Haben Asteroiden zur Entstehung des Lebens beigetragen?

Neue Studien weisen die Grundbausteine organischer Materie weit draußen im All nach – und erhärten eine These zur Entstehung des Lebens: Asteroiden könnten die Zutaten dafür zur Erde gebracht haben.

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Ein Häufchen dunklen, porösen Gesteins genügte. 5,4 Gramm des wenig anschaulichen Materials reichten aus, um der Antwort auf eine der größten Fragen der Menschheit ein gutes Stück näher zu kommen: Woher stammt das Leben auf der Erde? Woher kamen die ersten Zutaten dafür, die letztlich alles hervorbrachten – Pflanzen und Bakterien, Insekten, Tiere und uns Menschen? Eine soeben im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlichte Untersuchung jenes Häufchens scharfkantiger, bis zu einen Zentimeter großer Gesteinskrümel will dazu beitragen, dieses Rätsel zu knacken.

Die kohlenstoffreichen Brösel sind weit gereist. Sie stammen vom Asteroiden (162173) Ryugu, der weit draußen im All seine Bahnen zieht. Ryugu misst knapp einen Kilometer, wiegt eine halbe Milliarde Tonne und umrundet die Sonne alle 474 Tage in einem relativ ähnlichen Abstand wie die Erde: in 130 bis 210 Millionen Kilometer Entfernung. Auf seinem Orbit kreuzt er auch die Erdbahn und zählt daher zu den erdnahen Asteroiden. Zum Glück besteht keine Kollisionsgefahr. Könnte der Asteroid die Erde treffen, würde er einen ungefähr 20 Kilometer großen Krater schlagen – vergleichbar dem Nördlinger Ries in Süddeutschland, das vor rund 15 Millionen Jahren durch einen Meteoritentreffer entstand (Meteoriten heißen Bruchstücke von Asteroiden, wenn sie auf den Erdboden gefallen sind).

Im Jahr 2018 erhielt Ryugu Besuch: Nach vierjähriger Reise setzte die japanische Raumsonde Hayabusa 2 auf dem Asteroiden auf, schoss ein Projektil in dessen Oberfläche und erzeugte einen kleinen Krater. Mithilfe der Bordinstrumente wurden Bodenproben aus dem Krater sowie der Oberfläche gewonnen, steril versiegelt und zur Erde gebracht, wo sie im Dezember 2020 eintrafen.

„Jetzt ist bestätigt, dass sich Bausteine des Lebens im Weltall finden.“

Christian Köberl, Geochemiker  

Hier machte sich ein Team um den japanischen Geochemiker Yasuhiro Oba umgehend an die Arbeit. Mit raffinierter, hoch präziser Mess- und Analysetechnik studierten die Forschenden die Gesteinsproben. Die Methoden erlaubten es, einzelne Partikel unter einer Milliarde winzigster Teilchen aufzuspüren. Die Ergebnisse der Analysen veröffentlichte das Wissenschaftlerteam in mehreren Fachartikeln, zuletzt vorvergangene Woche – und sie sind durchaus spektakulär. Denn die Forschenden fanden in den beiden Asteroidenproben die wichtigsten Bausteine, auf denen alle uns bekannten Lebensformen beruhen.

Bauschutt des Sonnensystems

Der Asteroidenstaub enthielt Dutzende organische Moleküle, darunter Aminosäuren – Komponenten von Eiweißstoffen, die in allen Lebewesen vorkommen. Die jüngste Publikation der Forschenden konzentriert sich vor allem auf eine Entdeckung: Die

Expertengruppe isolierte aus den Proben den Stoff Uracil. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Nukleinbase. Vier dieser chemischen Bausteine – neben Uracil sind dies Adenin, Cytosin und Guanin – bilden die Ribonukleinsäure, kurz RNA. Die RNA ist eine Art Gegenstück zur DNA, der Erbsubstanz, die unsere Gene beherbergt und in der berühmten Doppelhelix angeordnet ist (siehe Grafik unten). Ein Job der RNA ist es, genetische Information in Proteine zu übersetzen: in Eiweiße, die wesentliche Bestandteile unserer Organe sind und viele Funktionen ausüben, um den menschlichen Körper zu formen und ihn am Laufen zu halten.

Uracil ist somit ein Grundpfeiler einer Substanz, die eine Grundlage allen Lebens darstellt. Und nun wiesen Forschende eben diese Verbindung in einem Asteroiden nach, in einem mehrere Milliarden Jahre alten Steinbrocken, der fern der Erde durchs Weltall gleitet.

