"Crystal Meth kommt häufig schon vor Cannabis“

Der deutsche Psychiater und Suchtmediziner Roland Härtel-Petri über die verschiedenen Gesichter von Crystal Meth, 13-jährige Konsumenten und die medizinischen Hintergründe der Droge.

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profil: Crystal Meth ist die gefährlichste Droge, die es gibt, macht schon mit dem ersten Konsum süchtig und ruiniert den Körper innerhalb weniger Monate. Richtig? Härtel-Petri: Gesamtgesellschaftlich bleibt Alkohol die gefährlichste Substanz. Für das einzelne Individuum aber ist Crystal Meth tatsächlich eine der schädlichsten Drogen. Es macht nicht beim ersten Konsum süchtig, aber jedenfalls schneller abhängig als Koks oder Crack. Zudem ist es eine hochgradig neurotoxische Substanz. Crystal verursacht relativ schnell bleibende Schäden im Gehirn.

profil: Die Öffentlichkeit kennt von Crystal Meth oft nur die Polizeifotos ausgemergelter Konsumenten. Zeigen diese Bilder den typischen Fall? Härtel-Petri: Für die Patienten, die ich in der Psychiatrie zu Gesicht bekomme, sind diese Bilder Realität, oder sie waren es. In der ersten Phase wird Körperfett abgebaut, die Menschen magern ab. Nach etwa zwei Jahren Dauerkonsum stellt sich der Körper aber um und hält wieder das normale Gewicht, dann sieht man ihnen das nicht mehr an. Die verpickelte Haut beruht auf Selbstbeschädigung: Crystal-Konsumenten drücken und kratzen stundenlang an ihren Hautunreinheiten herum, zum Teil hat das auch psychotische Züge. Die Schäden, die im Gehirn entstehen, sind aus meiner Sicht jedenfalls wesentlich dramatischer als jene, die man mit diesen Bildern erfassen kann.

profil: Was macht Crystal so gefährlich? Härtel-Petri: Methamphetamin ist leichter fettlöslich als Amphetamin, kommt dadurch schneller durch die Blut-Hirn-Schranke und konzentriert sich so stärker im Hirn als im Herz. Dadurch spüren Sie am Anfang nicht die typischen Nebenwirkungen von Speed, dieses Herzrasen, das normalerweise einen begrenzenden Faktor für die Einnahme von Amphetaminen darstellt. Da nun aber die Konzentration im Hirn so hoch ist, sind die Abbauenzyme im Hirn völlig überfordert, es bilden sich Sauerstoffradikale, die wiederum dafür sorgen, dass die Ausläufer der Nervenzellen absterben. Auf Dauer kann das in eine Amphetamin-Psychose führen, die sehr hartnäckig ausfallen kann.

Wo es zu furchtbar billigen Preisen verfügbar ist, ist Crystal auch schon eine Einstiegsdroge für 13- bis 14-Jährige, die keine Ahnung haben von den Gefahren.

profil: Methamphetamin taucht offenbar vor allem in der Provinz auf, weniger in Großstädten - warum? Härtel-Petri: Das hat nichts mit dem Verbauungsgrad einer Gegend zu tun, sondern schlicht damit, dass das Grenzgebiet zu Tschechien in Österreich und Deutschland eher dünn besiedelt ist. Aber Crystal kommt bereits in den Städten an. Wir haben ein Riesenproblem in Nürnberg, ein Riesenproblem in Dresden und Leipzig, und dort haben wir dann auch urbane, gewalttätige Strukturen.

profil: Wann im Verlauf einer Drogenkarriere taucht Crystal üblicherweise auf? Handelt es sich um einen Zusatzkick für Leute, die schon alles ausprobiert haben? Härtel-Petri: Bei uns in der Region kommt Crystal häufig schon vor Cannabis. In Großstädten mag das noch anders sein, aber hier, wo es zu furchtbar billigen Preisen verfügbar ist, ist Crystal auch schon eine Einstiegsdroge für 13- bis 14-Jährige, die keine Ahnung haben von den Gefahren.

profil: Lässt sich eine Methamphetamin-Abhängigkeit gut behandeln? Härtel-Petri: Ja, wir erzielen ähnlich gute Erfolge wie bei Alkoholabhängigen. Das ist die positive Nachricht. Den Suchtberatungsstellen muss allerdings klar sein, dass die Konsummotive ganz andere sind als bei Opiaten, Cannabis oder Alkohol, wo eher Fluchtmotive vorliegen. Diese Leute wollen Spaß haben, aktiv sein, sind leistungsorientiert. Da muss eine Therapie anders ansetzen.

Roland Härtel-Petri ist Oberarzt an der Abteilung für Klinische Suchtmedizin am Bezirkskrankenhaus Bayreuth, wissenschaftlicher Berater der Suchtklinik Hochstadt und international gefragter Experte für die Behandlung und Therapie von Methamphetamin-Abhängigen.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.