Der Kometen-Krimi

Komet Ison: wie ein Kometen-Anflug zur kosmischen Grillparty wurde

Astronomie. Ein Kometen-Anflug wurde zur kosmischen Grillparty

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Von Florian Freistetter

Da sage noch jemand, Astronomie sei stets eine Angelegenheit gigantischer Zeitdimensionen jenseits des menschlichen Erfahrungshorizonts. Ende vorige Woche saßen die Fachwelt und Millionen von Hobbysternguckern gebannt vor ihren Monitoren und verfolgten, wie sich die Nachrichtenlage fast stündlich änderte: Er überlebt; er verglüht; er schafft es doch; er wird gnadenlos gegrillt; Bruchstücke halten vielleicht durch. Im Internet kursierten bereits Comics der Szenerie, und auf Webseiten wie jener der NASA flimmerten Videoclips mit Stunden- und Minutenzähler, die im Zeitraffer zeigten, wie sich der Komet Ison beharrlich der Sonne näherte - ein Ereignis, das seit Monaten mit Spannung erwartet worden war.

Teilweise intakt
Gegen halb acht am Donnerstagabend erreichte Ison schließlich wie prognostiziert die sonnennächste Position. War der kosmische Besucher in den Wochen davor bereits mit freiem Auge auszumachen, konnten nun nur noch moderne Teleskope Indizien liefern, ob er diese Passage in rund 1,8 Millionen Kilometern Entfernung zur Sonne einigermaßen unbeschadet überstanden hatte. Die Daten der Experten schienen jedoch widersprüchlich: Hieß es in den späten Abendstunden des Donnerstags, der Komet sei wohl verglüht, twitterte die NASA am frühen Morgen, dass wohl doch Chancen bestünden, dass Ison zumindest teilweise intakt sei.

Sterngucker
Das große Interesse am Schicksal des Kometen ist auf den Umstand zurückzuführen, dass er ein seltenes astronomisches Schauspiel verspricht. Denn üblicherweise bedarf es teurer Ausrüstung und umfassender Expertise, um solche Himmelskörper studieren zu können. "Die Vorstellung vom Sterngucker, der durch ein kleines Teleskop im Garten in den Himmel blickt und dabei zufällig über einen prächtigen Kometen stolpert, entspricht nicht der Realität“, sagt Herbert Raab, Obmann der Linzer Astronomischen Gemeinschaft. Doch Ison sollte eine Ausnahme dieser Regel darstellen: Im Dezember, so die nach den jüngsten Datenauswertungen wieder keimende Hoffnung, sollte sich für jedermann die Möglichkeit bieten, den Kometen samt prächtigem Schweif wie aus dem Bilderbuch mit freiem Auge am Nachthimmel zu beobachten.

Ins Herz des Planetensystems
Als die beiden Russen Witali Newski und Artjom Nowitschonok am 21. September 2012 auf den Aufnahmen des Teleskops "International Scientific Optical Network“ (ISON) einen neuen Kometen aufspürten, hatte dieser schon eine lange Reise hinter sich. Zum Zeitpunkt der Entdeckung befand er sich knapp hinter der Bahn des Planeten Jupiter, war also mehr als fünfmal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Die eigentliche Heimat des Kometen liegt aber in der sogenannten Oortschen Wolke, benannt nach dem niederländischen Astronomen Jan Hendrik Oort. Dort verbrachte Ison gemeinsam mit Billionen anderer Kometen die vergangenen 4,5 Milliarden Jahre und zog - hunderttausend Mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde - in Ruhe seine Runden. Aber irgendetwas muss seine Bahn schließlich gestört haben. Vielleicht ist er mit einem anderen Kometen zusammengestoßen; vielleicht war es auch die Gravitationskraft eines anderen Sterns, die ihn beeinflusst hat. Gewiss ist: Statt weit entfernt von der Sonne einem Rundkurs durch die äußersten Bereiche des Sonnensystems zu folgen, ist Ison auf eine langgestreckte Ellipsenbahn eingeschwenkt, die ihn nun direkt ins Herz des Planetensystems führt.

