Alternativmedizin auf dem Prüfstand: Von Heilern bis Kinesiologie

Worauf die Wirkung von Akupunktur tatsächlich beruht, wieso Kräutermedizin giftig sein kann, warum Homöopathie um Beweise ringt, weshalb Edelsteine keine magische Lebensenergie bergen: Die wichtigsten alternativen Heilmethoden auf dem Prüfstand. Teil 2: Heiler und Energetiker, Hildegard von Bingen/Mittelaltermedizin, Homöopathie, Irisdiagnose/Iridologie und Kinesologie.

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Heiler und Energetiker

Fakten:

Wenn Heiler Braco auftritt, derzeit der Star der Szene, scharen sich weltweit tausende Fans in den Sälen, hoffen eigene Leiden loszuwerden oder bringen Fotos geliebter Kranker mit. Was sie aber in erster Linie tun, ist kaufen: CDs, DVDs, Bücher. Viel anderes bleibt ihnen auch nicht, denn Braco selbst betritt nur zu Anfang der Veranstaltung die Bühne - und schaut. Spricht nicht, tanzt nicht, zuckt nicht, steht nur offenen Auges da und blickt, bevor er wieder abgeht und seine Anhänger den Assistenten überlässt, die preisen, reden und Produkte des Meisters feilbieten. Ähnlich verhält es sich mit Joao de Deus, einem anderen gefragten Heiler, der viele Anhänger in seine brasilianische Heimat lockt, was auch Hotels und Gastronomie mächtig freut.

Zahllose Fans solcher Meister schwören, Besserung oder gar Heilung erfahren zu haben. Ein Phänomen, das weder physikalisch, anatomisch, physiologisch noch chemisch zu erklären ist. Einziges Faktum im einträglichen Business: Gemeinschaftsgefühl, Hoffnung, selektive Wahrnehmung und Glaube sind psychologisch wirksam. Die therapeutische Inszenierung hilft, dies zu verstärken. Der Glaube lindert Schmerz und sorgt für subjektiv verbesserte Befindlichkeit. Leider in der Regel nicht lange, wie Tests bewiesen: Wohl besserten sich Hautausschläge nach dem Besuch von Heilern kurzfristig, doch traten alle Symptome schon eine Woche später unverändert wieder auf. Was der Sehnsucht nach Wundern keinen Abbruch tut: Millionen Menschen pilgern alljährlich nach Lourdes, obwohl jeder Beweis fehlt, dass die wenigen rapportierten Heilungen nicht auch ohne Pilgerreise stattgefunden hätten, einfach weil der Körper selbst über die Krankheit siegt.

2005 veranstaltete die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften einen Geistheilertest. Die Frage: Kann man tatsächlich allein über die Hände Krankheitsherde aufspüren? Zu diesem Zweck wurde ein Paravent mit zwei Löchern aufgestellt, durch den 21 Heiler, die als Testpersonen fungierten, ihre Hände streckten. Sie sollten erkennen, ob sich in geringem Abstand hinter dem Paravent eine Person befand oder nicht. Und siehe da: nicht mehr Treffer, als auch der pure Zufall erbracht hätte. Die großen Meister spürten also genau nichts - und können deshalb bei Hilfesuchenden auch keine Krankheiten erkennen. Auch zwei Metastudien von Edzard Ernst machten klar: Geistheilung hat über eine Placebowirkung hinaus keinerlei therapeutischen Wert.

Viele weitere esoterische Konstrukte - ob Auraanalysen, Aromatherapie, Feng Shui, Handlesen oder Pendeln - finden sich im Methodenkatalog der Wirtschaftskammer unter "Energetik“. Alles freies Gewerbe, das keiner geregelten Ausbildung bedarf und keinerlei Kontrollen unterliegt. Einzige Auflage: Kranke zu behandeln oder wissenschaftlich anerkannte Therapien anzubieten, ist den Ausübenden untersagt. Derzeit gibt es in Österreich rund 18.000 angemeldete und zirka 14.000 praktizierende Energetiker - mehr als aktive Allgemeinmediziner.

Kaum überraschend, dass Parawissenschaftsexpertin Federspiel warnt: "Fast alles Junk. Gefährlich wird es, wenn labile Menschen solche Angebote nützen. Die Behandler verfügen über keine psychologischen Kenntnisse und schicken auch schwer verstörte Klienten nach der Sitzung nach Hause. So etwas kann nötige fachkundige Behandlung gefährlich verzögern.“

Behauptung:

Von heilenden Blicken über Handauflegen und Geisterbeschwörungen bis zu Energieübertragungen: Versprochen wird, was Hoffnung spendet.

