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Insidergeschäfte: Was europaweit streng bestraft wird, bleibt in Österreich oft ungesühnt

Insidergeschäfte. Was europaweit streng bestraft wird, bleibt hierzulande oft ungesühnt

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Nehmen wir an, Sie wären Vorstand eines börsennotierten Unternehmens. Nehmen wir weiters an, dieses hat eine technologische Innovation zur Marktreife gebracht. Sie wissen, Ihr neues Produkt wird für steigende Umsätze und ebensolche Aktienkurse sorgen. Sprich, die Geschäftsentwicklung positiv beeinflussen.

Kurz bevor die PR-Abteilung die Neuigkeit öffentlich macht, kaufen Sie im großen Stil Aktien Ihres eigenen Unternehmens. Als der Rest der Welt von der Erfindung erfährt, steigt der Kurs - wie erwartet - deutlich. Und Sie sind um ein paar hunderttausend Euro reicher.

Würden Sie nicht tun? Weil verboten?

Theoretisch strafbar, praktisch nicht?
Gemäß Paragraf 48 Börsegesetz macht sich strafbar, wer eine "Insiderinformation mit dem Vorsatz ausnützt“, sich oder einem Dritten "einen Vermögensvorteil zu verschaffen“.

Eingangs erwähnte Causa hat sich tatsächlich zugetragen. Die österreichische Finanzmarktaufsicht (FMA) brachte sie vor einigen Jahren zur Anzeige. Aus medienrechtlichen Erwägungen nennt profil weder den Namen des Unternehmens, noch jenen des betreffenden Vorstandes.

Eigentlich schien der Fall klar. Der Vorstand verfügte gegenüber anderen Aktionären oder potenziellen Investoren über einen Wissensvorsprung. Er nutzte diesen zu seinem persönlichen finanziellen Vorteil. So definiert sich Insiderhandel. Und der ist verboten.

Zu einer Verurteilung kam es dennoch nicht. Nicht einmal zu einer Anklage. Das bringt die Finanzmarktaufseher noch heute auf die Palme (siehe Interview). Denn besagter Vorstand zog sich relativ elegant aus der Affäre: Er legte dem Staatsanwalt eine eidesstattliche Erklärung seines in einer Regionalbank tätigen Beraters vor. Dieser bekundete, er habe den Kauf der Wertpapiere empfohlen, unabhängig und in Unkenntnis der bevorstehenden Produkteinführung. Das Verfahren wurde daraufhin eingestellt.

Bisher kaum Verurteilungen
Kein Einzelfall. Bei ihren Bemühungen, Missetäter zu sanktionieren, ist der FMA wenig Erfolg beschieden. Zu Verurteilungen kam es bisher kaum. Also alles in bester Ordnung am Finanzplatz Österreich?

Mitnichten, meint die Behörde. Würde sich die österreichische Rechtsprechung an den europäischen Maßstäben orientieren, hätte es zu deutlich mehr Verurteilungen kommen müssen.

30 Millionen Transaktionsmeldungen erhält die FMA pro Jahr. Unter diesen identifizierte das automatische Überwachungssystem rund 1500 auffällige Kursbewegungen. Bei etwa 70 Fällen ging die FMA ins Detail und begann tiefergehende Recherchen. Sie studierte Ad-hoc-Mitteilungen, kontrollierte Transaktionen von Vorständen und Aufsichtsräten, nahm Kontakt mit Verdächtigen auf und ließ Wertpapierkonten öffnen. Das führte seit Gründung der Behörde im Jahr 2002 zu insgesamt 20 Anzeigen mit 86 Beteiligten.

Aus Sicht der FMA hätten all diese Fälle mit Verurteilungen enden müssen. "Wir zeigen nur an, wenn die Suppe richtig dick ist“, sagt FMA-Sprecher Klaus Grubelnik. Tatsächlich führten lediglich sieben Fälle zu gerichtlichen Anklagen, davon kam es in zwei zu rechtskräftigen Verurteilungen. Neun Causen wurden eingestellt, vier weitere auf dem Wege der Diversion erledigt.

Für die Betroffenen ein glimpfliches Ende. Denn Insiderhandel ist kein Kavaliersdelikt. Im schlimmsten Fall drohen Haftstrafen bis zu fünf Jahren.

Das Problem mit der Kausalität
In Österreich gehen Börseninsider meist straffrei aus, weil ihnen von einer Staatsanwaltschaft (die Finanzmarktaufsicht kann die Fälle nur zur Anzeige bringen, die Verfolgung von Verdächtigen ist Aufgabe der Justiz) Vorsatz und Bereicherungsabsicht nachgewiesen werden müssen. Es geht um Kausalität. Und das ist entsprechend schwierig. Wie soll man wiederlegen, dass der Beschuldigte nicht aus irgendwelchen anderen Gründen gehandelt hat?

Selbst wenn die Indizien recht eindeutig sind, passiert den Betroffenen nicht viel. So hatte sich ein Aufsichtsrat eines heimischen Unternehmens mit Aktien eines anderen eingedeckt - weil er von einer bevorstehenden Übernahme wusste. Noch während der Aufsichtsratssitzung, in welcher das Vorhaben diskutiert wurde, gab er die Order zum Kauf. Das konnte durch einen Telefonmitschnitt belegt werden. Doch die Staatsanwaltschaft scheute einen Prozess, weil die subjektive Tatseite, also Vorsatz und Motiv des Handelns, kaum belegbar ist. Das Verfahren endete in einem Vergleich, der Aufsichtsrat entging somit einer Vorstrafe.