Am Donnerstag voriger Woche erreichte er den sonnennächsten Punkt seiner Bahn in jenen 1,8 Millionen Kilometern Entfernung zum Zentralgestirn. Nach kosmischen Maßstäben ist das äußerst wenig und entspricht etwa dem Durchmesser der Sonne selbst. Solch eine Annäherung birgt für Kometen stets erhebliche Gefahren: Denn die hohen Temperaturen der Sonne führen dazu, dass Eis und andere gefrorene Substanzen unter der Kometenoberfläche zu tauen beginnen. Sie gehen vom festen in den gasförmigen Zustand über und dehnen sich aus. Dabei werden regelrechte Löcher in den Kometenkern gesprengt, und er kann sogar komplett auseinanderbrechen. Dafür können allerdings auch die starken Gravitationskräfte in Sonnennähe sorgen, die am Kometen zerren.

Als der Komet Elenin am 10. September 2011 auf einer ähnlichen Bahn wie Ison seinen sonnennächsten Punkt erreichte, überlebte er dies nicht. Er zerbarst in Einzelteile und existiert heute nur noch als Trümmerwolke, die sich immer mehr auflöst. Jedes Jahr können Astronomen beobachten, wie die Sonne Kometen zerstört, die ihr zu nahe kommen. Bei Ison war die Hoffnung besonders groß, dass er die kritischen Momente des Vorbeiflugs gut übersteht. Denn knapp einen Monat später, am 27. Dezember, sollte er auf dem Rückweg Richtung Oortsche Wolke die Erde passieren - und uns dabei das vorhergesagte beeindruckende Schauspiel bieten.

„Alle zehn bis 20 Jahre”
Kometen, die mit freiem Auge hell am Nachthimmel zu sehen sind, nennt man "große Kometen“. Man braucht keine komplizierte Ausrüstung, um sie zu beobachten, und man muss nicht einmal Sternenkarten oder Himmelsatlanten heranziehen. Diese Objekte sind so klar und deutlich zu erkennen, dass sie gleich ins Auge stechen und kaum übersehen werden können. "Ein heller Komet, den auch Laien sofort am Nachthimmel ausmachen, taucht nur etwa alle zehn bis 20 Jahre auf“, erklärt Astronom Herbert Raab. Der letzte große Komet erschien 1996 am Himmel. Schon im Sommer dieses Jahres war Hale-Bopp mit freiem Auge auszumachen, und als er seine Annäherung an die Sonne im Frühjahr 1997 erfolgreich überstanden hatte, war er so hell, dass er selbst von den großen Städten aus problemlos betrachtet werden konnte. Erst gegen Ende des Jahres verblasste er und konnte nur noch per Teleskop observiert werden.

Brocken aus Gestein und gefrorenem Material
Es ist schwierig, die Helligkeit eines Kometen exakt vorherzusagen. Denn was am Himmel leuchtet, ist nicht der Komet selbst, es sind vielmehr jene Trümmer, die er im Laufe der Zeit verloren hat. Im Normalzustand ist ein typischer Komet ein Brocken aus Gestein und gefrorenem Material, der ein paar Kilometer groß ist. Kometen sehen dabei Asteroiden täuschend ähnlich, und genau genommen sind die Grenzen zwischen diesen beiden Gruppen von Himmelskörpern fließend. Sowohl Asteroiden als auch Kometen entstanden vor 4,5 Milliarden Jahren aus einer großen Gas- und Staubscheibe, welche die junge Sonne umgab. Staub und Gas ballten sich zuerst zu kleinen Brocken zusammen, aus denen später die Planeten wuchsen. Weiter entfernt von der Sonne war es kalt genug, dass nicht nur Staub, sondern auch gefrorene Gase existieren konnten. Die dort entstandenen Klumpen enthielten deshalb später nicht nur Gestein, sondern auch Eis - und wurden zu dem, was wir heute Kometen nennen.

