Helle Empörung

Lichtverschmutzung wird zum medizinischen Problem

Ökologie. Die Lichtverschmutzung wird zum medizinischen Problem

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Von Florian Freistetter

Außerirdische Lebewesen müssten gar nicht erst auf der Erde landen, um zu sehen, dass hier Leben existiert. Schon aus dem Weltall lässt sich unsere Anwesenheit mühelos erkennen: Die nächtliche Hälfte der Erde erstrahlt dank künstlicher Lichter gleißend hell. Mitteleuropa leuchtet deutlich in die Nacht hinaus, genauso wie Nordamerika und die Ballungszentren in Asien. Japan ist ohnedies ein einziges Lichtermeer, und selbst die Nordsee wird bei Nacht großflächig von den Lampen der Ölbohrinseln beleuchtet.

Die hellen und dunklen Bereiche der nächtlichen Erde geben eindeutig Aufschluss darüber, wo die wohlhabenden Länder zu finden sind. All jenes Licht, das in den Nachtstunden in den Himmel abgestrahlt wird, stellt eine ungeheure Verschwendung dar - und zunehmend auch ein kulturelles, medizinisches und ökologisches Problem. "Lichtverschmutzung“ nennt man diese übertriebene Dauerbeleuchtung inzwischen. Deren Intensität wächst kontinuierlich, Erhebungen zufolge je nach Region um jährlich fünf bis sechs Prozent. Mehr als 90 Prozent der Menschen in Europa und in den USA leben laut den Daten italienischer Forscher unter einem Himmel, der von Lichtsmog überflutet ist.

Alltagsgefängnis
"Der Blick auf den Sternhimmel, in diese Grenzenlosigkeit, hat erfahrungsgemäß etwas Befreiendes. Wenn wir den Sternenhimmel nicht mehr sehen, was befreit uns dann aus unserem jeweiligen Alltagsgefängnis?“, fragt Thomas Posch, Wissenschafter an der Wiener Universitätssternwarte und Koautor des Buchs "Das Ende der Nacht“ *). Naturgemäß sind die Astronomen besonders besorgt über die zunehmende nächtliche Helligkeit. Um ihre Arbeit durchführen zu können, sind sie auf einen dunklen Himmel angewiesen. In den Großstädten der Ballungszentren ist es allerdings schon seit Langem unmöglich, jene exakten Beobachtungen und Messungen durchzuführen, die für die Astronomie wichtig sind. Und selbst die großen internationalen Sternwarten in Chile oder auf den kanarischen Inseln sind von der Lichtverschmutzung immer stärker betroffen. Nur die Teleskope im Weltraum können noch ungestört von den Lichtern der Menschheit den Himmel observieren.

Verlust des Nachthimmels
Posch sieht die Lichtverschmutzung aber nicht nur als Problem für die astronomische Forschung. Der Verlust des Nachthimmels ist ein recht junges Phänomen. Jahrtausendelang war die Nacht stockfinster, und die Sterne stellten einen vertrauten Anblick dar. "Der Blick auf den Sternhimmel war in der Tat für den Menschen immer einerseits Ansporn zu einer enormen Weltbilderweiterung, von der kopernikanischen Revolution bis zum expandierenden Universum. Über die Wissenschaft hinaus war dies auch Inspirationsquelle für Kunst und Kultur. Das droht verlorenzugehen“, befürchtet Posch.

Tatsächlich haben die meisten Menschen in Mitteleuropa wohl noch nie einen vollkommen dunklen Himmel gesehen. Unter idealen Bedingungen kann man mit freiem Auge nicht nur ein paar tausend Sterne erkennen, sondern diese auch in ihren unterschiedlichen Farben leuchten sehen. Man macht das weiß glimmende, strukturierte Band der Milchstraße aus, das sich über den Himmel zieht, auch ferne Galaxien wie den Andromedanebel. In den großen Städten sind diese Muster, deren Anblick vor nicht allzu langer Zeit noch selbstverständlich war, heute nicht mehr zu identifizieren. Mit etwas Glück erkennt man hier und da noch vereinzelte helle Sterne, die sich gegen die Lichtverschmutzung durchsetzen.

Kein authentischer Nachthimmel
So wie im Rest von Mitteleuropa ist auch in ganz Österreich kein authentischer Nachthimmel mehr zu erspähen. Selbst abgelegene Regionen in den Alpen sind betroffen. Der Himmel ist überall heller, als er sein sollte, und darunter leidet nicht nur die astronomische Forschung, sondern offensichtlich auch die Gesundheit der Menschen. Darauf deuten zumindest jene bislang noch eher spärlichen Studien zu dem Thema hin. Deren zentrale Aussage lautet: Unser Körper wird von einer inneren Uhr gesteuert, die den Wechsel von Tag zu Nacht als Taktgeber benötigt. Die hellen Nächte bringen diese sensible Uhr aus dem Rhythmus und können vor allem den Hormonhaushalt des Körpers in Mitleidenschaft ziehen. Wie genau die Lichtverschmutzung langfristig auf den Organismus wirkt, weiß derzeit noch niemand. Die bisher vorhandenen Daten verheißen aber nichts Gutes.

