Alternativmedizin auf dem Prüfstand: Von Akupunktur bis Farbtherapie

Worauf die Wirkung von Akupunktur tatsächlich beruht, wieso Kräutermedizin giftig sein kann, warum Homöopathie um Beweise ringt, weshalb Edelsteine keine magische Lebensenergie bergen: Die wichtigsten alternativen Heilmethoden auf dem Prüfstand. Teil 1: Akupunktur, Ayurveda, Bachblüten, Edelsteintherapie und Farbtherapie.

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Akupunktur

Fakten:

Das der Akupunktur zugrunde liegende System von Meridianen - Energiebahnen im Körper - halten Wissenschafter für höchst dubios. Mehrere Studien zeigten, dass Nadeln, die einfach irgendwohin gestochen werden ("Scheinakupunktur“), nicht signifikant weniger wirksam sind als professionell vom Therapeuten gesetzte. Krista Federspiel, Alternativmedizinexpertin der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften: "Ursprünglich war das ein magisches System, und es wurde mit Steinen geritzt statt mit Nadeln gestochen. Es gab, dem Jahreskalender entsprechend, 365 Punkte. Heute werden bis zu mehrere tausend beschrieben, was schon ein Hinweis darauf ist, dass da etwas nicht stimmen kann.“ Das Meridiansystem sei vermutlich erfunden worden, damit die Behandler die Akupunkturpunkte nicht so leicht vergessen - als Anhaltspunkt für Punkte quasi. Die Lebensenergie "Qi“ ist wohl nicht mehr als eine magische Vorstellung, so Federspiel: "Niemand konnte für sie bisher organische Strukturen finden oder sie sonstwie nachweisen.“

Allerdings: In anatomischen Studien konnte bewiesen werden, dass an Akupunkturpunkten die Zahl der freien Nervenenden besonders hoch ist, was dort die Freisetzung von Endorphinen und anderen körpereigenen Stoffen anregen könnte. Diese Substanzen wirken entspannend, schmerzstillend, entzündungshemmend und teilweise euphorisierend. Trotzdem bleibt die Scheinakupunktur ein gewichtiger Faktor, der die Notwendigkeit des zugrunde liegenden Systems infrage stellt. Die umfangreichen klinischen Gerac-Studien (German Acupuncture Trials, 2002 bis 2007) zeigten deutlich erkennbare Besserung bei der Behandlung von tiefen Rückenschmerzen bei 47,6 Prozent der Akupunkturpatienten, aber auch bei beachtlichen 44,2 Prozent der Scheinakupunktierten. Akupunktur kann also durchaus helfen - wenn auch nicht auf Basis der traditionellen Lehre. "Bei vielen Patienten kann durch Akupunktur und Elektroakupunktur auf den Einsatz von Schmerzmedikamenten völlig verzichtet werden“, sagt der Wiener Schmerzspezialist und Neurochirurg Reinald Brezovsky. "Diese Tatsache ist vor allem bei Nierenschwäche oder in der Schwangerschaft von größter Bedeutung.“

Behauptung:

Durch das Setzen hauchdünner Nadeln an bestimmten Körperzonen soll der Fluss der unsichtbaren Lebensenergie "Qi“ durch "Yin-Yang-Meridiane“ im Körper verbessert werden. So könne Linderung und Heilung vieler unterschiedlicher Leiden erreicht und die Selbstheilungskraft angeregt werden. Der französische Arzt Paul Nogier entdeckte um 1960 die Möglichkeit von Akupunkturbehandlungen über die Ohrmuschel. Er verwies darauf, dass der menschliche Körper wie ein auf dem Kopf stehender Embryo in der Ohrmuschel repräsentiert sei. Die Ohrakupunktur ist inzwischen auch in China anerkannt. Neben Nadeln werden auch elektrischer Strom oder kleine Stifte (Akupressur nach Penzel) zur Reizung der Punkte angewendet.

Ayurveda

Fakten:

Vor allem in Indien selbst gibt es viele wissenschaftliche Studien zu Ayurveda. Die meisten davon befassen sich allerdings nur mit einem einzelnen, isolierten Bereich - was sowohl von Verfechtern als auch von Skeptikern bekrittelt wird. Dennoch: Der präventive Ansatz des Systems, das davon ausgeht, dass sich durch Lebensstil- und Ernährungsmaßnahmen Krankheiten verhindern lassen, wird inzwischen von vielen westlichen Medizinern geschätzt. So wurde im Rahmen einer Lehrveranstaltung 2012 an der Universität Wien betont, dass mehr als 600 wissenschaftliche Arbeiten die Wirksamkeit von Ayurveda (Maharishi Vedische Medizin) bestätigen. 2008 wurde im "American Journal of Hypertension“ eine Metaanalyse präsentiert, die bestätigt, dass etwa die Transzendentale Meditation hohen Blutdruck senken kann. Eine Studie der Ohio State University wies nach, dass Behandlung mit einer ayurvedischen Heilpflanze bei Ratten Tumoren schrumpfen ließ.

