Infektionskrankheiten: Weltweit erste Chikungunya-Impfung aus Österreich
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Es zählt zu Europas Spitzenforschungszentren und ist nur wenige U-Bahn-Stationen von der Wiener Innenstadt entfernt. Am Vienna Biocenter arbeiten rund 2000 Forscher aus mehr als 80 Ländern an Einrichtungen wie dem Institut für Molekulare Biotechnologie, den Max Perutz Labs und dem Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie.
Auf dem Gelände sind außerdem Start-ups angesiedelt, die sich auf Lebenswissenschaften konzentrieren. Im hinteren Bereich des weitläufigen Innenhofs befindet sich der Impfstoffhersteller Valneva – ein Unternehmen, das 2013 aus einer Verschmelzung der französischen Vivalis und der Intercell hervorging, Österreichs erster börsennotierter Biotech-Ausgründung der Universität Wien.
In den Labors gelten strenge Hygienevorschriften: kein Zutritt ohne Schutzmantel und Plastiküberschuhe. Denn hier in Wien finden Forschung und Entwicklung von Valneva statt. Die jüngste Innovation beschäftigte in den vergangenen Monaten die Medizinbehörden in mehreren Ländern: Es ist die weltweit erste Schutzimpfung gegen das Chikungunya-Fieber, eine von Stechmücken übertragene Infektionskrankheit. Während der Studienphasen trug das Vakzin die Bezeichnung „VLA1553“, der Markenname lautet nun „Ixchiq“. Im November des Vorjahres wurde der Impfstoff von der US-Zulassungsbehörde FDA genehmigt, anschließend auch in Kanada. Anfang Juli erteilte die Europäische Kommission nach eingehender Prüfung durch die Medizinagentur EMA die Zulassung für Europa.
Den meisten Menschen sagt Chikungunya nicht viel. Erwähnt man die Bezeichnung, lautet die Replik oft: Chiku…was? Das wird sich in den kommenden Jahren allerdings vermutlich ändern. Das Chikungunya-Virus fällt wie auch das Dengue- und das West-Nil-Virus in eine Gruppe infektiöser Erreger, die in der Vergangenheit ausschließlich in tropischen Regionen vorkamen, doch manche von ihnen breiten sich aufgrund kontinuierlicher Erwärmung des Planeten allmählich auf andere Kontinente und Richtung Norden aus – zusammen mit den Stechmücken, deren Stich die Viren auf den Menschen übertragen kann.
Der Zug der Gelsen
Im Moment sei Chikungunya in Europa noch kein großes Thema, sagt der Wiener Virologe Norbert Nowotny. „Durch den fortschreitenden Klimawandel wird die Situation künftig aber wahrscheinlich anders aussehen, weil es dann mehr übertragungskompetente Vektoren gibt.“ Damit sind Gelsen gemeint, die das Chikungunya-Virus besonders effizient an Menschen weiterreichen.
Das ist speziell Aedes aegypti, die Gelbfiebermücke. Sie hat es bisher noch nicht geschafft, sich in Europa dauerhaft anzusiedeln, im Gegensatz zu Aedes albopictus, der Asiatischen Tigermücke. Vom Balkan und Südeuropa ausgehend, hat sie immer weitere Gebiete erschlossen und dringt sukzessive nach Norden vor. In Österreich gebe es vor allem in Wien und Graz dichte Vorkommen, so Nowotny, aber im Grunde könne man sie fast im ganzen Land finden.
Die Tigermücke kann Dengue-Viren, aber auch das Chikungunya-Virus übertragen, wenn eben auch nicht so effizient wie die Gelbfiebermücke. Dass Europa derzeit noch weitgehend von Chikungunya verschont ist, liegt auch an einem zweiten Umstand: Um größere Infektionsketten zu erzeugen, bedarf es einer kritischen Zahl infizierter Personen. Die gibt es wiederum dann, wenn ausreichend viele Menschen das Virus importieren, zum Beispiel von Urlaubsreisen. Denn so wird die Übertragungskaskade in Gang gesetzt: Jemand wird, etwa in Afrika oder Südamerika, von einer infizierten Gelse gestochen, reist zurück nach Europa, wo neuerlich eine Gelsenattacke stattfindet. Die heimische Gelse infiziert sich infolge des Stichs ihrerseits und kann das Virus nun auf die nächste Person übertragen. Geschieht das oft genug, breitet sich der Erreger allmählich aus.
Durch den fortschreitenden Klimawandel wird die Situation auch in Europa künftig wahrscheinlich anders aussehen.
