Fakt ist: Ohne das Geld aus Indien wäre KTM vermutlich ganz in den Konkurs geschlittert und es wäre zu einem Abverkauf und zur Zerschlagung der Gruppe gekommen. Bajaj bekommt aber für sein Geld nichts weniger als die absolute Kontrolle über KTM. Der indische Konzern soll 100 Prozent an der Pierer Bajaj AG übernehmen, einer zentralen Gesellschaft in der Eigentümerstruktur von KTM. Vorbehaltlich der behördlichen Genehmigung, aber es dürfte sich hierbei um eine Formalität handeln. Damit wäre Stefan Pierer, der KTM zum größten Motorradhersteller Europas ausbaute, ganz aus dem Rennen. Derzeit hält seine Pierer Industrie AG noch 50,1 Prozent an Pierer Bajaj, die wiederum 74,18 Prozent an Pierer Mobility AG hält, der Konzernmutter von KTM. Dem indischen Co-Investoren gehörten bisher 49,9 Prozent der Anteile an der Pierer Bajaj.
2023 erwirtschaftete KMT noch einen Rekordumsatz von fast zwei Milliarden Euro. Nur ein Jahr später legte das Unternehmen die drittgrößte Firmenpleite der Zweiten Republik hin – nach Signa und der Alpine-Pleite. Ende 2024 mussten die KTM AG und kurze Zeit später ihre Töchter KTM Components und KTM Forschung und Entwicklung Insolvenz anmelden. Die Passiva beliefen sich auf 1,8 Milliarden Euro. Ein ganzer Jahresvorrat an Motorrädern konnte nicht verkauft werden. Über 1.850 Mitarbeiter haben bereits ihre Jobs verloren. Für 2025 waren insgesamt 220 Kündigungen geplant. Die Gläubiger, darunter zahlreiche Banken und Zulieferer in Oberösterreich, stimmten schließlich einem Sanierungsverfahren und einer Gläubigerquote von 30 Prozent ihrer offenen Forderungen zu. Spätestens am Freitag sollte dieses Geld auf ihren Konten eingelangt sein.
Ein Ort, ein Werk
Ortswechsel nach Mattighofen. Ein Ort, ein Werk. So in etwa könnte man die Bedeutung von KTM, dem Motorradhersteller, für die Marktgemeinde auf den Punkt bringen. Fährt man über die Südwest-Einfahrt in den Ort, reihen sich gleich hinter der Ortstafel die orange-grauen, langen Produktionshallen von KTM aneinander. Jeder im Ort arbeitet selbst bei KTM, oder hat zumindest Freunde oder Verwandte, die tagein tagaus in die orangen Hallen zur Arbeit gehen. Für zahlreiche kleinere Zulieferbetriebe, Catering-Unternehmen und Händler war KTM die wichtigste Einnahmequelle.
Fast 4000 Mitarbeiter hat das Unternehmen , rund 3200 davon in Österreich. Doch während in den Büros und in der Buchhaltung in den vergangenen Wochen einiges los war, sitzen die Produktionsmitarbeiter seit geraumer Zeit wieder zu Hause – vorerst bis 28. Juli, wie es aus dem Unternehmen heißt. Danach muss KTM schnell viele Motorräder produzieren und sie auf dem Weltmarkt verkaufen. Davon wird abhängen, wie rasch und wie nachhaltig die Sanierung ausfällt. Auf einem der wichtigsten KTM-Märkte, den USA, läuft es derzeit aber nicht wie erhofft. Die erratische Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump, die Zölle auf Aluminium und Stahl, die Unsicherheit, wie es weitergeht haben die Konsumstimmung dort deutlich getrübt. Zudem halten sich US-Händler und Unternehmen derzeit mit größeren Investitionen zurück. Diese Gemengelage könnte für KTM zum Stolperstein auf dem US-Markt werden. Anderseits profitiert das Unternehmen gerade dort von den hohen, noch nicht abgebauten Lagerbeständen an Motorrädern, die eben noch nicht unter das Zollregime fallen.
Und kaum waren die Produktionsbänder nach der langen Winterpause wieder angelaufen, stellte KTM Ende April überraschen die Produktion wieder ein. Das Management rund um den neuen CEO Gottfried Neumeister rechtfertigte den Produktionsstopp mit Lieferunterbrechungen. Tatsächlich wollten etliche Zulieferer der strauchelnden KTM nur gegen Vorauskassa Bauteile liefern. Zu groß war die Sorge, dass man sich selbst am Ende als Gläubiger bei KTM anstellen muss. Diese Sorge dürfte jetzt dank der indischen Millionenspritze vorerst zerstreut sein. Eine andere aber bleibt.
„Wir werten die 600 Millionen Euro schwere Investition auch als ein klares Bekenntnis zum Standort und zu Mattighofen“, sagt Bürgermeister Daniel Lang. Auf einen Termin beim Management wartet Lang allerdings noch immer. Die 7750-Seelen-Gemeinde hatte bisher etwas, worum sie derzeit viele heimische Gemeinden beneiden – ein grundsolides Gemeindebudget. Und nicht wenig hat KTM dazu beigetragen – direkt über die Kommunalsteuer, und indirekt über die zahlreichen Mitarbeiter und Betriebe, die für KTM arbeiten. 25 Millionen Euro betrug der Gemeindehaushalt zuletzt. Von den 8 Millionen Euro Kommunalsteuer kamen 3,5 Millionen zuletzt von KTM.
Neustart
Nach der Finanzspritze durch die indische Bajaj-Gruppe ist KTM vorerst vor dem Konkurs gerettet. Am 28. Juli soll die Produktion am Standort in Mattighofen weitergehen.
Deshalb hofft jetzt der ganze Ort, dass sich Bajaj nicht nur zur Marke KTM, sondern auch zum Standort in Oberösterreich bekennt. Das ist aber noch alles andere als gewiss und weder KTM, noch Bajaj lassen sich derzeit in die Karten schauen, was das betrifft. „Die KTM AG mit ihren Marken KTM, Husqvarna und GASGAS wird weiterhin eigenständig agieren. Sie wird die Synergien mit ihrem Partner Bajaj im Zuge der strategischen Partnerschaft nutzen, im Fokus bleiben aber die wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Gesellschaften“, heißt es dazu auf Nachfrage aus dem Unternehmen.
Gerald Zmuegg vom Beratungsunternehmen „Finanzombudsteam“ ist deutlich skeptischer: „Mit der Finanzierungszusage des indischen Investors ist das mittelfristige Ende des Produktionsstandortes KTM in Mattighofen besiegelt. Das technologische Knowhow wird in Zukunft an einem anderen Standort mit günstigeren Personalkosten genutzt werden.“ Hinweise für Spekulationen wie diese finden sich in den Bilanzen von KTM. „Ein Blick in die letzten Jahresabschlüsse der KTM zeigt, dass diese Position das größte Einsparungspotential darstellt.“
KTM-Chef Gottfried Neumeister kontert: „Die bestehenden Standorte – insbesondere unsere Stammwerke hier in Mattighofen und Munderfing – bleiben die Basis für unseren zukünftigen Erfolg. Der gesamte Offroad-Bereich wird zur Gänze in Mattighofen erzeugt, es gibt dazu auch keine Lieferkette und keine Expertise in Indien.“
So sind etwa die Personalkosten von 2022 auf 2023, dem Jahr vor der Pleite, um 20 Millionen Euro auf 178 Millionen gestiegen. Absatz und Gewinn sind aber im gleichen Zeitraum leicht zurückgegangen. Der Bilanzgewinn betrug im Jahr vor der Pleite 180 Millionen Euro. Der zweite Hinweis auf eine drohende Absiedelung oder zumindest auf eine Verkleinerung der Standorte in Österreich findet sich in einem der Sanierungsberichte, die profil vorliegen.
Mit dem Sparstift
Der Sanierungsverwalter und die Unternehmensberater von Boston Consulting waren wochenlang mit dem Sparstift unterwegs und ihr Urteil fiel vernichtend aus: Der Standort ist zu teuer. Personal und Forschungskosten sind zu hoch. Zu viele Marken firmieren unter dem Dach von KTM und werfen zu wenig Gewinn ab. Die Empfehlung: Teile der Produktion ins kostengünstigere EU-Ausland verlagern. Das Management sagt auf Nachfrage dazu: „Eine Verlagerung der Produktion ist aktuell nicht Teil des Restrukturierungskonzepts. Bajaj glaubt an den Standort Österreich und an das Know-how der Mitarbeiter hier.“ Aber: Eine Vereinfachung der komplexen Unternehmensstrukturen der Vergangenheit sei denkbar.
Und hier kommt wieder Indien ins Spiel. Schon bisher wurde rund die Hälfte der Motorräder in Indien und China produziert, ist aus dem Unternehmen zu hören. Bajaj stieg bereits 2007 bei KTM ein. Zunächst mit einem Minderheitsanteil von 14,5 Prozent. CEO Rajiv Bajaj stammt aus einer indischen Automobil-Dynastie. Sein Urgroßvater gründete 1926 die Unternehmensgruppe. Er war Freiheitskämpfer und Vertrauter von Mahatma Gandhi, dem Anführer der indischen Freiheitsbewegung. Heute gehören zum Firmenimperium von Bajaj rund 40 Unternehmen. Eines davon ist KTM.
17 Jahre lang war KTM für Bajaj vor allem eine strategische Finanzbeteiligung, die eine gute Dividende abwarf. Aus Investorenkreisen ist zu hören, dass die Übernahme durch die Inder vor allem durch das Interesse an der Marke und am technologischen Know-how begründet sein soll. Das Herzstück von KTM ist nämlich seine Forschungs- und Entwicklungsabteilung.
193 Millionen Euro ließ sich KTM seine Forschung und Entwicklung zuletzt kosten. Zu viel, meinten im Winter die Unternehmensberater der Boston Consulting. Der Erfolg dieser Investitionen ist aber nicht von der Hand zu weisen. Laut Firmenbuch (Wirtschaftscompass) hat KTM über 50 Patente angemeldet. Genau diese Forschungs- und Entwicklungsabteilung ist jedenfalls das beste Verkaufsargument des Unternehmens. Wie viel künftig am Standort in Mattighofen geforscht wird, und wie viel in Indien, ist noch unklar.
Nach der Rettung des Unternehmens und der Mehrheitsübernahme durch Bajaj werden die Standortfragen künftig in Indien entschieden. Der „Oanser“, wie Stefan Pierer von der Belegschaft genannt wurde, hat jedenfalls keine Mitsprache mehr. Am 4. März trat Pierer als Vorstand der KTM AG zurück. Schon bald sollen auch seine Unternehmensanteile an den indischen Partner gehen.
Die 800 Seiten lange Stadtchronik „Die Stadtregion Mattighofen/Schalchen. Ein Spaziergang durch die Zeit“ widmet Pierer ein eigenes Kapitel im Teil über die wichtigsten und prägendsten Persönlichkeiten Mattighofens. Und zählt dort seine bedeutendsten Errungenschaften auf: den Kauf der damals insolventen KTM Motor-Fahrzeugbau, aus der die KTM AG hervorging; „Trend“-Mann des Jahres; Chef der Industriellenvereinigung Oberösterreich; achtreichster Österreicher 2018. Im Ort hofft man jetzt, dass die großen, orangen Werkshallen nicht selbst bald ein Fall für die Geschichtsbücher werden.