Sozial verträglicher und umweltbewusster Konsum ist oft teurer. Wegen der Inflation geben Kunden aber immer weniger Geld dafür aus. Im Bild: ein Unverpackt-Laden in Bremen, Deutschland.
Wirtschaft

Social Startups: Kein Geld fürs gute Gewissen

Nachhaltige Greißler, regionale Teigtaschen oder Spenden-Apps – sozialen Startups bricht gerade das Geschäft weg. Wegen der Inflation bleibt den Kunden weniger Geld für ethischen Konsum und Investoren halten sich wegen der steigenden Zinsen zurück.

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Die Welt verbessern ist aufwendig, nicht zuletzt in finanzieller Hinsicht. Die Unternehmensgründerin Verena Kassar musste das am eigenen Betrieb erfahren. Mit einer Geschäftspartnerin eröffnete sie vor sieben Jahren in Graz eine Greißlerei, mit dem Anspruch, möglichst wenig Verpackungen zu verwenden und Plastikmüll zu vermeiden. Nicht nur bei regionalem Obst und Gemüse, sondern auch bei Shampoos und Zahnbürsten. In den ersten Jahren lief es gut, Investoren stiegen ein, ein zweiter Standort in Graz wurde eröffnet. Es gab Workshops über „Zero Waste“. Dann kam die Corona-Pandemie, und es folgte der erste Hilferuf des jungen Unternehmens. Bereits im März 2020 baten die Gründerinnen ihre Kundinnen und Kunden um Unterstützung, denn der Umsatz sei um die Hälfte eingebrochen. Die Firma meldet Kurzarbeit an, manche gehen auf unbezahlten Urlaub, Projekte werden auf Eis gelegt.

Nach den Lockdowns wird es noch schlimmer. „Es ist das schwierigste Jahr, seit wir aufgesperrt haben“, sagt Kassar vergangenen September in einem Video auf Instagram. Schon Wochen davor musste die Unternehmerin einen Standort schließen und die Öffnungszeiten des zweiten verkürzen. Schuld seien die Auswirkungen der Pandemie, hohe Energiekosten und allgemein die Inflation. „Wenn die Stromrechnung wirklich so hoch ausfällt, wie alle sagen“, schreibt Kassar, „geht es sich auch mit nur einem Geschäft nicht mehr aus.“

Ende April muss auch die verbleibende Filiale in Graz schließen. Um den Betrieb aufrecht halten zu können und „überhaupt eine Chance auf Gewinn“ zu haben, hätte man zu hohe Abstriche bei den Werten des Unternehmens machen müssen, heißt es auf dessen Webseite. Nicht die Teuerung, sondern „unsere idealistische Einstellung war Grund für die Schließung“, sagt Kassar gegenüber profil in einem Email. Für ein Interview über die Geschichte ihres ehemaligen Geschäfts steht sie nicht zur Verfügung.

Krise folgt auf Krise

„Es war alles ein bisschen viel“, sagt auch Gabriele Tatzberger, die bei der Wirtschaftsagentur Wien für Startups zuständig ist. Die Covid-Pandemie, der Krieg in der Ukraine, massiv erhöhte Energiekosten, hohe Inflation, steigende Risiken durch den Klimawandel: die Gründerinnen und Gründer von jungen Unternehmen hätten derzeit sehr viel um die Ohren. Und die Probleme würden sogenannte „Impact Startups“ besonders hart treffen – also jene Gruppe von Startups, die vor allem Lösungen für soziale und ökologische Herausforderungen suchen und daran verdienen wollen.

Insgesamt gibt es in Österreich über 3300 Startups – also Unternehmen, die seit 2011 gegründet wurden und laut einer Befragung für den österreichischen „Startup Monitor“ selbst angegeben haben, ein Startup zu sein. Die Umfrage vom letzten Jahr hat ergeben, dass circa die Hälfte der befragten Firmen in Österreich prioritär ökologische oder soziale Ziele verfolgen, oder beides gleichzeitig. Dabei gehe es vor allem um Nachhaltigkeit bei Produktion, Konsum und Mobilität, aber auch um erneuerbare Energien, heißt es in dem Bericht.

Besonders jene Startups, die nicht an andere Firmen, sondern an Endkunden verkaufen, hätten derzeit große Schwierigkeiten, so Tatzberger von der Wirtschaftsagentur. Teure und aufwendige Produkte seien durch die Inflation und den rückläufigen Konsum derzeit schwerer abzusetzen, das würde man etwa in der Gastronomie und im Handel stark spüren. Und es gebe Startups, die bei der Produktion viel Energie brauchen und daher von den stark gestiegenen Kosten belastet werden. „So wie bei jeder Krise sehen wir Verlierer – aber auch Gewinner“, sagt Tatzberger.