Asteroiden sind die ältesten und urtümlichsten Himmelskörper. Sie stammen aus der Frühzeit des Sonnensystems vor viereinhalb Milliarden Jahren. Damals begann sich kosmisches Material allmählich zusammenzuballen, zu sortieren und zu frühen Planeten zu formieren. Asteroiden sind das, was übrig blieb – gleichsam der Bauschutt aus der Konstruktionsphase des Sonnensystems, der es nicht geschafft hat, Anschluss an einen Planeten zu finden. Seit damals schlingern sie durchs All, viele von ihnen im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Manchmal kommt einer von ihnen vom Kurs ab, und infolge sehr langsamer Bahnveränderungen kann er sich über Jahrmillionen Richtung Erde bewegen. Gut 200 Krater zeugen von teils gigantischen Einschlägen: Vor 66 Millionen Jahren raste ein zehn Kilometer großer Asteroid mit mehr als 100.000 Stundenkilometern und der Wucht von Millionen Atombomben über der mexikanischen Halbinsel herab, tilgte die Dinosaurier und zwei Drittel aller Spezies vom Planeten – und markierte den Beginn eines neuen Erdzeitalters. Der Einschlag machte die Bühne frei für neue Lebensformen: die Säugetiere und auch uns Menschen.

Am anderen Ende der Skala finden sich kleine kosmische Trümmer, die durch die Reibungshitze der Atmosphäre bersten und es nicht bis zum Erdboden schaffen. Vor genau zehn Jahren detonierte solch ein Brocken über der russischen Stadt Tscheljabinsk. Obwohl die Explosion in der Atmosphäre stattfand, richtete die Druckwelle enormen Schaden an. Tausende Fensterscheiben splitterten, Mauern in der Stadt stürzten ein.

Für die Wissenschaft sind Asteroiden besonders interessant, weil sie genau so erhalten sind, wie in der Stunde Null des Sonnensystems. Sie bieten damit ein erstklassiges Fenster in die Vergangenheit, durch das man gleichsam in die Kinderstube unseres Winkels im Universum blicken kann.

Gesteinsproben

Eine Infektion mit Leben

Dass Asteroiden organische Moleküle enthalten können, wusste man auch schon bisher. Forschende untersuchen seit Langem Meteoritengestein, das von Einschlägen auf der Erde stammt und teils schon vor Dekaden geborgen wurde. Ein Beispiel dafür ist ein rund 100 Kilo schweres Asteroidenbruchstück, das 1969 nahe der australischen Stadt Murchison zu Boden fiel. Analysen wiesen darin Aminosäuren nach. Insgesamt wurden inzwischen sämtliche Bausteine gefunden, aus denen das Leben besteht: die vier Nukleobasen der RNA sowie Thymin, das in der DNA anstelle von Uracil vorkommt (die übrigen sind ident). Mit anderen Worten: Bereits seit einiger Zeit ist bekannt, dass in Asteroiden sämtliche Ingredienzien für RNA und DNA stecken können, und somit der gesamte Bausatz des Lebens.

Allerdings: All diese Befunde aus der Vergangenheit wurden anhand von Meteoritengestein gewonnen, das auf der Erde eingesammelt wurde. Die jüngsten Analysen hingegen beruhen auf Materialproben, die direkt von einem Asteroiden weit draußen im All stammen. Bei den früheren Gesteinsuntersuchungen lässt sich nicht gänzlich ausschließen, dass es zu einer Kontamination mit organischen Molekülen kam, dass das Material also erst auf der Erde in Kontakt mit den Aminosäuren geriet. Bei den Ryugu-Proben ist solch eine Kontamination unmöglich: Sie wurden hermetisch versiegelt aus dem Weltraum bis ins Labor gebracht. Die Forschenden um Yasuhiro Oba fanden darin nicht nur Uracil, sondern außerdem Nikotinsäure – nichts anderes als Vitamin B3, das wichtig für den Stoffwechsel von Organismen ist.

Zwar seien Kontaminationen auch bei den früheren Gesteinsanalysen nicht sehr wahrscheinlich gewesen, meint Geologe Christian Köberl. „Aber es ist gut, dass jetzt eindeutig bestätigt ist, dass sich die Bausteine des Lebens im Weltall finden.“

Die jüngsten Studien befeuern eine Debatte, die schon länger geführt wird: Kamen die Vorläufer des Lebens aus dem Kosmos zur Erde? Wurde unser Planet gleichsam mit Leben infiziert, und zwar durch Treffer von Asteroiden? Diese These heißt „Panspermie“ und besagt im Wesentlichen, dass die denkbar katastrophalsten Ereignisse des Universums, nämlich Meteoriteneinschläge, zugleich einen Auftakt des Lebens darstellen könnten.

Spontanzündung in der Ursuppe

Wie das Leben auf der Erde vor mehr als drei Milliarden Jahren wirklich entstand, ist nach wie vor ungeklärt. Das berühmte Miller-Urey-Experiment in den 1950er-Jahren ging von einer Art Spontanzündung in einer Uratmosphäre aus: In einem Gemisch aus Wasser, Methan, Ammoniak und Wasserstoff hätten zum Beispiel Blitze den entscheidenden Schub geleistet und Aminosäuren hervorgebracht. Überzeugender finden viele Forschende den Vorschlag der hydrothermalen Felder als Wiege des Lebens. Diese Strukturen am Meeresgrund ähneln Geysiren, in denen warmes Wasser unter speziellen chemischen Bedingungen brodelt – sie könnten abgeschottete Brutstätten bieten, in denen über die Zeit immer komplexere organische Verbindungen entstanden.

