Cyberama: Thomas Vašek

Cyberama von Thomas Vašek Apple Watch: Wir Apfel-Menschen

Wir Apfel-Menschen

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Muss man das Ding haben? Das ist die entscheidende Frage, die sich nach der Präsentation der "Apple Watch“ stellt. Nein, man muss nicht. Aber viele werden diese Uhr haben wollen. Erstens, weil sie von Apple ist. Zweitens, weil sie cool aussieht. Drittens, weil man ein paar coole Dinge damit machen kann. Viertens, weil die Uhr das perfekte Accessoire zum iPhone ist. Dabei ist die "Apple Watch“ nicht einmal eine spektakuläre Erfindung, sie kann auch nicht viel mehr als die anderen "Smartwatches“ der Konkurrenz. Aber das war bei neuen Apple-Geräten immer so. Erst lässt Apple die anderen machen, um aus deren Fehlern zu lernen. Man perfektioniert die Technik, verbessert die Nutzerfreundlichkeit, schafft ein begehrenswertes Design. Das Ergebnis ist dann oft ein Gerät, das eine gesamte Kategorie überhaupt erst definiert. Erst mit der Apple Watch beginnt das Zeitalter der "Wearables“, also der vernetzten Kleinstcomputer, die man direkt am Körper trägt. Wie alle bisherigen Apple-Innovationen wird vermutlich auch die Uhr unseren Alltag verändern. Aber die Apple Watch ist nicht einfach nur ein weiteres Technik-Spielzeug. Sie verändert die Art und Weise, wie wir mit der digitalen Welt interagieren. Es ist ein Unterschied, ob man ein digitales Gerät in der Jackentasche oder ständig direkt am Körper trägt. Ein Smartphone muss man erst einmal zur Hand nehmen. Eine Uhr ist ein Teil von einem selbst. Nicht umsonst sagen wir, dass wir die Zeit "wissen“, wenn man uns danach fragt, obwohl es eigentlich die Uhr ist, die uns die Zeit anzeigt. Auch die Apple Watch wird zu einem Teil ihres Trägers werden, zugleich macht sie ihren Träger zu einem Teil der Apple-Welt.

Wir werden zu Apfel-Menschen.

Bei Apple hat man erkannt, dass es dabei weniger auf spektakuläre Funktionen ankommt. Mit der Uhr kann man E-Mails lesen, die Musikwiedergabe steuern, Puls und Geschwindigkeit messen und einiges mehr. Alles schön und gut, aber eigentlich uninteressant. Bald wird es ohnedies Abertausende Apps für die Apple Watch geben. Entscheidend ist vielmehr das "Nutzererlebnis“, also das Gefühl, das einem die Uhr vermittelt.

Das vielleicht genialste Feature ist die "digitale Krone“, der seitliche Knopf, mit dem man durch Menüs scrollen oder Apps starten kann. Dahinter steht die Erkenntnis, dass niemand Lust hat, auf einem winzigen Touch-screen mit den Fingern herumzufummeln. Zugleich ist die Krone natürlich ein traditionelles Feature jeder analogen Uhr, das Neue knüpft also ans Vertraute an. Überhaupt funktioniert bei der Apple Watch vieles über die Haptik. Zum Beispiel stupst einen die Uhr am Handgelenk an, wenn man eine Nachricht oder einen Anruf bekommt. Mit einer Funktion namens "Gentle Tap“ kann man anderen Apple-Watch-Trägern kleine haptische Signale, eine Art Morsecode, übermitteln.

Das verspricht nicht nur ziemlich viel Spaß. Es ist auch ein neuer, intuitiver Zugang zur digital vernetzten Welt. Mit der Apple Watch kann man sogar den eigenen Herzschlag aufzeichnen und an andere verschicken. Das ist vielleicht eine der romantischsten Ideen der Computergeschichte - ein zauberhaftes, intimes Feature für Liebende ("Hey, ich lebe! Mein Herz schlägt für dich!“) . Das Entscheidende daran ist die Vermenschlichung, die Emotionalisierung der Technik. Es bedeutet auch eine Feminisierung. Die größte Gefahr bei Hightech-Uhren ist ja, dass sie die weibliche Zielgruppe kaltlassen und ein ähnliches Schicksal erleiden wie die Taschenrechner-Uhren der 1980er-Jahre, die nur ein paar Nerds anziehend fanden. Vermutlich haben sich bei Apple ganze Entwicklergruppen nur auf diese Frage konzentriert, ebenso wie auf die modischen Aspekte der Uhr, die andere Hersteller sichtlich zweitrangig behandelten. Die Apple Watch soll es ab 2015 in zwei Größen (3,8 und 4,2 cm) sowie drei Varianten (Apple Watch, Apple Watch Sport und die luxuriöse Apple Watch Edition für Angeber, in 18 Karat Gold), in verschiedenen Farben und mit verschiedenen Armbändern geben; die Preise werden wohl ab 349 Euro beginnen. So richtig deutlich wird Apples Smartwatch-Strategie jedoch erst im Zusammenspiel mit den neuen iPhones 6 und 6+, die vor allem größer (4,7 und 5,5 Zoll) sowie leistungsfähiger sind (schnellerer Prozessor, bis zu 128 GB Speicher). Das iPhone wird immer mehr zur zentralen digitalen Schaltstelle, die mit anderen Apple-Geräten und der Cloud kommuniziert; die neuen Geräte haben nun auch eine Bezahlfunktion (Apple Pay), mit der man Zahlungen einfach per Fingertipp erledigen kann. Die Apple Watch, die nur zusammen mit dem iPhone (ab iPhone 5) funktioniert, ist das Lifestyle-Link zu diesem Ökosystem. Sie verbindet unseren Körper, unseren Leib, unseren Herzschlag mit der immateriellen digitalen Welt. Und sie koppelt uns direkt an die Welt des Informationskapitalismus, der menschliche Wünsche und Bedürfnisse auf Datenströme reduziert.

In Zukunft wird uns die Apple-Uhr vermutlich freundlich anstupsen, wenn es irgendwo etwas Interessantes zu kaufen gibt, womöglich abgestimmt auf die aktuelle Pulsfrequenz. Das ist kein bloßes technisches Instrument mehr. Es ist eine neue digitale Daseinsform.

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