"So wie das Thema hierzulande gehandhabt wird, dient das sicher nicht zur Verhinderung von Insiderdeals“, meint Wilhelm Rasinger vom Interessenverband für Anleger. "Andere Länder agieren da praxisnäher“, so der Anlegerschützer.

EuGH geht prinzipiell von Vorsatz aus
Im Gegensatz zur österreichischen reicht in der europäischen Rechtsprechung das Wissen um einen Insidersachverhalt, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) anhand des Falls rund um die Spector Photogroup präzisiert hat. Das belgische Unternehmen hatte zwecks Ausgabe von Mitarbeiteraktien eigene Wertpapiere gekauft. Danach veröffentlichte Spector Geschäftszahlen, die zu einem Kursanstieg führten. Die Frage für den EuGH war, ob diese Insiderinformation vorsätzlich genutzt wurde. Das Oberste Gericht stellte fest, dass bei Insidern, die im Besitz einer Insiderinformation handeln, prinzipiell ein Vorsatz anzunehmen sei. Alles andere müsse der Beschuldigte beweisen.

In Ländern wie Deutschland ist fahrlässiger Insiderhandel strafbar. In Österreich ist dieser totes Recht.

Auch bei den Meldepflichten weicht die österreichische Judikatur von der anderer EU-Staaten ab. Grundsätzlich sind Insiderinformationen - also Sachverhalte, die den Börsenkurs eines Unternehmens beeinflussen können - unverzüglich zu veröffentlichen. Die Ad-hoc-Meldepflicht soll sicherstellen, dass wesentliche Informationen dem breiten Publikum zur Verfügung stehen, um allen am Markt die gleichen Chancen zu geben. Doch die Rechtsmeinungen, ab wann ein Unternehmen Infos tatsächlich veröffentlichen muss, gehen auseinander. Das liegt zu einem nicht unerheblichen Teil an der missverständlichen Übersetzung der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie ins Deutsche. Während hierzulande ein Ereignis mit "hinreichender Wahrscheinlichkeit“ eintreten muss, muss es in allen anderen Sprachfassungen in "vernünftiger Weise zu erwarten“ sein, stellte der EuGH kritisch fest. Der Laie mag hier keine Divergenz erkennen, der Jurist schon.

Der Fall Jürgen Schrempp
Relevant wird die Frage bei Ereignissen, die monatelang vorbereitet werden. Etwa Firmenübernahmen oder Personalwechsel auf höchster Ebene. Laut Ansicht der FMA müssten Unternehmen auch über Zwischenschritte, unabhängig von der Eintrittswahrscheinlichkeit, informieren. Der EuGH sieht das ähnlich, wie der Fall Jürgen Schrempp zeigt. Im Mai 2005 setzte Daimler-Chrysler Vorstand Schrempp den Aufsichtsratschef des Unternehmens darüber in Kenntnis, dass er vorzeitig aus seinem Amt ausscheiden würde. Erst im Juli desselben Jahres wurde eine diesbezügliche Ad-hoc-Mitteilung veröffentlicht. An den Börsen wurde das Ereignis gefeiert, denn Schrempp hatte in seiner Amtszeit kein glückliches Händchen bewiesen. In den Tagen vor der Ad-hoc-Meldung hatten einige Anleger ihre Aktien verkauft. Sie kamen nicht mehr in den Genuss des Kursanstiegs und fühlten sich geschädigt. Nach ihrer Auffassung hatte Daimler-Chrysler die Nachricht zu spät verbreitet. Die Höchstrichter gaben ihnen Recht.

Für den österreichischen Verwaltungsgerichtshof liegt eine Meldepflicht indes erst vor, wenn ein Vorhaben fix ist, wie er in einigen Urteilen dargelegt hat. Für die FMA unverständlich: "Das bedeutet ja, dass Insider über einen erheblichen Zeitraum völlig unbehelligt agieren könnten“, meint Grubelnik. Die Behörde wollte deshalb in einem konkreten Fall eine Klarstellung vom Europäischen Höchstgerichts einholen. Doch das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) machte den Finanzaufsehern einen Strich durch die Rechnung. "Das Gericht hat entschieden, in diesem Fall kein Ansuchen an den EuGH zu stellen“, erklärt eine Sprecherin gegenüber profil.

Anwalt Christoph Schrank von der Kanzlei Brandl & Talos macht noch weitere Mängel aus: "Im Strafrecht ist man streng an den Wortlaut des Gesetzes gebunden. Doch dieses umfasst nur Handlungen. Der Tatbestand der Unterlassung ist nicht strafbar“, erklärt der Kapitalmarkt-experte. Als Beispiel: Ein Anleger, der eine Verkaufsorder terminisiert hat, könnte Insiderzugang zu Geschäftszahlen bekommen, die belegen, dass das Unternehmen deutlich besser dasteht als ursprünglich angenommen. Aus rein ökonomischen Überlegungen, würde er nun wohl von einem Verkauf absehen, weil er nach Veröffentlichung des Geschäftsberichtes deutlich mehr Rendite lukrieren würde. "Das ist eine Lücke, die der Gesetzgeber schließen müsste“, meint Schrank.

Im Justizministerium sieht man aktuell keinen Handlungsbedarf.

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.