Das jedoch ist in Europa bisher nur in kleinem Maßstab geschehen. Es kam zu lokalen Ausbrüchen von Chikungunya mit einigen Hundert Fällen in Italien, Frankreich und Spanien, die allesamt wieder verebbten – auch wenn erfahrene Ärzte aufgrund eigener Anschauung meinen, dass es besonders in Regionen Mittelitaliens immer wieder Fallhäufungen gibt, die offiziell nicht registriert werden.
Gekrümmt vor Schmerzen
International sieht die Lage gänzlich anders aus. Das Chikungunya-Virus wurde 1952 in Tansania identifiziert. Wenig später fanden Forschende heraus, worum es sich handelt: um ein RNA-Virus, das in die Gruppe der Arboviren fällt („Arbo“ steht für arthropod-borne-virus, also ein durch Mücken übertragenes Virus). Der Name „Chikungunya“ bezeichnet eine „gekrümmt gehende Person“ und bezieht sich auf die typische Körperhaltung Erkrankter, die durch heftige Gliederschmerzen verursacht wird, die wochenlang anhalten können. Weitere Symptome sind, meist drei bis sieben Tage nach der Infektion, Übelkeit, Fieber, Muskel- und Kopfschmerzen, Erschöpfung und Ausschläge. Gefährlich kann das Virus für kleine Kinder und alte Menschen werden, in diesen Gruppen stirbt etwa eine Person unter 1000 Infizierten.
Ausgehend von Afrika breitete sich das Virus nach Asien, in den Süden der USA, in die Karibik, nach Mittel- und Südamerika aus. Vor zehn Jahren kam es zu einem massiven Ausbruch im karibischen Raum mit mehr als einer Million Fälle. Als verhältnismäßig größter Ausbruch gilt ein Ereignis auf La Réunion: 2005 gab es dort 266.000 Infektionen – bei einer Einwohnerzahl von damals 770.000. Global traten inzwischen in rund 110 Ländern mehr oder minder gravierende Epidemien auf.
Die neue Impfung ist in der ersten Phase für Menschen gedacht, die eines dieser Länder bereisen, etwa Brasilien, die Dominikanische Republik, Martinique, Kuba oder Mexiko, um einige Beispiele zu nennen. „Es handelt sich zunächst um eine Reiseimpfung“, sagt Thomas Lingelbach, Vorstand von Valneva, der bereits an Bord der Intercell war. „Wir gehen davon aus, dass wir die ersten Chargen im vierten Quartal ausliefern können und die Impfung dann in tropenmedizinischen Instituten angeboten wird.“ Sie könnte in zweifacher Hinsicht nützlich sein: Zum einen schützt sie die Reisenden im jeweiligen Urlaubsland, zum anderen würden Importe des Virus nach Europa verringert.
In einer zweiten Phase, so Lingelbach, wolle man auch Länder beliefern, in denen Chikungunya bereits heimisch ist, also beispielsweise die amerikanischen Südstaaten, die Karibik oder Südamerika. Mit einigen Ländern würden diesbezüglich schon Vorgespräche laufen.
Ein sehr traditioneller Impfstoff
Wie funktioniert der Impfstoff? „Es handelt sich um einen klassischen Lebendimpfstoff. Es ist somit der traditionellste Immunisierungsweg, den es gibt“, sagt Lingelbach. Basis ist ein natürliches Virus, das jedoch gezielt verändert wurde: Die Forschenden löschten einen Teil des Genoms, benutzten somit ausgewählte Abschnitte des Viruserbguts. Diese Viruskomponente ermöglichte die Herstellung eines abgeschwächten Lebendimpfstoffs, der das menschliche Immunsystem dazu erzieht, Immunität gegenüber einem echten Virus aufzubauen. „Das Vakzin schützt also vor einer Infektion“, spielt Lingelbach auf die hitzigen Debatten während der Covid-Pandemie an, als ständig der Unterschied zwischen Schutz vor Infektion und Schutz vor schwerer Erkrankung diskutiert wurde.
Es handelt sich um einen klassischen Lebendimpfstoff. Es ist somit der traditionellste Immunisierungsweg, den es gibt.
Wie gut der Schutz funktioniert, wurde vor der Marktzulassung des Impfstoffs ermittelt und anschließend in Fachpublikationen berichtet. Als Gradmesser dafür dient die „Seroprotektion“: ein bestimmter Titer-Wert, also das Maß für die Anzahl der Antikörper, im Blutserum. Nach Erhalt einer Dosis erreichten knapp 99 Prozent der Geimpften diesen Wert, nach zwei Jahren waren es 97 Prozent. Der Veröffentlichung zufolge waren somit auch nach zwei Jahren 97 von 100 Personen geschützt. Lingelbach geht davon aus, dass der Schutz über fünf Jahre zu rund 90 Prozent anhält.
Brauchen wir diese Impfung? „Sie ist sicher nicht lebensnotwendig, aber es ist gut, dass wir sie haben“, meint Virologe Nowotny. Ob sie angenommen werde, müsse sich erst zeigen, wobei die Nachfrage aufgrund des geringen Bekanntheitsgrades der Erkrankung anfangs wohl nicht überbordend sein werde.
Das könnte sich freilich ändern, wenn auch Europa stärker von Chikungunya betroffen sein wird. „Ich denke, wir sind hier momentan in einer Schwebephase“, glaubt Lingelbach. „Momentan sehen wir vereinzelte Einschleppungen des Virus nach Europa und Ausbreitungen in manchen Regionen.“ Das stetig wärmere Klima samt Extremwetterereignisse wie heftigen Niederschlagen sei jedenfalls „ein Paradies für tropische Mücken. Es ist daher wahrscheinlich nicht die Frage, ob wir Chikungunya hier sehen werden, sondern wann.“
Eine Blaupause für die Virusausbreitung
Ein Hinweis darauf, was auf Europa zukommt, lässt sich womöglich an der bisherigen Entwicklung des Dengue-Fiebers ablesen. Die Infektionskrankheit, wegen oft starker Gliederschmerzen auch „Knochenbrecherfieber“ genannt, war früher ebenfalls auf die Tropen beschränkt. Doch vor rund 20 Jahren begann das Virus langsam, sich in Europa festzusetzen. Es ist nach wie vor weit davon entfernt, eine ernste Bedrohung zu sein, seit einiger Zeit kommt es allerdings wiederkehrend zu lokalen Ausbrüchen, erst im Mittelmeerraum, dann auch weiter nördlich. In Österreich werden heute einige Dutzend Infektionen pro Jahr erfasst, die allesamt noch auf Einschleppungen aus dem Ausland zurückzuführen sind. Doch inzwischen ereignen sich auch regelmäßig sogenannte autochthone Übertragungen: Infektionsketten durch bereits im Land heimische Moskitos, die das Dengue-Virus in sich tragen. Kleinere Infektions-Cluster gab es beispielsweise in Italien, Kroatien und Frankreich.
Ausgelöst wurden sie allesamt durch Aedes albopictus, die Asiatische Tigermücke. Sie ist ein ziemliches Biest: so winzig, dass man sie kaum wahrnimmt, und das typische Streifenmuster ist nur schwer erkennbar. Zudem nähert sie sich beinahe geräuschlos, man bemerkt ihre Gegenwart erst aufgrund heftig juckender Stiche. In kroatischen Küstenregionen schwirren an schattigen Orten oft ganze Schwärme schwarzer Punkte durch die Luft, vorzugsweise um die Fußknöchel ihrer Opfer.
Die Eintrittspforte nach Europa war Albanien, sukzessive breitete sich die Tigermücke über den Balkan aus, wanderte nach Griechenland, Frankreich und Spanien und schließlich nach Norden. Heute ist sie in halb Deutschland anzutreffen. Bei ihrer Tour über den Kontinent benutzte sie gern öffentliche Verkehrsmittel, erschloss etwa an Bord von Reisebussen neue Landstriche, wie gehäufte Vorkommen entlang stark befahrener Verkehrsadern verraten.
Die heutigen klimatischen Bedingungen tragen dazu bei, dass sich die Tigermücke wohlfühlt und gerne bleibt: lange, warme, teils feuchte Perioden, kurze Winter mit wenig Frost. So konnten sich Gelsenpopulationen, teils auch mit dem Dengue-Virus infizierte, dauerhaft etablieren und zur Virusverbreitung beitragen: unter anderem durch vertikalen Transfer, was bedeutet, dass Mücken das Virus an ihren Nachwuchs weiterreichen.
Das Virus wird vererbt
Kann Chikungunya eine ähnliche Entwicklung nehmen? Ausgeschlossen ist es nicht. Zwar findet der Hauptüberträger, die Gelbfiebermücke, noch keine optimalen Bedingungen vor und hat es bisher nur bis Zypern geschafft. Doch erstens kann sich auch das ändern, wenn die Jahre weiterhin immer wärmer werden, und zweitens kann die Tigermücke als Überträgerin durchaus genügen – sofern die Dichte der Populationen weiterhin wächst und hinlänglich viele Menschen das Virus von Reisen nach Europa mitbringen.
„Vorerst gibt es noch zu wenig Infizierte für größere Ausbrüche und autochthone Übertragungen“, erklärt Norbert Nowotny. „Doch in einigen Jahren kann die Lage durchaus anders aussehen.“
Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft