Komakaufen

Komakaufen: Die teuflische Konsumspirale

Jahresrückblick 2013. Die teuflische Konsumspirale

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Ich bin Konsument. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Es ist mir gleichsam mit der Geburt passiert. Seit ich bin, konsumiere ich: Atemluft, Wasser, Nahrung, Rohstoffe, Energie, Waren und Dienstleistungen sonder Zahl. Manches brauche ich, vieles glaube ich zu brauchen, und das meiste werde ich nie brauchen, so sehr die Werbung auch will, dass ich es will.
Da geht es mir nicht anders als Ihnen. Auch Sie sind Konsument oder Konsumentin, auch Sie haben sich das nicht ausgesucht. Und auch Sie treffen Tag für Tag Konsumentscheidungen.

Sie und ich und alle anderen sind Teil eines großen Ganzen, das nicht so leicht zu fassen ist. Wir unterscheiden uns in Alter, Bildung, Lebensumständen, Beruf, Einkommen, Vermögen, Schulden – und konsequenterweise auch in unseren Einkäufen.

Konsumgesellschafter und -innen tragen große Verantwortung. An ihnen – und letztlich nur an ihnen – liegt es, das Wirtschaftssystem in Gang zu halten. Würden Sie und ich und alle anderen die Konsumausgaben dauerhaft auf das Allernotwendigste reduzieren, wäre es rund um uns bald ziemlich dunkel.

Schon richtig, auch Unternehmen investieren in neue Produkte, Maschinen, Dienstleistungen, aber das sind wieder nur Vorstufen eines späteren Endverbrauchs. Und was hier in den Export geht, wird anderswo konsumiert (und umgekehrt). Selbst die sogenannten Konsumausgaben eines Staates – etwa in Bildung, Gesundheit oder Infrastruktur – sind Leistungen, die am Ende von dessen Bevölkerung abgerufen werden. Um überhaupt investieren zu können, ist der Staat auf Steuereinnahmen angewiesen, und auch diese sind eine Funktion des Konsums.

2013 war kein glanzvolles Jahr, daran vermochte selbst das Weihnachtsgeschäft nichts zu ändern. Die Ökonomen der Oesterreichischen Nationalbank gehen davon aus, dass wir heuer real (also bereinigt um die Inflation) nicht mehr konsumierten als im ohnehin schon schwachen Jahr 2012. Die Folge: Die Wirtschaft wuchs 2013 um gerade einmal 0,4 Prozent, das ist quasi Stillstand.

Doch 2014 und 2015 soll alles wieder besser werden. Die OeNB erwartet ein Wirtschaftswachstum von 1,6 Prozent beziehungsweise 1,9 Prozent. Das ist zwar auch nicht berauschend viel, aber ein Plus ist ein Plus.
Und da kommen wiederum Sie und ich und alle anderen ins Spiel. Schließlich soll das Konjunktürchen ja von einem, Zitat OeNB, „positiven Konsumwachstum“ getragen werden. Man kann das auch nuancieren: Die Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass die Konsumenten das Problem lösen werden, dessen Ursache sie eigentlich sind.
Werden wir das?

Sie und ich und alle anderen sind Teil einer Gleichung, die so voller Unbekannter ist, dass man ernsthaft fragen muss, wie sich da auf Dauer eine echte Konjunktur ausgehen soll. Um zu konsumieren, bedarf es sinnvollerweise eines verfügbaren Einkommens (allenfalls auch eines Vermögens). Das setzt zum Beispiel einen Job voraus. Und es setzt voraus, dass das Einkommen jährlich zumindest in dem Ausmaß steigt, in dem die Preise steigen. Das war in den vergangenen Jahren aber nicht nur in Österreich nicht der Fall. Die Preise stiegen stärker als Löhne und Gehälter, was die Kaufkraft quer durch alle Berufsgruppen (Ausnahme: die Beamten) geschmälert hat – übrigens in einem sehr viel stärkeren Ausmaß, als die Statistik vermuten ließe.

Es soll Menschen geben, die sich wundern, warum das Leben laufend und teils empfindlich teurer wird, obwohl der „harmonisierte Verbraucherpreisindex“ im Jahresverlauf 2013 gerade einmal um zwei Prozent gestiegen und für 2014 überhaupt nur von 1,7 Prozent die Rede ist. Die Antwort fällt relativ einfach aus: Der Index ist der Durchschnitt eines Durchschnitts, und damit eigentlich völlig unbrauchbar – es sei denn, man verzichtet zum Beispiel auf Nahrungsmittel und ernährt sich stattdessen von Flatscreens und Mobiltelefonen. Nun ist es aber so, dass Löhne und Gehälter eben nicht an die „gefühlte Inflation“ angepasst werden; deshalb ging die Schere zwischen Mitteln und Möglichkeiten in den vergangenen Jahren immer weiter auf. Und je weniger man verdient, umso stärker akzentuiert sich diese Schieflage. Wir müssen also mehr arbeiten, um uns das Gleiche leisten zu können. Von mehr ist da noch gar keine Rede.
So wir überhaupt Arbeit haben.

Das Problem der Reallohnverluste wird durch die mittlerweile dramatische Situation auf dem Arbeitsmarkt verschärft. Österreich mag zwar nach wie vor die geringste Arbeitslosigkeit in Europa aufweisen, dennoch werden mittlerweile auch bei uns die höchsten je gemessenen Werte erreicht: Ende Jänner 2014 sollen nach Schätzungen des Arbeitsmarktservice 450.000 Menschen im Land ohne Job sein, für 2015 werden sogar 470.000 erwartet (da tröstet es nur bedingt, dass auch die Zahl der Beschäftigten weiter ansteigen wird).

Es liegt auf der Hand, dass ein Jobverlust der Konsumneigung alles andere als zuträglich ist. Man hört zwar nicht auf zu konsumieren, aber der Spielraum wird mit Fortdauer der Arbeitslosigkeit kleiner und kleiner – was dann wieder alle anderen Konsumenten, die noch einer geregelten Tätigkeit nachgehen, stärker in die Pflicht nimmt.

Es ist eine teuflische Spirale: Je mehr Arbeitslose ein Wirtschaftssystem produziert, umso weniger Menschen können dessen Produkte und Dienstleistungen konsumieren, umso mehr Arbeitslose werden wiederum produziert. Und das geht immer so weiter.

Wenn der profitable Faserhersteller Lenzing hunderte Arbeitnehmer in Österreich kündigt, um noch profitabler zu werden, dann gefährdet er auf Dauer die eigene Existenzgrundlage. Wenn die profitable UniCredit Bank Austria Gleiches tut, dann mag das kurzfristig die Aktionäre in Mailand erquicken. Aber was kommt danach?

Es gibt einen Ansatz in der Wirtschaftswissenschaft, über den heute nicht mehr allzu viele Worte verloren werden: die Effizienzlohntheorie. Diese geht von einer engen Korrelation zwischen der Höhe des Lohns und der Produktivität des Lohnempfängers aus. In aller Kürze: Je höher der Lohn, umso besser die Produktivität (und die Kaufkraft).

Ist einem Unternehmen langfristig wirklich geholfen, wenn es seine Mitarbeiter so knapp hält, dass diese am Ende vielleicht nicht einmal mehr die Produkte ihres eigenen Unternehmens kaufen können – oder wollen?
Die Wirtschaftsforscher gehen jedenfalls davon aus, dass der „private Konsum“ 2014 real um 0,7 Prozent, 2015 um 1,1 Prozent zunehmen wird. Wie das vor dem Hintergrund steigender Arbeitslosenzahlen und schwindender Kaufkraft funktionieren soll, bleibt ein Rätsel. Umso mehr, als die soeben konstituierte neue alte Bundesregierung nun auch noch Steuern etwa auf Tabak, Alkohol und Autos erhöhen will. Wird das den Konsum befeuern? Eher nein. Aber die Ökonomen werden schon wissen, was sie tun. Abgesehen davon haben Prognosen vor allem einen psychologischen Effekt. Aussagen wie „Die Rezession ist zu Ende“ (OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny) sollten vor allem als Beitrag zu einem günstigen Konsumklima verstanden werden. Nicht mehr, nicht weniger.

Apropos weniger: Die Europäische Zentralbank hat mit Blick auf unser Konsumverhalten die Leitzinsen mittlerweile so weit gesenkt, dass von Zinsen im eigentlichen Sinne keine Rede mehr sein kann. Das führt dazu, dass klassische Formen des Vermögensaufbaus oder der Vorsorge – Sparbuch, Bausparer, Lebensversicherung – nachhaltig unattraktiv geworden sind. Wer heute spart, hat anscheinend etwas zu verschenken. Die Zinsen liegen mittlerweile so deutlich unter der Inflation, erst recht unter der „gefühlten“, dass diese den Kapitalzuwachs wegfegt, noch ehe dieser überhaupt entstehen konnte (mit dem durchaus erwünschten Nebeneffekt, dass auch die Schulden der Schuldner, allen voran jene der Staaten, allmählich weginflationiert werden).

Sinkende Sparquote
Hinter der Zinspolitik steckt natürlich System. Geld anzusparen, bringt der Wirtschaft nun einmal nichts – Geld auszugeben dagegen sehr wohl. Die Folgen sind bereits zu erkennen, an der sinkenden Sparquote etwa. Das ist jener Anteil am verfügbaren Einkommen, der zur Seite gelegt wird. Die Sparquote hat sich mittlerweile bei unter sieben Prozent eingependelt, sie lag auch schon einmal bei über zwölf Prozent. Zum einen ist weniger Geld da – siehe sinkende Reallöhne –, zum anderen wird dieses Weniger auch noch schlechter verzinst. So richtig schien das Kalkül der Ökonomen bisher jedenfalls nicht aufzugehen. Denn obwohl weniger gespart wird, wird nicht mehr konsumiert. Eine Interpretation: Die privaten Haushalte müssen bereits Reserven anzapfen, um laufende Ausgaben zu bestreiten. Dadurch wird so ganz nebenbei auch der Spielraum für die Zeit nach der Arbeitszeit, die Pension also, geschmälert.

Längst stehen Menschen meiner und nachfolgender Generationen vor bangen Fragen: Wie hoch wird meine Pension sein? Werde ich überhaupt eine bekommen, die den Namen verdient? Wer nicht Politiker oder Beamter oder vorzugsweise beides ist, muss damit rechnen, dass am Ende eines langen Erwerbslebens ziemlich viel Leben bei ziemlich wenig Erwerb übrigbleibt.

So gesehen könnte der Privatkonsum von heute die Pensionslücke von morgen sein. Das sollte bei all der verordneten Kauflaune nicht vergessen werden. Sicher, auch die Kreditzinsen grundeln auf einem historisch tiefen Niveau. Nie war es billiger, Schulden zu machen. Kredite sind per se auch nichts Verwerfliches. Es kommt eben nur darauf an, was man damit macht. Das auf Pump finanzierte Eigenheim ist eine Investition in die Zukunft. Der geleaste Neuwagen, der via Versandhauskredit erstandene 3-D-Fernseher sind es definitiv nicht.

Gerade die von Banken forcierten „Konsumkredite“, all die „Einkaufsreserven“ und „Überziehungsrahmen“ oder die vom Handel behaupteten „Nullprozentfinanzierungen“ (die nie null Prozent haben) können dann noch zu einem existenziellen Problem werden, wenn der Wagen und der Fernseher längst den Geist aufgegeben haben. Die Konsumgüter gehen, die Schulden bleiben. Und wenn einem dann auch noch der Job abhandenkommt, wird’s richtig frostig. Schuldnerberater haben nicht ohne Grund Hochkonjunktur. Und: Die Kreditzinsen werden nicht auf ewig so niedrig bleiben. So gesehen könnte der kreditfinanzierte Privatkonsum von heute der Privatkonkurs von morgen sein.

Wir sind dazu verdammt, zu konsumieren, um unseren eigenen Wohlstand zu sichern.

Das wird eng.