"Irgendwann werden sich Verbraucher wieder normal benehmen"

Interview: Nobelpreisträger Vernon L. Smith über das Übel der Überschuldung

Geldpolitik. Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Vernon L. Smith über das Übel der Überschuldung

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Interview: Heike Wipperfürth

profil: Sie waren kürzlich auf der Tagung der Nobelpreisträger in Lindau, wo man zu dem allgemeinen Schluss kam: Mit der Wirtschaft in der Eurozone werde es auch weiter bergab gehen. Droht diese in einer permanenten Krise zu versinken?
Vernon Lomax Smith: Amerika und Europa befinden sich in einer Bilanzrezession. Das ist eine ungewöhnliche Rezession, in der Privatleute bis über beide Ohren verschuldet sind und der Abbau der Verbindlichkeiten höchste Priorität für sie hat. Sie wirkt sich auch negativ auf die Banken aus. In Amerika ist diese Situation dadurch entstanden, dass die Hauspreise nach dem Kollaps der Immobilienblase enorm an Wert verloren haben, die Hypothekenverschuldung der US-Privathaushalte aber unverändert hoch blieb. Auch Europa leidet unter der hohen Verschuldung der Privathaushalte.

profil: Behindert diese hohe Verschuldung des Privatsektors das Wirtschaftswachstum? In der Eurozone liegt diese, gemessen am BIP, bei 160 Prozent, in den USA bei 143 Prozent.
Smith: Ja, Staaten wie Schweden, Finnland, Norwegen und die südasiatischen Staaten haben das bereits erlebt. Am dramatischsten litt der japanische Privatsektor nach dem Platzen der Immobilienblase in den 1990er-Jahren unter der Verschuldung. Das geschah, weil die Banken ihre Hypothekenforderungen nicht reduzierten, um Aktionäre vor Verlusten zu schützen, obwohl der Wert der Immobilien dramatisch eingebrochen war.

profil: Was halten Sie davon, die Wirtschaft mit der Senkung der Lohn- und Einkommenssteuern anzukurbeln, wie Österreich das jetzt erwägt?
Smith: Wenn die Regierungseinnahmen dann im Vergleich zu der festen Schuldenlast sinken sollten, wurde das Problem nicht gelöst. Ich darf aber auch noch auf etwas anderes verweisen, nämlich in Schwierigkeiten geratene Banken scheitern zu lassen. Wenn die Aktionäre gescheiterter Banken ausbezahlt werden, bleibt für die Wiederinbetriebnahme neuer Aktivitäten der Banken weniger Geld übrig. Es wäre also besser, wenn sie Insolvenz anmelden. Auch wenn Ökonomen das nicht sagen und Politiker es nicht verstehen: Wir dürfen uns nicht der Vorstellung hingeben, dass es Banken gibt, die zu groß zum Scheitern sind. Sie sind der Grund, warum wir stagnieren.

profil: Was muss sonst noch geschehen, damit es mit der Wirtschaft der Eurozone wieder bergauf geht?
Smith: Die Talfahrt des Euro ist gut für den Export und wird Europa bei der Erholung helfen. Thailand, Südkorea und Argentinien haben das vorgemacht. Erst als diese Länder von Währungskrisen betroffen wurden, begab sich ihre Konjunktur auf den Weg der Besserung. In den USA ist das anders - passiert irgendwas, flieht die ganze Welt in den Dollar. Auf ihm liegt nun einmal der Fluch, eine Weltreservewährung zu sein.

profil: Wie reagieren Sie auf die Vorwürfe der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Lindau, dass Wirtschaftstheorien oft falsch und unrealistisch seien und sich die Politik dadurch zu oft falschen Rat hole?
Smith: Dass ihre Vorwürfe stimmen, zeigt die Rettung der Bank of America und der Citibank durch amerikanische Steuerzahler während der Finanzkrise. Obwohl die US-Regierung den Banken toxische Papiere abkaufte, entsprechen die Aktienpreise der beiden Banken nur 75 Prozent ihres Buchwertes. Ich glaube, die Aktienwerte bleiben deshalb so niedrig, weil sich Investoren vor den faulen Krediten fürchten, die in den Bilanzen der Banken versteckt sind. Sie wurden nicht abgeschrieben, um den Gewinn nicht zu schmälern.