Vergleichbar günstige Bedingungen könnten ausgerechnet Meteoritenkrater erzeugen: Ist nach einem Einschlag Gestein zertrümmert, geschmolzen, verflüssigt oder verdampft, kann im Inneren des Kraters eine neue Miniaturwelt entstehen, ein steinernes Habitat voller Poren, Ritzen, Gänge, Höhlen und Kammern. Geflutet mit warmem Wasser, könnte dies über Jahrtausende durchaus ein komfortables Umfeld für einfaches Leben ermöglichen.

Oder aber es handelt sich bei den Bausteinen des Lebens um ein Importgut, das an Bord von Asteroiden zur Erde gelangte. Die Untersuchungen von Ryugu geben dieser These nun neue Nahrung. Und sie zeigen auch, wie bemerkenswert robust die Grundkomponenten belebter Materie sind: Mehr als vier Milliarden Jahre vagabundiert Ryugu nun durchs All und ist dabei im Vakuum harschen Bedingungen wie der kosmischen Strahlung ausgesetzt. Wie und wann immer die Nukleobase Uracil in dem Asteroiden entstand oder auf ihn gelangte – sie überdauert dort jedenfalls schon sehr, sehr lange.

Das japanische Forscherteam stellt sogar zur Debatte, dass kosmische Strahlung und das UV-Licht der Sonne womöglich Anteil an der Entstehung der Moleküle hatten oder sie über Millionen von Jahren allmählich auf günstige Weise veränderten. Ähnliche Prozesse könnten abgelaufen sein, bevor solche Nukleobasen erstmals zur Erde gelangten und hier die Basis für RNA und DNA bildeten. „Um schließlich wirklich Leben entstehen zu lassen, war aber sicher noch eine Inkubationsphase auf der Erde notwendig“, so Köberl. Hier könnten zum Beispiel die hydrothermalen Felder im Ozean ins Spiel kommen: Extraterrestrische Moleküle könnten dort die optimalen Bedingungen vorgefunden haben, um über lange Zeiträume Vorstufen und frühe Formen von Leben auszubrüten.

Der Grundstoff des Lebens könnte in der gesamten Galaxie verteilt sein.

Keith Cooper

Astrophysiker

Vielleicht eher Regel als Ausnahme

Wenn Moleküle wie Uracil zäh genug sind, extrem lange Zeit in Asteroiden zu überstehen – warum sollten sie dann nicht auch anderswo im Universum vorkommen? Der britische Astrophysiker und Wissenschaftsautor Keith Cooper könnte sich vorstellen, dass die Bausteine des Lebens nicht erst ein Ergebnis der Entstehung unseres Sonnensystems sein könnten, sondern schon viel länger existieren, vielleicht überall im Kosmos. „Sie könnten sich in den Tiefen des Weltraums durch fotochemische Reaktionen formiert haben“, schlägt Cooper vor. „Der Grundstoff des Lebens, wie wir es kennen, könnte möglicherweise in der gesamten Galaxie verteilt sein“, so Cooper. Die chemischen Voraussetzungen für Leben wären demnach eher die Regel als die Ausnahme im Universum.

Das macht die Suche nach Exoplaneten erst recht interessant, also nach Himmelskörpern, die andere Sterne umkreisen. Mehr als 4500 Exoplaneten sind dank hochleistungsfähiger Teleskope heute bekannt, und es sind auch immer wieder solche darunter, die in der sogenannten habitablen Zone liegen: Sie umrunden ihren Stern in einem Abstand, der theoretisch angenehme Durchschnittstemperaturen und flüssiges Wasser ermöglicht. Erst Anfang Februar berichtete ein Astronomenteam über Wolf 1069b. Der Exoplanet, der in geologischer Sicht teils der Erde ähneln dürfte, zieht in 31 Lichtjahren Entfernung seine Bahnen – und somit relativ nahe.

Dass auch auf manchen Exoplaneten potenziell Leben möglich wäre, heißt freilich längst nicht, dass es dort auch tatsächlich existiert. Welche Faktoren letztlich dazu führen, dass sich der gewaltige Schritt von einzelnen Grundbausteinen, so verbreitet sie sein mögen, zu echtem Leben tatsächlich vollzieht, ist gänzlich unbekannt. Aber vielleicht sind wir ja im kommenden September schlauer: Da soll wieder eine Raumsonde Asteroidensplitter zur Erde bringen: Diesmal ist es die NASA-Sonde Osiris-Rex, die dem Asteroiden Bennu einen Besuch abgestattet hat.

Alwin   Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft