Umwelt versus Tourismus – diesen Konflikt gibt es bei so gut wie jedem neuen Hotelprojekt. Auf der Turracher Höhe wurde für ein schickes Chaletdorf völlig legal eine umfangreiche Umweltprüfung umgangen. Warum das heikel ist.
Wer die Turracher Höhe von der steirischen Seite erreicht, sieht das schmucke Chaletdorf zunächst gar nicht. Hat man die Abzweigung vor der Ortseinfahrt genommen, dauert es aber nicht lange, bis man mitten im rund 60 Luxushütten umfassenden Chaletdorf parkt. Haus für Haus wirken die Chalets wie eine eigene Siedlung, die sich entlang der Schotterstraße in den Hang hineinschneidet. Noch sind fast alle Parkplätze vor den Hütten leer, die Ruhe vor dem Sommeransturm wird für Handwerksarbeiten genutzt. Aber in wenigen Wochen, wenn Sommerferien sind und die Hauptsaison angebrochen ist, wird sich auch das ändern. Man sei bereits ausgebucht, heißt es vonseiten der Betreiber.
Circa 600 Betten, aufgeteilt auf 60 Häuser, ist das Chaletdorf mittlerweile groß. Jede Hütte hat einen eigenen Whirlpool und einen offenen Kamin, buchbar sind die Chalets für Gruppen zwischen acht und zwölf Personen – ab 450 Euro die Nacht. Doch beinahe wäre es zu diesem Megaprojekt auf der Grenze zwischen der Steiermark und Kärnten gar nicht gekommen.
Mehr als 900 Betten soll das Chaletdorf auf der Turracher Höhe im Endausbau umfassen.
Hütte für Hütte
Im Jahr 2006 wurden 176 Chalets mit insgesamt 1056 Betten zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) eingereicht. Nach einem Einspruch durfte das Projekt in dieser Form nicht realisiert werden. Mehrfach umgeplant wurde es in mehrere Projekte jeweils unterhalb der UVP-Schwelle aufgeteilt. Derzeit gibt es 60 Hütten mit privatem Whirlpool und offenem Kamin.
Die Projektwerber haben dennoch einen Weg gefunden, trotz negativen Umweltentscheids ein Chaletdorf mitten im Zirbenwald zu bauen. Und das, obwohl die Holzhäuser unweit eines Hochmoores samt seinem sensiblen Ökosystem gebaut wurden. Der Fall von der Turracher Höhe zeigt, wie Bodenschutz ganz legal umgangen werden kann, wenn Lokalpolitiker Interessen der Tourismuswirtschaft über jene der Natur stellen. Das ruft nun Umweltschützer auf den Plan. Denn eigentlich bedarf es für Projekte in dieser Größe einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Diese fand auch tatsächlich statt, und zunächst gab es ein Nein für das Projekt seitens der Behörden. Das Bergdorf wuchs dennoch stetig. Wie kam es dazu?
Schritt für Schritt
Im Jahr 2006 reichte die „Steinalm Turrach Besitz- und VerwaltungsgmbH“ ein Projekt zur Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) ein: 176 Chalets mit insgesamt 1056 Betten sollten in den Zirbenwald auf der steirischen Seite kurz vor Ortsbeginn gebaut werden. Die steiermärkischen Behördengaben grünes Licht, wenn auch mit Vorbehalten. So müsse es für die sogenannte Hirschwiese, ein Hochmoor in unmittelbarer Nähe zum geplanten Chaletdorf, Ausgleichsmaßnahmen geben. In einer weiteren Prüfung gelte es außerdem, Detailfragen zu den Hütten, wie etwa die notwendige Rodungsflächen, Fragen zur Oberflächenentwässerung und vor allem Infrastrukturaspekte wie zu bauende Straßen zu klären, so die Landesregierung.
Die Umweltanwältin des Landes Steiermark, Ute Pöllinger, sah das anders und ging in Berufung. „Ich habe dann im Zuge meiner Beschwerde vorgebracht, dass all diese Fragen, die man da der Detailprüfung überlassen wollte, umweltrelevant sind und deshalb von Anfang an in das Genehmigungsverfahren miteinbezogen werden müssen“, sagt die Umweltanwältin heute. Der Umweltsenat gab ihr recht, das Projekt durfte in dieser Form und Dimension nicht gebaut werden. Gebaut wurde trotzdem, wenn auch nicht ganz genau so, wie ursprünglich geplant.
Aufgeschoben statt aufgehoben
„Mir war von Anfang an klar, dass das nur aufgeschoben ist und in kleinen Schritten immer wieder erweitert wird“, sagt die Umweltanwältin. „Der Projektwerber hat sich dann offenbar gedacht: Na gut, dann machen wir es in einem ersten Schritt in einer Größe, für die es kein UVP-Verfahren braucht“, so Pöllinger. Im Herbst 2009 durfte das redimensionierte Projekt mit 57 Häusern 456 Betten gebaut werden. Ohne Umweltprüfung, weil die UVP-Schwelle bei 500 Betten liegt. Das Hochmoor fand zu diesem Zeitpunkt keine große Beachtung mehr. Lediglich eine Totholzhecke von einem Meter Breite und Höhe sollte errichtet werden, damit Urlaubende die Moorflächen nicht betreten.
„Problematischer wird es dann, wenn Schwellenwerte nur anfänglich eingehalten werden, das Vorhaben aber sukzessive in kleinen Schritten erweitert wird.“
Dieter Altenburger, Rechtsanwalt in der Wiener Kanzlei Jarolim & Partner
Statt 57 Häusern in Holzbauweise wurden 49 Häuser errichtet. Baurechtlich genehmigt wurden sogar 499 Betten, inklusive weiterer 43 Zusatzbetten. Dabei sollte es aber nicht bleiben. Eine erste Erweiterung um sieben Häuser und insgesamt 56 Betten erfolgte ab 2014. Eine Genehmigung für weitere 52 Chalets mit 392 Betten wurde 2019 erteilt. Jeweils unter dem Schwellenwert einer umfangreichen Umweltverträglichkeitsprüfung. Übliche Praxis? Sparen sich Projektwerber durch diese legale Methode, Großprojekte in mehrere kleine aufzuteilen und dadurch nicht mehr UVP-pflichtig zu sein, bewusst eine aufwendige Umweltprüfung?
„Die Projektierung eines Projekts knapp unter dem Schwellenwert ist an sich nicht verdächtig und üblich“, sagt Dieter Altenburger. Er ist Anwalt in der Wiener Kanzlei Jarolim & Partner und beschäftigt sich regelmäßig mit Fragen rund um das Umweltrecht. „Problematischer wird es dann, wenn der Schwellenwert nur anfänglich eingehalten, das Vorhaben aber sukzessive in kleinen Schritten erweitert wird“, so der Jurist. Solche Fälle gebe es laut Altenburger, seit es UVP-Verfahren gibt – also seit rund 30 Jahren.
Bekannte Strategie
Ohne Konsequenzen bleibt ein nachträgliches Überschreiten von Schwellenwerten aber nicht immer. Wer im Bauprozess mehr Betten baut oder mehr Fläche in Anspruch nimmt, als zuvor genehmigt, kann im Nachhinein sehr wohl UVP-pflichtig sein oder zumindest einer Einzelfallprüfung unterzogen werden. Auch das Chaletdorf Alpenpark hatte eine solche Prüfung – mit positivem Ausgang. „Da werden die Auswirkungen auf die Schutzgüter (Mensch, Tier, Pflanzen und ihre Lebensräume sowie Luft und Landschaft; Anm.) aber nur oberflächlich überprüft. Das unterscheidet sich schon erheblich von einer umfangreichen Umweltverträglichkeitsprüfung, allein schon aufgrund der Dauer“, sagt Altenburger. Denn, während „eine Einzelfallprüfung ein halbes Jahr bis maximal ein Jahr dauert, kann ein vollständiges UVP-Verfahren von einem größeren Projekt zwei bis fünf Jahre dauern“, so der Jurist.
Die Turracher Höhe liegt auf 1.800 Höhenmeter auf der Grenze zwischen der Steiermark und Kärnten.
In Fachkreisen ist bekannt, dass man dadurch lieber auf eine weniger umfangreiche Prüfung im Nachhinein setzt als auf ein aufwendiges, teures und langes UVP-Verfahren mit ungewissem Ausgang vor Projektbeginn. Johannes Arneth, Geschäftsführer der für die Planung verantwortliche „Steinalm Turrach Besitz- und VerwaltungsgmbH“, verneint die Frage nach einer solchen Umgehungsstrategie. „Wir haben das Projekt mehrfach umgeplant, die Grundstücksankaufsfläche verkleinert und haben dann dieses Projekt in einer komplett anderen Form umgesetzt“, sagt Arneth. Vonseiten des heutigen Betreibers, der „Alps Residence Holidayservice GmbH“, heißt es, dass man in die Genehmigungsverfahren und den Bau des Alpenparks nicht involviert gewesen sei. „Wir übernehmen fertige Tourismusanlagen und betreiben diese“, sagt Geschäftsführer Gerhard Brix. Die „Alps Residence Holidayservice“ ist übrigens die größte Betreiberin von Ferienanlagen in Österreich. Zur Gruppe zählen 40 Hüttendörfer österreichweit.
Mit Blick auf die Anlage fällt auf, dass man von den ursprünglich 1056 geplanten Betten gar nicht mehr weit entfernt ist. Addiert man die Zahlen in den bisher bewilligten Unterlagen, könnten es im Endausbau 991 werden. Laut Arneth eine unzulässige Rechnung, denn „es ist bis heute nicht in einem Landesgesetz klar festgelegt, was ein touristisches Bett ist“. Also ob ein ganzes Zimmer oder eine ausziehbare Couch als Bett im rechtlichen Sinn gelten. Zudem habe man sich zu Projektbeginn an einer Studie des Landes Steiermark orientiert. Demnach habe es im Jahr 1999 einen Bedarf von rund 2000 Betten auf der Turracher Höhe gegeben.
Alle der derzeit bestehenden 60 Hütten auf der Turracher Höhe sind mit privatem Whirlpool und offenem Kamin ausgestattet.
Ruhe vor dem Sturm
Im 60 Hütten und 600 Betten umfassenden Chaletdorf ist es derzeit noch ruhig. Die Zeit vor den Sommerferien wird für Handwerksarbeiten genutzt, für den Sommer ist man bereits ausgesucht, heißt es vonseiten des Betreibers.
Zeitgemäß seien solche Vorhaben heute nicht mehr, meint Oliver Fritz, Tourismusökonom am österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). „Das sind eigentlich genau die Bettenburgen, die der österreichische Tourismus nicht mehr haben will“, sagt der Wirtschaftsforscher mit Blick auf die Tourismusstrategie, den Plan T und die Aussagen der Tourismusstaatssekretärin Susanne Kraus-Winkler (ÖVP).
Das Chaletdorf steht auch sinnbildlich für ein österreichweites Phänomen, das seit dem Jahr 1970 vor allem in Oberösterreich, Kärnten und in der Steiermark massiv zugelegt hat: die Zersiedelung – immer mehr Häuser und Gewerbegebiete entstehen abseits von bereits bestehenden Ortsstrukturen und Stadtzentren. Das zeigt nicht nur eine Analyse der Universität für Bodenkultur Wien (Boku) und des deutschen Leibniz-Instituts für ökologische Raumentwicklung (IÖR). Auch der Umweltverband WWF Österreich, der den Entstehungsprozess des Alpenparks auf der Turracher Höhe kennt, äußert Kritik: „Dieses Chaletdorf steht sinnbildlich dafür, wie einfach es in Österreich ist, ganz legal wertvolle Böden und Naturräume zu zerstören“, sagt WWF-Bodenschutzssprecher Simon Pories. Die Bundesländer sollen Schlupflöcher in ihren Raumordnungsgesetzen schließen und den Schutz wertvoller Naturräume verbessern, fordert der Umweltverband.
Wolfgang Schlick (SPÖ), der Bürgermeister von Stadl-Predlitz, auf dessen Gemeindegebiet auch der Alpenpark liegt, ist per se nicht unglücklich mit den Chalets. Denn immerhin haben sie mit insgesamt 61.000 Nächtigungen die beste Auslastung auf der Turracher Höhe, und davon profitiert auch die Gemeinde massiv. Es fehle aber an Verpflegung und Gastronomieangeboten vor Ort. Mittlerweile überlegen auch die Bergbahnen, ob sie ein Lokal eröffnen.
„Wenn ich keine Wasserversorgung mehr gewährleisten kann, dann hört sich das Bauen auf. Da sind wir an der obersten Fahnenstange angelangt.“
Wolfgang Schlick (SPÖ), Bürgermeister Stadl-Predlitz
über weitere Bauvorhaben auf der Turracher Höhe
Generell sieht der Bürgermeister seine Turrach jedenfalls als so gut wie ausgebaut. „Alles weitere, was künftig gebaut werden kann, limitiert sich an den natürlichen Ressourcen: Wenn ich keine Wasserversorgung mehr gewährleisten kann, dann hört sich das Bauen auf. Da sind wir an der obersten Fahnenstange angelangt“, sagt Schlick. Weitere Umwidmungen seien nicht geplant.
Schon in zwei Wochen wird das Geisterdorf aus seinem Frühlingsschlaf erwachen, wenn sich Auto an Auto vor die Hütten reiht. Einstweilen ist es hier noch leise, die Ruhe wird nur von den Bauarbeiten an den wenigen unfertigen Hütten durchbrochen.