profil: Sie würden also keine Banken retten. Europäische Pleitestaaten auch nicht?
Smith: Die EU steckt viel Geld in die südeuropäischen Pleitestaaten, um die Anleihegläubiger vor Verlusten zu bewahren. Angeblich versucht man so, die Werte zu erhalten. Aber wo sollen denn die Mittel herkommen, damit man das alles fördern kann? Umgekehrt fließt zu wenig Geld in neue Aktivitäten und Innovationen, die dringend nötig sind, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.

profil: Stimulus-Programme wirken nicht?
Smith: Der Ökonom John Maynard Keynes schlug vor, der Staat solle versuchen, die Konjunktur in schwierigen Zeiten mit Niedrigstzinsen anzukurbeln. Damit hatte die US-Regierung in allen Rezessionen Erfolg - nur in den beiden Bilanzrezessionen nicht: Ich spreche hier von der großen Depression der 1930er-Jahre und der großen Rezession nach dem Platzen der US-Immobilienkrise im Jahr 2007. Es ist nun mal so: Zinssenkungen klappen nicht, wenn Haushalte nichts anderes im Kopf haben, als ihre Verschuldung abzustottern.

profil: Würden Sie der EZB sagen: Das Senken des Leitzinses im September auf das neue Rekordtief war ein Fehler?
Smith: Es war ein nutzloses und entmutigendes Eingreifen.

profil: Droht uns ein neuer Börsencrash?
Smith: Ich sage keine Aktiencrashs voraus. Sollte es zu einem Aktienabsturz kommen, hätte er nicht so verheerende Folgen wie der Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes - der Aktienmarkt ist nicht so tief in der Wirtschaft verwurzelt wie der Immobilienmarkt.

profil: Vor einem Jahr bezeichnete IWF-Chefin Christine Lagarde Notenbanker als "die wahren Helden der Krise". Aber waren nicht sie es, die uns in die Krise gerissen haben?
Smith: Schon 2005 erkannten die Banker der Fed, dass die Immobilienpreise viel schneller nach oben kletterten als die mittleren Einkommen und dass somit eine Blase im Entstehen war. Sie konnten sich aber die verheerenden Konsequenzen der Immobilienkrise, die dann erst zwei Jahre später so richtig zuschlug, nicht vorstellen, weil sie in Erinnerung hatten, dass das Platzen der Dotcomblase im Jahr 2001 letztlich nur geringe Auswirkungen auf die Wirtschaft gehabt hatte. Diese Denkweise überrascht mich, denn es war auch schon 2005 so klar und offensichtlich, was passieren würde.

profil: Was hätten Sie getan?
Smith: Ich hätte eingegriffen, was gar nicht gegangen wäre, denn ich wäre rausgeschmissen worden. Es wollten doch alle viel lieber glauben, dass das Platzen der Blase keine furchtbar schlimmen Folgen haben würde.

profil: ... oder wären Sie als Retter gefeiert worden?
Smith: Auf keinen Fall. Auf mich hätte keiner gehört, denn dann hätte man etwas unternehmen müssen. Im US-Kongress wäre es zu Hearings gekommen und die Blase wäre schon viel früher geplatzt. Wir wären genauso in eine Rezession gerutscht, hätten aber möglicherweise die große Rezession vermieden. Nun ist es aber so: Es gibt keine Wähler, die Kongressabgeordnete oder Senatoren unterstützen, die eine Rezession in Kauf nehmen, um noch Schlimmeres zu verhüten -und das wissen die Politiker.

profil: Und so werden die Notenbanker als Helden gefeiert?
Smith: Ich glaube, sie geben ihr Bestes. Seit den 1940er-Jahren gilt die Senkung der Zinsen als die einzige Möglichkeit, um eine angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln. Keynesianer wie die Nobelpreisträger Paul Krugman und Joe Stiglitz begreifen einfach nicht, dass eine Bilanzrezession so nicht gelöst werden kann.

