„Ein Wunder der Biologie und Evolution”

Kampftaktik von Bakterien: Bruce Levin über ein Wunder der Evolution

Interview. Bruce. R. Levin ergründet verblüffende Immunstrategien

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Interview: Robert Buchacher

profil: Sie bezeichnen die Entdeckung eines speziellen Immunsystems in Bakterien als "herausragendste singuläre Beobachtung der Mikrobiologie in diesem Jahrtausend“. Wieso?
Bruce R. Levin: Dieses Immunsystem gehört zu den Wundern der Biologie und Evolution: Es handelt sich um ein adaptives, auf Gedächtnis beruhendes Immunsystem in Bakterien und Archaeen, das sind einzellige Urbakterien. Dieses System kann die Organismen vor der Zerstörung durch tödliche Vireninfektionen schützen. Die Entdeckung ist umso bedeutsamer, als es jenseits der Wirbeltiere, zu denen auch wir Menschen zählen, kaum bis gar keinen Hinweis auf das Vorhandensein eines adaptiven Immunsystems in anderen Eukaryoten gibt, also in Lebewesen, deren Zellen über einen Zellkern verfügen.

profil: Wie funktioniert diese Immunabwehr?
Levin: Da sich immer mehr Forscher mit diesem System befassen, wird dessen Funktionsweise klarer: Die Bakterien nehmen Genabschnitte von angreifenden Viren auf und bauen sie ins eigene Genom ein. Diese Genabschnitte nutzen sie dann als Immungedächtnis gegen spätere Virenangriffe. Erste Hinweise auf dieses Immunsystem gab es bereits in den 1950er Jahren und Ende der 1980er Jahre. Seit 2007 wächst die Zahl der diesbezüglichen Publikationen exponentiell und verdoppelt sich alle 20 Monate. Einige der Arbeiten gelten schon jetzt als nobelpreiswürdig.

profil: Welchen Anteil an all diesen Forschungsarbeiten haben Sie und Ihre Arbeitsgruppe?
Levin: Wir versuchen, mit Hilfe von mathematischen respektive mit Computersimulationsmodellen sowie mittels Experimenten nachzuzeichnen, wie sich dieses Milliarden Jahre alte Immunsystem evolutionär entwickelt hat.

profil: Nutzen Sie mathematische Modelle und Computersimulationen deshalb, weil Sie es mit unvorstellbar hohen Zahlen von Mikroorganismen zu tun haben?
Levin: Nein, wir nutzen diese Werkzeuge, weil die von uns beobachteten Prozesse quantitativ sind. Das heißt, wir wollen die Faktoren erhellen, die für Veränderungen in Dichte, Konzentration von Bakterien, Viren oder Nährstoffen verantwortlich sind. Wir wollen die Natur und die Rolle der Primärelemente in diesen komplexen Prozessen verstehen. Aber selbst die kompliziertesten mathematischen und Computersimulationsmodelle sind nur allzu simple Karikaturen der Systeme, die wir zu verstehen versuchen.

profil: Und das gelingt trotz der Simplizität Ihrer Modelle?
Levin: So seltsam es klingt: Mathematik und Computermodelle sind besonders nützlich, wenn sie falsch sind: Sie können die Resultate unserer Experimente nicht erklären, wenn die dahinter liegenden Annahmen nicht zutreffen. Die "Annahmen“ sind die Prozesse, die wir verstehen wollen, beispielsweise wie ein Bakterium einer Infektion durch Viren entgeht. Dann modifizieren wir die Annahmen und testen die Aussagekraft unserer Modelle immer von Neuem, bis wir die Prozesse verstehen.

profil: Wenn die neu entdeckte Immunität die wichtigste Erkenntnis der Mikrobiologie des Jahrtausends darstellt, muss sie wohl weit reichende Konsequenzen für die Biomedizin, Pharmakologie und Biotechnologie haben?
Levin: Die faszinierende Existenz eines adaptiven Immunsystems führt zu einer Reihe von delikaten molekularbiologischen, physiologischen, ökologischen und evolutionären Fragen. Diese Immunität spielt eine Rolle bei der Antibiotikaresistenz von Bakterien und wird sehr wahrscheinlich ein starkes Werkzeug bei der Genmanipulation von höheren Lebewesen und auch von Bakterien sein.

profil: Also hat das System nur Vorteile?
Levin: Nein, es gibt auch eine Kehrseite: Diese Immunität hindert diese Organismen daran, auch gute Gene aufzunehmen, wie etwa jene DNA-Moleküle, die für die Resistenz gegen Antibiotika kodieren oder die Fitness dieser Organismen unterstützen.

profil: Füttern Sie Ihre mathematischen Modelle auch mit Antibiotika, um die Reaktion von Bakterien zu testen?
Levin: Ein Großteil unserer Forschungen der vergangenen 15 Jahre betraf die Populations- und Evolutionsdynamik von Antibiotikabehandlungen und Resistenzen. Besonders interessant für uns war, wie sich die Pharmakodynamik von Antibiotika und Bakterien in den Behandlungsprotokollen niederschlägt.