Als sich ein paar Millionen Jahre danach die Planeten gebildet hatten, blieben nur noch wenige Asteroiden respektive Kometen im Sonnensystem übrig. Und viele von ihnen wurden während der turbulenten Entstehungsphase weit hinaus ins All geschleudert und formierten dort die Oortsche Wolke. Erst wenn sich einzelne Kometen der Sonne nähern und damit wärmere Regionen erreichen, kann das Eis in ihnen zu tauen beginnen. Sobald dieses wieder in gasförmigen Zustand übergeht und aus dem Kometenkern in den Weltraum entweicht, reißt es jede Menge Gestein von seiner Oberfläche mit sich. Der Komet umgibt sich mit einer Staubhülle, die bis zu 100.000 Kilometer durchmessen kann. Dadurch kann er deutlich mehr Sonnenlicht reflektieren und heller am Himmel erscheinen. Nähert sich der Komet noch mehr der Sonne an, entfaltet der sogenannte Sonnenwind seine Wirkung: Die Sonne schickt nicht nur Licht in den Weltraum, sondern auch einen steten Strom an Partikeln aus ihrer Atmosphäre. Wenn diese auf die Staubhülle des Kometen treffen, reißen sie kleine Teilchen mit hinaus ins All. So entsteht ein Schweif, der mehrere Millionen Kilometer lang sein kann.

Die meisten der 50 bis 60 Kometen, die jedes Jahr entdeckt werden, sind von der Erde aus nicht sichtbar, weil sie der Sonne nicht nahe genug kommen, um eine große Staubhülle auszuprägen und ausreichend Licht zu reflektieren. Oder sie sind auf ihrer Reise durchs All der Sonne schon zu oft nahe gekommen und haben kein Eis mehr vorrätig, das aus dem Kometenkern entweichen könnte.

Ison allerdings befindet sich auf seinem ersten Besuch im inneren Sonnensystem und hat schon vor seiner Annäherung an die Sonne eine beeindruckende Hülle mit einem ebenso beeindruckenden Schweif entwickelt. Schon Mitte November konnte er von geübten Beobachtern mit freiem Auge erspäht werden - zumindest vorübergehend, denn durch die zunehmende Annäherung an die Sonne war er in der zweiten Novemberhälfte kaum mehr zu sehen.

"Wie der Kern des Kometen genau beschaffen ist, völlig unbekannt“, sagt Raab. "Ob er die Gezeitenkräfte und die thermische Beanspruchung in Sonnennähe überstanden hat, lässt sich somit nicht wirklich sagen. Aber eben diese sprichwörtliche Unberechenbarkeit macht die Beobachtung dieser Himmelkörper ja so spannend.“ Und spannend war der Periheldurchgang des Kometen am vergangenen Donnerstag auf jeden Fall. Zuerst wurde Ison immer heller, je näher er der Sonne kam. Dann aber nahm seine Helligkeit plötzlich wieder ab: Ein deutliches Zeichen dafür, dass er auseinandergebrochen sein musste. Beobachter bezweifelten über mehrere Stunden, dass Ison überhaupt noch existiert, und tatsächlich schien er zunächst nicht wieder hinter der Sonne aufzutauchen.

Als aber alle schon vom Ende des Kometen überzeugt waren, erschien plötzlich doch noch ein Überrest des Kometen und setzte seinen Weg fort. Ob dieses letzte Bruchstück von Ison in den nächsten Wochen allerdings hell genug wird, um von der Erde mit freiem Auge gesehen zu werden, ist schwer zu prognostizieren. Mit etwas Glück sehen wir vielleicht doch noch etwas, und Ison respektive seine Überreste werden rechtzeitig zu den Weihnachtsfeiertagen am Abendhimmel vorbeiziehen. Gefahr für unseren Planeten besteht übrigens nicht: Der Erde am nächsten kommt er, sollte er dann noch existieren, in der Nacht vom 26. auf den 27. Dezember. Dabei wäre er immer noch rund 60 Millionen Kilometer entfernt. Das entspricht ungefähr der 150-fachen Distanz zwischen Erde und Mond - und ist als Sicherheitsabstand mehr als ausreichend.