Hildegard von Bingen/Mittelaltermedizin

Fakten:

Hildegard-Medizin und -Ernährung garantieren gute Geschäfte. Einiges, was mit Bingens Namen bei Heilpraktikern und in Bioläden beworben wird, ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht nur überholt, sondern auch weit von den überlieferten Rezepten der christlichen Mystikerin entfernt. Mag ja sein, dass die robuste Äbtissin etwas aus Aronia-Beeren gemacht hätte - allerdings war die aus Nordamerika stammende Beere zu Lebzeiten der gottesfürchtigen Frau in Europa noch gar nicht bekannt.

Selig auch, wer heute noch an verhexte Kräuter glaubt, die durch bloßes Auflegen Wunder wirken. Und obwohl etwa Dinkelprodukte in der Tat empfehlenswert sein können und einigen von Hildegards Heilpflanzen Effekte nachgewiesen werden konnten: Für Aderlass nach Vollmond als Immunkraftturbo, den Glauben an himmlische oder diabolische Kräfte in Steinen und Gewächsen oder Rohverzehr giftiger Maiglöckchen als Heilmittel braucht es schon eine Menge Gottvertrauen - vor allem, wenn man bedenkt, dass am Aderlass jahrhundertelang mehr Menschen starben als an den Krankheiten, die man damit heilen wollte. Kaum überraschend, weil der Verlust von rund einem halben Liter Blut einem geschwächten Körper rasch die letzten Kraftreserven rauben kann. Derlei gilt nach heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen als riskant.

Behauptung:

Aderlass, Dinkelprodukte, magische Heilsteine, Rituale, Liköre, Heilkräuter, göttliche Kräfte und vom Teufel manipulierte Pflanzen: Der ganzheitliche Ansatz der Äbtissin (1098-1179) versprach Heilung, Gesundheit und Wohlbefinden. In den 1970er-Jahren vom Österreicher Gottfried Hertzka als "Hildegard Medizin“ wiederbelebt, lösten viele der alten Gesundheits- und Ernährungstipps einen wahren Boom aus: Die zahllosen, unter Hildegard von Bingens Namen vermarkteten Produkte sollen wohltuend, präventiv und heilsam wirken.

Homöopathie

Fakten:

Der Verkauf homöopathischer Mittel spült weltweit rund zwei Milliarden Euro jährlich in die Kassen der Hersteller. In Österreich dürfen nur Ärzte mit entsprechender Zusatzausbildung Homöopathie als Therapie anbieten. Empfehlungen auszusprechen, ist auch Apothekern und Hebammen gestattet. Laut einer aktuellen Gfk-Umfrage greift mehr als die Hälfte der Österreicher zu Homöopathika - vor allem Frauen (63 Prozent) und Familien mit Kleinkindern (69 Prozent). Ob die Arzneien überhaupt wirken, sorgt für heftige Kontroversen.

Während Skeptiker das Fehlen zuverlässiger Studien, die modernen Standards entsprechen, bekritteln, führen Anhänger ins Treffen, die von der evidenzbasierten Medizin (EBM) geforderten Standards seien selbst mangelhaft und verzerrten die Realität. So meint Allgemeinmediziner und Homöopath Friedrich Dellmour im Newsletter der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin (ÖGHM), dass Naturwissenschaft, EBM und Komplementärmedizin zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, weil sich ihre Sichtweisen krass unterscheiden: "Die EBM ist kein exaktes Tool, sondern basiert auf relativ weichen Daten und ist daher nur ein Hilfsmittel mit beschränkter praktischer Bedeutung.“ Man müsse eine Methodik entwickeln, die den medizinischen Kriterien der Homöopathie gerecht werde: "Qualitäten kann man nicht messen, sondern nur beschreiben und vergleichen.“

Dieser Ansicht sind sogar viele Ärzte, die ihren Patienten durchaus auch Homöopathika verschreiben. Kaum eine Geburtsstation in Österreich, die keine Globuli eingelagert hat. Und immer wieder tauchen Studien und Fallberichte auf, die Wirksamkeit zu belegen scheinen - etwa eine Arbeit, freilich schon von 1990, wonach ein entzündungshemmendes Schmerzmittel und eine homöopathische Arznei angeblich nahezu gleichwertige Effekte erzielten. Nach wissenschaftlichen Kriterien durchgeführte große Untersuchungen ergeben dagegen regelmäßig (etwa 2005 im Fachmagazin "Lancet“ veröffentlichte Ergebnisse einer Forschergruppe der Universität Bern), dass "die klinischen Effekte der Homöopathie Placeboeffekte sind“.

Homöopathen sind überzeugt, dass Wirkstoffe auch nach extremer Verdünnung Effekte zeitigen, weil sich die "Information“ aufs Trägermedium übertrage. Die Arzneien seien auch dann potent, wenn sich in den Globuli überhaupt kein Wirkstoffmolekül nachweisen lasse. Bei Potenzklasse D24 ist die Urtinktur so stark verdünnt, dass sie etwa einem Tropfen im fünffachen Volumen der auf der ganzen Welt vorhandenen Wassermassen entspricht. Nach naturwissenschaftlichen Maßstäben ist da jede Wirkung völlig ausgeschlossen. Martin Peithner, dessen Unternehmen in Wien homöopathische Arzneimittel herstellt, glaubt dennoch: "Es ist wie bei ‚Stille Post‘: Nach vielen Weitererzählungen bleibt ausschließlich das Wichtigste der Erstinformation erhalten.“ Wer das Spiel kennt, weiß allerdings auch, wie wenig Sinnhaftes da mitunter am Ende der Kommunikationskette zutage tritt.

Krista Federspiel, Alternativmedizinspezialistin der Gesellschaft für wissenschaftliche Erforschung von Parawissenschaften: "Genau genommen ist bei keinem Fläschchen mit Hochpotenz über D9 drin, was draufsteht. Im beliebten Homöopathikum Belladonna D30 ist kein Belladonna drin, sondern nur bis zu 25 Moleküle von Verunreinigungen aus dem sterilen Wasser, dem Alkohol und der Raumluft. Sie alle werden aber bei jedem Lösungsschritt mitgeschüttelt. Warum ihre, Information‘ keine Rolle spielen sollte, konnte mir noch kein Homöopath erklären.“

Dass man den Wirkmechanismus der Globuli erklären könne, behauptet auch Peithner nicht: "Das Wie kennen wir nicht. Aber wir wissen aus Erfahrung, dass sie wirken. Sie brauchen nur Mütter zu fragen, die ihre Kinder lieber mit homöopathischen Mitteln behandeln.“ Alternativmedizinforscher Edzard Ernst zeigt mehr Sicherheit: "Neben dem Placeboeffekt der Globuli und dem natürlichen Heilungsprozess ist der Kontakt mit dem empathischen Arzt das entscheidende Therapeutikum der Homöopathen.“ Denn die ausführliche Anamnese, die Homöopathen durchführen, sei an sich schon Balsam für die Seele, was Heilungsprozesse durchaus begünstigen kann. In den Globuli selbst stecke dagegen nichts, das heilen könnte. Dass verdünnendes Wasser quasi "ein Gedächtnis“ habe und Informationen speichere, hält der Experte für Humbug: Selbst wenn es entsprechende chemische Mechanismen gäbe, die Wassermoleküle würden im besten Fall Millionstel von Sekunden zusammenhalten. Da kann weder Wasser noch Alkohol Information speichern, es hat kein Gedächtnis, eher ist es dement. In mehr als 200 klinischen Studien habe sich gezeigt, dass Globuli reine Placebos sind.

Behauptung:

Similia similibus curentur (Ähnliches werde durch Ähnliches geheilt) postulierte der Erfinder der Homöopathie, der Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843). Er schloss dies aus einer Reihe von Versuchen an seiner Familie und sich selbst. 1796 publizierte er das Simile-Prinzip: Die Einnahme bestimmter Arzneien aus Pflanzenextrakten, Kräutern, Mineralien und tierischen Essenzen rufe bei Gesunden ähnliche Symptome hervor wie jene Krankheiten, gegen die sie erfolgreich eingesetzt werden. Sein zweites Grundprinzip war die Verdünnung (Potenzierung): Je öfter eine Wirksubstanz verdünnt und verschüttelt werde, desto besser wirke sie. Mit Wasser und Alkohol versetzt und auf Zuckerkügelchen (Globuli) gesprüht, sollen homöopathische Mittel die körpereigene Abwehrkraft anregen und Genesung bringen.

Irisdiagnose/Iridologie

Fakten:

Vor allem zwei von Ärzten verfasste Bücher aus dem Jahr 1954 (von Walter Lang und Josef Deck) werden gern als Beleg für die Vorteile der Irisdiagnostik herangezogen. Allerdings gelang es trotz vieler klinischer Studien bisher nicht, der Irisdiagnostik mehr als zufällige Treffer zu attestieren. Neurologe Christian Bancher, Primar am Landesklinikum Waldviertel Horn-Allentsteig, ahnt den Grund: "Dass sich in der Iris viele Nervenenden befinden, ist schlicht unwahr. Sie ist ein kleiner Muskel, der keine besonderen Funktionen zu erfüllen braucht. Dagegen sind die für Augenbewegungen verantwortlichen Muskeln zum Beispiel deutlich komplizierter.“ Die Irisdiagnose bezeichnet Bancher als "ein Gebiet, das sich neurobiologisch nicht erklären lässt“. Abgesehen davon existieren 20 solche "Iriskarten“, die sich voneinander unterscheiden. Und als 1989 niederländische Forscher zum wissenschaftlichen Test luden, angeblich erfahrenen Irisdiagnostikern 78 Patientenfotos vorlegten und baten, jene Personen herauszufiltern, die unter Gallenproblemen litten, erstaunte das Ergebnis sogar die überzeugten Augenbeurteiler: Man hätte auch eine Münze werfen können. Denn mehr als die üblichen Zufallstreffer gab es nicht.

Behauptung:

Das im 19. Jahrhundert in Ungarn entwickelte Diagnoseverfahren soll es möglich machen, anhand genauer Betrachtung der Augen und Beurteilung nach "Iriskarten“ Beschwerden festzustellen und Gesundheitsprobleme vorherzusagen. Die Therapeuten behaupten, dass Farbe, Beschaffenheit und bestimmte Merkmale der Iris Schwachstellen im Körper verraten. Häufige Erklärung: Die Iris sei mit zahlreichen Nervenenden ausgestattet und stehe so mit gesamten Organismus in Verbindung.

Kinesiologie

Fakten:

Wenn der Klient ein Glas eines schlecht vertragenen Lebensmittels bei sich stehen hat oder an etwas Unangenehmes denkt, lässt sich sein ausgestreckter Arm leichter nach unten drücken? Ein reichlich zweifelhafter Weg zu korrekter Diagnostik: Von mehr als 20 Studien des International College of Applied Kinesiology erwies sich keine als wissenschaftlich akzeptabel. Zahlreiche kontrollierte Versuche verschiedener Forscherteams ergaben nicht mehr als einige Zufallstreffer der alternativen Methode.

Dass die Kinesiologie trotz vieler Studien, die deren Wirksamkeit bestreiten, seit den 1990er-Jahren boomt, liegt wohl daran, dass die Idee fein klingt: Muskel gibt Auskunft über Gesundheitszustand. Toll. Expertin Federspiel: "Nicht mehr als ein Salon-Trick.“ In Deutschland fand sich die Methode sogar kurz in der Lehrerausbildung wieder, wurde jedoch bald wieder gestrichen.

Erfahrungsbericht am Rande: Vom eifrigen Kinesiologen nach der Ausstattung des Schlafraumes befragt und die dortige Büroausstattung (zwei Computer, Handy, TV- und Faxgerät) verschweigend, lautete die begeisterte Diagnose: "Erstklassiges Schlafumfeld ohne Elektrosmog.“ Und erwies sich somit als völlig falsch. Die Kraft des Armes, der sich beim Gedanken ans Kuschelbett nicht herunterdrücken ließ, war wohl eher regelmäßigem Krafttraining zuzuschreiben.

Behauptung:

Der US-Chiropraktiker George Goodheart, Begründer der Angewandten Kinesiologie, ging davon aus, dass der Körper selbst wisse, warum er krank sei, und dieses Wissen sich an der Muskulatur ablesen lasse. Er präsentierte in den 1960er-Jahren die Theorie der Energiekreise und war überzeugt, dass Intensität oder Schwäche der Muskelspannung bei Kontakt mit bestimmten Substanzen (etwa Umweltgiften oder Nahrungsmitteln) Aufschluss über den Gesamtzustand des Körpers sowie etwaige Störungen gibt. Die heute verbreitete Kinesiologie wird meist von Behandlern ohne medizinische Ausbildung ausgeübt, aber auch die Ärztekammer stellt Diplome aus. Kinesiologie behauptet, anhand manueller Muskeltests Diagnose und passende Therapie bestimmen zu können.

Der Originalartikel ist im profil Wissen-Extra Nr.1 2014 erschienen.