profil: Was wird Ihrer Meinung nach nicht bedacht?
Smith: Die Modelle ließen das Wichtigste unberücksichtigt: die Überschuldung der Privathaushalte. Das Abstottern der Schulden hat begonnen, und irgendwann werden sich die Verbraucher wieder ganz normal benehmen, aber wann es so weit ist, weiß ich nicht.

profil: Was läuft denn falsch?
Smith: Die Theoretiker der rationalen Erwartung, die davon ausgehen, dass Menschen vernunftbetonte Entscheidungen treffen, wussten ja noch nicht einmal, dass wir uns in einer Blase befinden, denn das hätte nicht in ihr Modell gepasst. Ich konnte aber schon in den 1980er-Jahren experimentell beweisen, dass die Mechanismen viel komplizierter sind: Ich sah, dass Teilnehmer meiner Laborexperimente die Preise in die Höhe trieben und auf diese Art Blasen entstanden. Es gibt offensichtlich immer die Hoffnung, dass man einem Dummkopf etwas teuer weiterverkaufen kann, was man selbst günstig erstanden hat.

profil: Bei Ihrer Tischrede in Stockholm vor zwölf Jahren erhoben Sie aber ein Glas auf die "wichtigste aufstrebende Errungenschaft der Menschen: Märkte". Würden Sie das heute auch noch tun?
Smith: Ich habe dazugelernt und würde zwischen zwei Märkten unterscheiden: dem Markt für 75 Prozent aller privaten Produkte, die man nur ein Mal kaufen kann, und dem Markt für Produkte, die man weiterverkaufen kann. Letzterer betrifft auch Immobilien oder Aktien. Märkte für Produkte wie Fleischlaibchen und Haarschnitte, die man nicht weiterverkaufen kann, sind die wichtigste Errungenschaft, würde ich heute sagen, denn sie laufen wie geschmiert.

profil: Was stört Sie denn am Immobilien- und Aktienhandel?
Smith: Es ist ein Problem für die Wirtschaft, wenn Menschen einfach nur deshalb Immobilien oder Aktien kaufen, weil die Preise steigen. Aber die meisten achten nicht darauf, wie lange der Boom noch anhalten könnte. Aufgrund dieses kurzfristigen Denkens schießen die Preise in die Höhe, und es ist sehr schwer, einen Abschwung vorherzusagen.

profil: Der aber immer kommen muss?
Smith: Zu einer großen Rezession wird es in meiner Lebzeit sicher nicht mehr kommen. Ich bin 87 Jahre alt und habe deshalb aufgehört, mir Sorgen zu machen. Es kann aber sein, dass ich Unrecht habe, denn jetzt haben wir das Problem, dass das US-Einkommen nicht so schnell steigt wie die Immobilienpreise. Faktum ist, dass ein Drittel der Immobilien in den USA heute mit Bargeld erworben wird. Meines Erachtens bauen die Käufer auf den Aufschwung und erhoffen sich in einer Welt der Nullzinsen eine satte Rendite. Das führt zu der Frage, an wen sie die Häuser eigentlich wieder verkaufen wollen, wenn die Banken kaum noch Kredite vergeben. An andere Käufer, die mit Bargeld zahlen?

Zur Person
Vernon Lomax Smith, 1927 geboren, gilt als Vater der experimentellen Wirtschaftsforschung, heute ein boomender Forschungszweig. Für seine wegweisende Forschung erhielt der Amerikaner 2002 den Nobelpreis für Ökonomie. Während andere Wirtschaftswissenschafter ihre Hypothesen mit mathematischen Formeln oder Analysen von Felddaten aus dem realen Leben testeten, veranstaltete Smith Experimente im Labor wie in der Naturwissenschaft. Bei dieser Pionierarbeit konzentrierte sich der Ökonom, der sein PhD- Studium 1955 an der Harvard Universität abgeschlossen hatte, auf die Erforschung der Märkte. Beeinflusst wurde er in seiner Lehre auch von dem gebürtigen Österreicher Friedrich August von Hayek, einem Verfechter des freien Marktes, der vor 40 Jahren mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet wurde. Auch Smith, der an der Chapman University in Kalifornien unterrichtet, ist kein Freund staatlicher Interventionen. In seinem neuesten Buch "Rethinking Housing Bubbles" nimmt der 87-Jährige die US-Immobilienblase unter die Lupe.