profil: Was verstehen Sie unter Pharmakodynamik?
Levin: Sie beschreibt das Verhältnis zwischen der Antibiotikakonzentration und der Wachstums- und Dezimierungsrate von Bakterien, die diesen Substanzen ausgesetzt sind. Ziel ist die Entwicklung von Behandlungsprotokollen, welche die Absterberate der Bakterien maximieren, die Toxizität und andere unerwünschte Nebenwirkungen des Medikaments und die Wahrscheinlichkeit einer Resistenzentwicklung minimieren.

profil: An welche Strategien denken Sie, wenn es um die Minimierung von Antibiotikaresistenz geht?
Levin: Es ist klar, dass Anstieg und Ausbreitung von Antibiotikaresistenz direkt mit Art und Umfang des Einsatzes solcher Wirkstoffe zusammenhängt. Durch eine restriktivere Verwendung würden wir die Ausbreitung der Resistenzen eindämmen. Deshalb haben wir auch an Optimierungsstrategien für den Einsatz verschiedener Antibiotika gearbeitet.

profil: Zum Beispiel?
Levin: Etwa durch zyklischen oder simultanen Einsatz von Wirkstoffen, um die Resistenzraten in Spitälern und auch außerhalb zu senken.

profil: Könnte man so den Trend stoppen?
Levin: Ich glaube nicht, dass wir den Trend umkehren können. Entgegen dem Glauben, Antibiotikaresistenz verringere die Fitness der Bakterien, zeigen Studien, dass das keineswegs immer der Fall ist. Und selbst wenn die Resistenz Fitness kostet, wird das von der Evolution wieder ausgeglichen.

profil: Werden wir den Wettlauf zwischen der wachsenden Antibiotikaresistenz und der Entwicklung neuer Antibiotika gewinnen?
Levin: Ich bin nicht überzeugt davon, dass wir Menschen diesen Rüstungswettlauf gewinnen werden. Auf lange Sicht würde ich auf die Evolution und die Bakterien setzen. Ich hoffe aber, dass es alternative Mechanismen zur Kontrolle von Infektionen geben wird, etwa durch die Modulation der überschießenden Immunantwort, die für ihre Morbidität und Mortalität verantwortlich ist.

profil: Können Sie uns eine Vorstellung davon geben, welche Auswirkungen Ihre Erkenntnisse auf die klinische Praxis haben könnten?
Levin: Als Grundlagenforscher sind wir weit weg von der klinischen Praxis. Auf der anderen Seite publizieren wir unsere Arbeiten absichtlich nicht nur in Fachzeitschriften für mathematische Modellrechnungen, sondern auch in Journalen, die von Klinikern gelesen werden. Ich hoffe, dass die Resultate unserer Forschung wahrgenommen werden und in Design und Bewertung von Behandlungsprotokollen sowie in die Verschreibungspraxis einfließen werden.

profil: Noch eine Frage zu Ihrem Aufenthalt in Österreich: Welchen Eindruck haben Sie eigentlich von dem noch jungen Institute of Science and Technology, dem IST Austria, bei Ihrem Vortrag in Klosterneuburg gewonnen?
Levin: Ich war sehr beeindruckt, nicht nur von den Wissenschaftern, die ich dort traf, sondern vor allem von der dort herrschenden Atmosphäre. Es gibt einen regen, offenen Austausch zwischen Graduate Students, Postdocs und Professoren, wie man ihn an den besten amerikanischen Universitäten findet - meilenweit entfernt von der regressiven, hierarchischen Atmosphäre, die ich an teutonischen Universitäten erlebt habe.

profil: Sie wurden erst kürzlich als Mitglied in die US National Academy of Sciences aufgenommen. Gratulation!
Levin: Ich bin Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Vereinigungen, darunter der Royal Swedish Academy of Science. Für einen amerikanischen Forscher ist aber die National Academy die prestigeträchtigste all dieser honorigen Einrichtungen. Es bedeutet mir viel, weil es zeigt, dass meine Kollegen meine wissenschaftlichen Leistungen schätzen. Dank meiner Mutter kann ich meine Wahl in diese erlauchten Akademien gelassen sehen. Immer wenn ich von jemandem besonders beeindruckt war, pflegte sie zu sagen: "His shit smells, too.“ Das hat sich für mich nicht geändert. Natürlich weiß ich heute, dass meine Bakterien für den Geruch verantwortlich sind.

Bruce R. Levin, 72,
ist Samuel C. Dobbs Professor für Biologie an der Emory University in Atlanta, USA, und weltweit führend in der Erforschung der Populations- und Evolutionsbiologie von Bakterien, ihrer viralen Feinde und ihres Abwehrsystems. Levin nutzt dazu komplexe mathematische Modelle und Computersimulationen. Zu seinen Forschungsgebieten gehören zudem die Evolution des Sex, selbstzerstörende Toxine sowie der Kannibalismus von Bakterien. profil sprach mit Levin anlässlich eines Vortrags, den der US-Biologe am 10. Oktober am Institute of Science and Technology (IST Austria) in Klosterneuburg hielt.

Foto: Sebastian Reich für profil