Doch Achtung: Etabliert wurden Ayurveda und Transzendentale Meditation in Europa durch eine Sekte (Maharishi), deren Meister sogar Heilung von AIDS und Krebs in Aussicht stellten - also schlicht Unmögliches versprachen. Auf typische, aber unangenehme Teile der Heillehre - wie etwa das in Indien zur Inneneinigung geübte Erbrechen - wurde beim Export in den Westen verzichtet. Ayurvedische Mittel haben zudem das Potenzial zu Wechselwirkungen mit herkömmlichen Medikamenten. Darin finden sich zudem nicht selten giftige Schwermetalle. Und was die Transzendentale Meditation leistet, können andere Meditationstechniken (auch aus Europa) ebenfalls.

In Österreich gibt es Regeln dafür, wer Ayurvedabehandlungen ausführen darf. Seit auch in der Wellnessbranche gern ayurvedische Annehmlichkeiten geboten werden, empfiehlt es sich, vorab nach der Ausbildung der jeweiligen Anwender zu fragen. Denn: Ein wenig warmes Öl auf der Stirn und Kurkuma im Gemüsetopf mögen angenehm sein, zeitigen jedoch kaum medizinische Wirkungen.

Behauptung:

Die ganzheitliche Gesundheitslehre aus Indien wird dort ungefähr seit 4500 Jahren praktiziert. Körperliches, geistiges, seelisches und spirituelles Wohlbefinden gelten als von den drei sich ständig verändernden Energien (die "Doshas“ Vata, Pitta und Kapha) abhängig. Kräutermedizin, Ernährungsregeln, Massagen, Yoga, Meditation und bestimmte Reinigungsrituale sollen die Gesundheit durch Ausgleich der drei Doshas erhalten oder wiederherstellen. Die Diagnose erfolgt durch genaue Untersuchung von Puls, Zunge, Augen, Hauttonus, Stuhl, Harn und Haaren.

Bachblüten

Fakten:

Die Tropfen sind weltweit gefragt wie nie. Vor allem die gegen Panik und Angstzustände empfohlene Kombination "Rescue Remedy“ wird nicht nur von Menschen gern geschluckt, sondern auch gestressten Haustieren verabreicht. Bachblütenfans orten im Effekt aufs Tier einen Beweis dafür, dass das Mittel mehr ist als ein Placebo. Wissenschafter sehen dies anders: Forscher der Donau-Universität Krems prüften 2009 die wenigen Facharbeiten zu Bachblüten und kamen zum Ergebnis, dass diese keine therapeutische Wirkung haben. Allerdings: Studien zu Prüfungsangst und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) zeigten eine Besserung psychischer Probleme bei Bachblüteneinnahme. Diese sei zwar auf den Placebo-Effekt zurückzuführen, aber dennoch positiv zu sehen, resümierte Departement-Leiter Gerald Gartlehner. Ein wichtiger Aspekt bei der Wirkung von Placebos ist die Konditionierung, wie an Hunden bewiesen wurde: Ist Herrchen von der Kur überzeugt und bei der Verabreichung der Präparate regelmäßig besonders freundlich, lernt auch Bello, dass nun eine erbauliche Phase folgt - und fühlt sich dann stets wohl und geborgen.

Die Krux des Glaubens an die rettenden Tropfen ist, dass nötige medizinische Behandlung mitunter ausbleibt, wenn die Betroffenen meinen, man könne ihr Problem mit Bachblüten "natürlich“ lösen - und dann etwa gravierende psychische Probleme nicht erkannt werden. Stellt sich der Placeboeffekt nicht ein, können solche Patienten schwer irritiert sein. So erkrankte eine Frau an einer Psychose, zündete ihre Wohnung an und musste neun Monate lang stationär behandelt werden.

Behauptung:

Der britische Arzt Edward Bach war überzeugt, dass negative Emotionen physische Krankheiten auslösen und Blumen Heilungskräfte besitzen. Er begann um 1930, Blüten in Quellwasser zu sieden und daraus konzentrierte, mit Alkohol als Konservierungsmittel versetzte Essenzen herzustellen. Diese sollen Körper und Seele harmonisieren und emotionale Probleme heilen.

Welche Blumen hierbei für welchen Seelenzustand geeignet seien, bestimmte Mediziner Bach intuitiv (zum Beispiel, indem er seine Hand über eine bestimmte Blüte hielt).

Edelsteintherapie

Fakten:

Heute wird ein wilder Mix aus spirituell überfrachteten Überlieferungen geboten. Die zahllosen Erfahrungsberichte sind subjektiv und deshalb nicht aussagekräftig. Wissenschaftlich gesehen gibt es nichts, was diese Steine für den Organismus leisten könnten - abgesehen von theoretischer Wirkung bestimmter Chemikalien oder Mineralstoffe, die aus Steinen gewonnen werden könnten. Doch auch dazu müsste man sie erst pulverisieren. Expertin Krista Federspiel: "Edelsteintherapie ist Esoterik pur. Wunschdenken, Unsinn und ein gutes Geschäft.“ Schon zu Hildegard von Bingens Zeiten steckte wenig Substanz dahinter: "Als bestes Mittel galt damals Gold, einfach weil es wertvoll war und Wertvolles schließlich am besten helfen muss.“ Ähnliches treffe auf die heute in Esoterikkreisen omnipräsenten Halbedelsteine zu, die zwecks "Klärung des Wassers“ in Krügen klimpern: "Das bewirkt gar nichts. Reine magische Vorstellungen ohne wissenschaftliche Grundlage.“

Warum es trotzdem Anhänger - Begeisterte, nicht Amulette! - sonder Zahl gibt? Weil der feste Glaube an ein rettendes "Dings“ Balsam für die Seele ist: Wer "seinen“ Stein zur Prüfung mitbringt und fest auf dessen Kraft vertraut, gewinnt oftmals an Sicherheit und Selbstvertrauen.

Behauptung:

Edelsteine und Halbedelsteine galten in vielen schamanistischen Kulturen als magisch und heilsam. Im Babylonien wurde daraus Medizin (Pulver und Pasten) hergestellt. Auch Hildegard von Bingen setzte auf die "göttliche“ Kraft bestimmter Steine. Heutige Anbieter versprechen Besserung chronischer Beschwerden wie Schmerz, Verspannung oder Unruhe. Die Idee: Kristalle verfügen über heilende Lebensenergie, die sie laden oder entladen können. Gerne verwendet werden Rosenquarz (gegen Stress), Topas (gegen Bluthochdruck) und Granat (bei Depressionen).

Farbtherapie

Fakten:

Ein besonders abstruses Beispiel esoterischer Ideen: Da heißt es etwa, dass Krebs mit rosa, AIDS mit grünem, Orangenhaut mit violettem und Gallensteine mit gelbem Licht behandelt werden können, weil das Farblicht mit Körperzellen kommuniziere. Wie Licht und Farbe jedoch ins Innere des Körpers und bis zu Organen vordringen sollen, ist Physikern und Anatomen bisher schleierhaft.

Immerhin können Farben psychologische Effekte zeitigen. So bewies Harry Wohlfahrt von der kanadischen University of Edmonton 1984, dass Gelb und Rot am stärksten stimulieren, während Schwarz und Blau beruhigend wirken. Als gesichert gilt auch, dass UV-Licht antivirale und antibakterielle Wirkung hat und sich zur Behandlung von Psoriasis eignet. Auch die Therapie saisonaler, durch Lichtmangel verursachter Depressionen mit speziellen Lampen gilt als anerkannt. Dass jedoch Krankheiten wie Krebs oder Gallensteine mittels bunter Lichtlein schwinden, fällt in den Bereich gefährlichen Aberglaubens, wie Federspiel betont: "In Indien wickelte man Gelbsuchtkranke in gelbe Tücher und Herzkranke in rote. Die Idee, Gleiches mit Gleichem zu heilen, ist ja auch aus der Homöopathie bekannt und dort genauso irrig.“

Behauptung:

Mit Farben können Krankheiten behandelt werden, weil Farbschwingungen direkten Einfluss auf Zellen und Organe haben. Jeder Körper ist von einer Aura (einer Art Energiefeld) umgeben, deren Farben den Gesundheitszustand zeigen.

Der Originalartikel ist im profil Wissen-Extra Nr.1 2014 erschienen.