Kein Appetit mehr

Die Verlierer – das sind junge Unternehmen wie der verpackungsarme Greißler in Graz oder das Wiener Startup „Die Teigtasche“, das von dem polnischen Gericht Pierogi inspirierte Teigtaschen hergestellt hat. Aus regionalen Zutaten, mit einer glutenfreien Linie, veganen und vegetarischen Füllungen. Jakob Strzalkowski hat die Firma mit seiner Partnerin Eva Schirmer vor drei Jahren gegründet. Die beiden sind vorletztes Jahr auch in der Startup-TV-Show „2 Minuten 2 Millionen“ aufgetreten und haben dabei einen Investor an Land gezogen. Mit dem Abflauen der Corona-Krise sei aber auch das Interesse an den Teigtaschen gesunken, sagt Strzalkowski. Dann kam die Teuerung, die Preise für die benötigten Lebensmittel hätten sich seit der Gründung des Unternehmens verdoppelt. Weniger Umsatz und höhere Kosten – mit Ende Jänner musste der Mitgründer aufhören. Die Firma gebe es zwar noch, er sei aber operativ nicht mehr tätig, so Strzalkowski.

Sonst gehen die Fehlstarts in der Szene oft leise vonstatten. Wieder aufstehen und ein neues Projekt angehen, die Misserfolge hinter sich lassen. Sie passen auch nicht zum Narrativ der immer nach oben strebenden Startup-Branche. Größeres Aufsehen haben vergangenes Jahr die Entlassungen bei prominenten Startups erregt, wie dem Wiener Finanzunternehmen Bitpanda, das nach dem Crash bei Kryptowährungen ein Viertel seiner Belegschaft kündigen musste. Auch der Wiener Nachhilfe-Anbieter GoStudent hat bald nach einem Rekord-Investment im Vorjahr hunderte Stellen abgebaut.

Es gibt aber auch Gewinner. Das in Tirol ansässige Startup namens Uptraded zählt sich jedenfalls dazu. „Bei uns läuft es gerade sehr gut, überraschenderweise“, sagt Anna Greil, Gründerin und Geschäftsführerin des Unternehmens. Sie und ihr Team haben eine digitale Plattform aufgebaut, auf der man Kleidungsstücke tauschen kann. Und zwar hauptsächlich anhand von Fotos, die dann nach rechts oder links gewischt werden können, um Interesse zu bekunden, oder eben nicht – ähnlich der Funktionsweise vieler Dating-Apps. Kommt es zu einem „Match“, können die Nutzerinnen und Nutzer den Kleidungstausch vereinbaren. Greil will damit den ökologischen Fußabdruck der Modebranche verbessern. Denn die Textil-Produktion würde mehr CO2-Emissionen pro Jahr verursachen als Flugverkehr und Schifffahrt zusammen. Und die Menschen hätten auch schon genug Mode gekauft, um mehrere Generationen einzukleiden, getrieben von Diskontware und der Produktion in Billiglohnländern. Dass das bei jüngeren Menschen, die viel mehr Wert auf nachhaltige Kleidung legen, gut ankommt, damit hat Greil gerechnet.

Tauschen statt kaufen

Was eher unerwartet kam, sei die hohe Inflation, die nun auch jene auf die Plattform treibt, die sich neue Kleidung nicht mehr leisten können oder wollen, so Greil. „Wir bieten gratis Modekonsum. Auch Leute, die sich nicht um Nachhaltigkeit kümmern, wollen Kleidung, haben aber oft nicht mehr so ein großes Budget“, sagt die Unternehmerin. Da bei den Transaktionen auf Uptraded kein Geld fließt, hätten beide Seiten oft das Gefühl, mehr zu bekommen, als sie hergegeben haben – also eine subjektive Wertsteigerung. Man mache auch laufend Umfragen und noch letztes Jahr sei gute Unterhaltung für die Userinnen und User der wichtigste Grund gewesen, um die Plattform zu besuchen. Mittlerweile geben viele an, dass es sonst wenig Möglichkeiten gibt, gratis an Kleidung zu kommen, deswegen sei man hier. Mode sei eben oft kein „nice to have“, so Greil.

Wie verdient das Startup dann Geld? Man würde bestimmten Mode-Unternehmen etwa separate Tauschplätze nur für die eigenen Produkte gegen Bezahlung zur Verfügung stellen. In Zukunft wolle Uptraded aber auch von den Nutzerinnen und Nutzern Provisionen verlangen und das zum Hauptgeschäft machen, so die Gründerin. Damit neue Geldgeber anzulocken, die das Startup finanzieren und weiteres Wachstum ermöglichen – das ist laut Greil jetzt aber viel schwieriger. „Die Leute sind viel vorsichtiger geworden, Zahlen werden sehr genau beobachtet, man muss Umsätze vorweisen, damit man eine Finanzierung bekommt. Wir setzen jetzt stärker auf Förderungen und hoffen, dass wir damit für ein weiteres Jahr durchkommen.“

Boom ist vorbei

Auch Gabriele Tatzberger von der Wirtschaftsagentur beobachtet, dass das Geld bei Investoren nicht mehr so locker sitzt. Vor allem jene Unternehmen, die noch keinen Investor an Bord haben, würden jetzt schwerer an frisches Geld kommen, zumindest im Vergleich zu den vergangenen Jahren. Letztes Jahr gingen die Finanzierungen für Startups auch deutlich zurück: Der Gesamtwert ist laut dem „Start-up Investment Barometer“ der Beratungsfirma EY um fast ein Fünftel auf knapp über eine Milliarde Euro gesunken, gegenüber 2021 – ein absolutes Rekordjahr, in dem sich die Investitionen in Startups im Vergleich zu 2020 verfünffacht haben.

Potenzielle Geldgeber würden mehr darauf schauen, wie gut die Chancen auf Erfolg stehen und seien insgesamt vorsichtiger, so Tatzberger. „Wir versuchen daher, die Gründerinnen und Gründer zu motivieren, bei dem Geschäftsmodell möglichst schnell zu realistischen Einschätzungen zu kommen. Das kann auch bedeuten, möglichst schnell auf den Markt zu gehen um Erfahrungen zu sammeln, die Produkte zu testen und sagen zu können, ob die Annahmen realistisch sind“.

„Impact“ wird wichtiger

Tatzberger erwartet, dass es für Startups mit starkem ökologischem oder sozialem Anspruch aber grundsätzlich leichter werden wird, an Finanzierungen zu kommen. Weil die Investorinnen und Investoren bei dem Thema sehr aufmerksam sind und einen positiven „Impact“ oft schon voraussetzen. Das gelte vor allem bei Beteiligungen am Eigenkapital von Startups – also die typische Form der Finanzierung in diesem Entwicklungsstadium eines Unternehmens – aber auch bei Banken-Finanzierungen mit Krediten. „Man wird sich diese Fragen sowieso stellen müssen. Daher ist es besser, sie von Anfang an mitzudenken,“ so Tatzberger. Laut der Managerin arbeitet auch die Wirtschaftsagentur Wien daran, die sozialen und ökologischen Auswirkungen bei Startup-Projekten ab nächstem Jahr in die Förderkriterien aufzunehmen. Derzeit sei das noch nicht der Fall.

„All diese Startups haben aber die Schwierigkeit, dass sie noch nicht ausfinanziert sind und weiteres Kapital brauchen.“

Lena Gansterer

Investment-Managerin bei der fair-finance Vorsorgekasse

Für Lena Gansterer ist es kein Nachteil, dass Investorinnen und Investoren jetzt genauer hinschauen. Sie ist Investment-Managerin bei der fair-finance Vorsorgekasse, die laut eigenen Angaben Gelder des gesetzlich vorgeschriebenen Vorsorgekassensystems in Österreich „wirkungsorientiert“ veranlagt und zur Sinnova-Gruppe rund um den Unternehmer Markus Zeilinger gehört. Die Bewertungen, die oft darüber entscheiden, zu welchem Preis sich Geldgeber an Startups beteiligen können, seien nach der Abkühlung auf dem Markt jetzt wieder niedriger und normaler, sagt Gansterer. Das mache das Leben für Investorinnen leichter. Man merke aber auch, dass sich die Geschäftspläne bei aufstrebenden Unternehmen jetzt oft nicht so entwickeln würden, wie man es sich vorgestellt habe. „All diese Startups haben aber die Schwierigkeit, dass sie noch nicht ausfinanziert sind und weiteres Kapital brauchen.“

Sparen beim guten Zweck

Auch bei Projekten mit großen Firmen gebe es mehr Zurückhaltung. Damit hätten gerade Startups mit Fokus auf soziale Bereiche zu kämpfen, weil die Budgets dort schnell gekürzt würden, so Gansterer. Das macht sich auch bei der Wohltätigkeit bemerkbar. Das Wiener Startup Impactory betreibt eine Online-Spendenplattform, die von über 180 Organisationen genutzt wird, darunter NGOs ebenso wie große Unternehmen. In den letzten Jahren habe sich gezeigt, dass auch immer mehr Firmen spenden wollen, sagt die Gründerin des Social-Impact-Startups, Elke Pichler. Und zwar nicht mehr nur zu Weihnachten, wenn die Spendenbereitschaft insgesamt am höchsten ist. „Aber wir merken jetzt mehr Zurückhaltung. Es werden weniger Projekte angestoßen, normalerweise haben wir mehr Anfragen von Firmen“, so Pichler. Sie führt das auf die Verunsicherung zurück – wegen der vielen Krisen sei man jetzt einfach vorsichtiger geworden, wohin das Geld geht. Gleichzeitig spüre die Firma als Arbeitgeber großes Interesse von jungen Menschen, auch ehrenamtlich mitzuarbeiten, es gebe sehr viel Tatkraft. Und als sozial ausgerichtetes Unternehmen sei es auch nicht das vorrangige Ziel, möglichst schnell zu wachsen. Es gehe darum, ein nachhaltiges Geschäftsmodell aufzubauen. Da gebe es einen grundsätzlichen Unterschied zu anderen Startups, unabhängig von der Wirtschaftslage.

„Da ist es immer schwieriger, Geld aufzutreiben“, sagt Pichler. „Wir sind eben nicht die Art von Startups, die Milliarden einstreifen“.