesen harten Weg einer intensiven Ausbildung zu gehen. Ganz wichtig ist auch, einen mehrjährigen Tourneeplan zu erstellen. Dies wiederum unter Berücksichtigung des Tierwohls, damit die Belastung nicht allzu groß ist.
Der Rechnungshof fordert von der Hofreitschule einerseits mehr Wirtschaftlichkeit ein, kritisiert zugleich die hohe Einsatzfrequenz und den Einsatz von Hengsten bei Vorführungen, die konditionell dazu nicht in der Lage sind. Wie wollen Sie den Spagat lösen?
Hudler
Den Spagat werde ich auch nicht mit Schnellschüssen lösen. Wir haben auch ein Gremium aus Tierärzten, Stallmeistern und Oberbereitern zum Thema Tierwohl gegründet. Und bei den ganzen Empfehlungen wird man irgendwann dann sagen müssen, was machbar ist und was nicht.
Der Rechnungshof sieht beim Personal Einsparungspotenzial von 500.000 Euro pro Jahr. Ist das machbar?
Hudler
Wie gesagt, keine Schnellschüsse. Das schaue ich mir jetzt in Ruhe mit dem Team an. Wir werden analysieren, was unter Umständen auch korrigiert werden muss.
Ihre Vorgängerin hat ein Konzept vorgelegt mit einem Umsatzziel für 2023 von 13 Millionen Euro. Ist das realistisch?
Hudler
Nachdem ich am 1. Dezember 2022 begonnen habe, habe ich ein Budget für 2023 übernommen, das wir versuchen bestmöglich umzusetzen. Ob die Umsatzziele erreicht werden können, wird davon abhängen, wie rasch der Tourismus wieder zu früherer Stärke zurückkehrt. Die ersten zwei Monate sind durchaus positiv. Aber das sind nicht die stärksten Monate. Momentan wird erstens viel kurzfristiger gebucht. Zweitens bemerken wir schon ein gestiegenes Preisbewusstsein der Besucherinnen und Besucher.
Ist Shrinkflation angesagt – weniger Menge zum gleichen Preis?
Hudler
Wie gesagt, eine Marke ist auch ein Wertesystem. Und zu einem Wertesystem gehört für mich auch, dass es keine Mogelpackungen gibt. Es würde auch nichts bringen, wenn man die Vorführung um zehn Minuten verkürzt.
Und wenn man die Aufführungen zeitlich optimiert? Gerade in den touristisch wichtigen Sommermonaten sind die Pferde auf der Weide.
Hudler
An erster Stelle steht das Tierwohl. Aber natürlich wäre es schön, wenn man die stärksten Monate auch nützen kann. Da muss man sich auch anschauen, wie man das Trainingszentrum am Heldenberg touristisch besser nutzen kann. Hier bietet sich das Thema Wissensvermittlung, eine Sommerakademie an, aber so weit sind wir noch nicht. Einen Schritt nach dem anderen.
Sie bekommen ja auch Förderungen. Eine Million Euro aus dem Landwirtschaftsministerium für den Zuchtbetrieb in Piber. Dazu die Zuschüsse vom Bund, Niederösterreich und der Steiermark für den Betrieb. Das waren von 2014 bis 2019 immerhin 8,49 Millionen Euro. Reicht das?
Hudler
Auch hier steht ein Zukunftskonzept für die nächsten Jahre ganz oben auf der Agenda, auf dessen Basis wir dann unseren Finanzierungsbedarf genau ermitteln.
Apropos Finanzierung. Glauben Sie, kehrt nach Einstellung der Untreue-Erhebung in der Causa Hengst Maestoso Fantasca-67 jetzt Ruhe in die Hofreitschule ein? Aufsichtsrat Johann Marihart wurde vorgeworfen, er habe den Lipizzaner-Hengst seiner Tochter auf Kosten der Hofreitschule zureiten lassen. Die Hofreitschule hat nun den Hengst zum einstigen Kaufpreis von 12.000 Euro zurückgekauft. Aus Ihrer Sicht ein guter Abschluss?
Hudler
Das war vor meiner Zeit. Aber ich denke, dass es eine gute Lösung ist, dass der Hengst jetzt wieder ganz im Dienst der Spanischen Reitschule steht.
Zäumen wir das Pferd von hinten auf: Wird es unter Ihrer Geschäftsführung Einstellverträge wie im Fall Marihart und private Reitstunden durch Bereiter der Hofreitschule geben?
Hudler
Man muss hierfür eine Compliance-Richtlinie erstellen, die sauber und transparent ist, was ungerechtfertigte, aber auch gerechtfertigte Fälle sind. Das gehört professionalisiert. Pferdepatenschaften per se ergeben Sinn, und die gibt es ja auch schon. Ich kann mir für den Marken-Aufbau auch einen Förderverein vorstellen, wie ihn die Wiener Staatsoper hat.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat? Der Vorsitzende, Verkehrsbüro-CEO Martin Winkler, und die meisten anderen Aufsichtsräte waren Ihnen bestimmt schon bekannt.
Hudler
Es gibt einen guten, konstruktiven Austausch. Wir haben eine sehr gleiche Sicht, wie wir die Dinge angehen und vorantreiben wollen. Das Maß aller Dinge ist, dass die ganze Welt auf die Spanische Hofreitschule schaut, dass die Marke noch strahlender, attraktiver wird und damit interessanter für unsere Kooperationspartner sowie für Besucherinnen und Besucher aus dem In- und Ausland und dass wir damit auch eine gesunde wirtschaftliche Basis schaffen. Die Spanische hat ja jetzt schon nach Schönbrunn die zweithöchste Eigendeckung.
Wie ist das Verhältnis Einnahmen zu Ausgaben?
Hudler
Rund 94 Prozent. Durch den Ausbau eines hochwertigen Angebots möchte ich zumindest ein ausgeglichenes Ergebnis erzielen. Sehr ambitionierte Ziele setzen ganz andere Energien frei. Wenn ich mir vornehme, ich möchte Olympiasieger werden im 400-Meter-Lauf, dann brauche ich eine andere Einsatzhaltung und andere Trainingsmethoden …
… und Bedingungen. Die Spanische Reitschule steht zu 100 Prozent im staatlichen Eigentum, wurde 2001 ausgegliedert und hat seither Liquiditätsprobleme. 2014 bestand laut Rechnungshof sogar eine ernsthafte Überlebensgefahr. Würde zumindest eine Teilprivatisierung hier Sinn ergeben, um die Finanzierung zu sichern?
Hudler
Die Frage der Liquidität ist natürlich für mich als Geschäftsführer eine ganz relevante, zurzeit stellt sie sich allerdings nicht. Es ist auch das Ziel, dass wir uns durch Verbesserungen auf der Kostenseite und höhere Umsätze mit dem Thema nicht mehr beschäftigen müssen. Zum Thema Teilprivatisierung ist – wie gesagt – der erste Ansatz, dass wir in der jetzigen Struktur Kooperationspartner für unsere Marke finden. Das ist eine klassische Win-win-Situation.
Ihr Vertrag läuft bis zum 30. November 2027. Was wollen Sie erreichen?
Hudler
Dass die Spanische Hofreitschule mit ihrer langen Tradition und gelebten Geschichte auch für zukünftige Generationen relevant, attraktiv, faszinierend und einzigartig ist.