Zusammenhang zwischen Brustkrebs und Helligkeit
Bereits im Jahr 2008 konnte eine Studie der Universität Harvard zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Hormon Melatonin, das den Tag-Nacht-Rhythmus steuert, und dem Brustkrebsrisiko bei Frauen besteht. Als Grund dafür gilt, dass der Östrogenspiegel steigt, wenn die Melatoninausschüttung gedrosselt wird; Östrogen wiederum ist ein Schlüsselfaktor für die Entstehung von Brustkrebs. An der Universität Haifa in Israel untersuchten Wissenschafter 2010 den Zusammenhang zwischen dem Auftreten von Brustkrebs und der nächtlichen Helligkeit in 164 Ländern und entdeckte dabei umso mehr Fälle, je heller die Nächte waren.

Erörtert wird weiters ein - ebenfalls hormonell bedingter - Zusammenhang zwischen der steigenden Lichtverschmutzung und einem verfrühten Einsetzen der Pubertät vor allem bei Mädchen. Als einigermaßen gesichert gilt, dass durch eine beeinträchtigte respektive zeitlich verschobene Melatoninproduktion die Schlafqualität tangiert wird und in der Folge etwa Merkfähigkeit und Gedächtnisbildung leiden sowie die Immunabwehr vermindert ist. Auch die Frage, ob auf diese Weise beispielsweise Depressionen begünstigt werden, ist derzeit Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Und erst vorige Woche publizierten US-Forscher eine Untersuchungsreihe an isländischen Männern, die auf einen Konnex zwischen Schlafmangel respektive dem Melatonin-Level und Prostatakrebs hindeutet.

Eingriff ins Ökosystem
Kein Zweifel besteht überdies daran, dass Tiere und Pflanzen durch das Übermaß an künstlichem Licht Schaden nehmen. Die beleuchteten Straßen und Plätze verwirren nachtaktive Tiere wie zum Beispiel Nachtfalter. Sie umkreisen die Straßenlaternen, bis sie irgendwann vor Erschöpfung sterben. Wenn Millionen Insekten auf diese Weise jede Nacht zugrunde gehen, stellt das einen massiven Eingriff ins Ökosystem dar - auch deshalb, weil diese wiederum als Nahrungsreservoir für andere Tiere dienen. Zugvögel lassen sich von den Lichtern ebenso verwirren wie die Insekten und kollidieren regelmäßig mit großen Gebäuden oder anderen beleuchteten Strukturen. Auch das Wachstum von Pflanzen wird durch die nächtliche Beleuchtung gestört. Deswegen sind es in den vergangenen Jahren nicht mehr nur die Astronomen, die gegen die zunehmende Lichtverschmutzung protestieren, sondern auch Biologen und Ökologen.

Der Schutz der Umwelt ist zwar schon lange kein Nischenthema mehr. Doch die Erkenntnis, dass die künstliche Aufhellung des Nachthimmels ebenfalls eine ökologische Verschmutzung darstellt, ist noch nicht weit verbreitet. Kaum eine Partei oder Organisation beschäftigt sich mit diesem Thema, und dafür könnten auch die Ängste der Bevölkerung vor der Dunkelheit verantwortlich sein. Denn wenn man die Lichtverschmutzung reduzieren will, muss man das Licht in der Nacht zumindest teilweise abschalten. Wenn nun aber Straßen und Städte nachts schlechter beleuchtet werden als gewohnt, befürchten viele Menschen erfahrungsgemäß einen Anstieg von Kriminalität und Unfällen.

Keinerlei Probleme
Als die westfälische Stadt Rheine (73.000 Einwohner) im Jahr 2005 die öffentliche Beleuchtung zwischen ein Uhr und halb vier Uhr morgens abschaltete, beschwerten sich die Bürger umgehend, weil sie sich in der nun dunkleren Stadt nicht mehr sicher fühlten. Aber trotz des subjektiven Unwohlseins gab es objektiv gesehen keinerlei Probleme. Eine Studie der Fachhochschule Münster zeigte, dass die Nachtabschaltung in Rheine keinerlei Auswirkungen auf die Einsatzzahlen von Polizei und Rettung hatte. Auch andere deutsche Gemeinden - etwa im Umfeld von Bremen - haben ihre Beleuchtung mittlerweile eingeschränkt, ohne dass dadurch Unfälle oder Kriminalitätsraten gestiegen wären. Die Kommunen mussten aber jedes Mal gegen die Vorurteile der Bevölkerung ankämpfen, die sich von mehr Licht auch mehr Sicherheit versprach.

Rheine hat von seinen Maßnahmen gegen die Lichtverschmutzung auf jeden Fall profitiert: Die Stadt spart jedes Jahr 72.000 Euro an Stromkosten. Um die Ausgaben zu dämpfen und die Lichtverschmutzung zu verringern, muss das Licht freilich auch nicht unbedingt komplett abgeschaltet werden: "Ein Großteil der Lichtverschmutzung ist nicht darauf zurückzuführen, dass überhaupt beleuchtet wird, sondern vielmehr darauf, wie beleuchtet wird“, erklärt der Lichtplaner Christian Reinboth von der HarzOptics GmbH. Die Straßenlaternen sollen schließlich vor allem die Straße beleuchten - und nicht den Himmel. Vor allem in den Innenstädten wird allerdings oft mehr auf die Optik der Laternen geachtet statt auf effiziente Beleuchtung. Das Licht wird nicht nur gezielt dorthin gestrahlt, wo es benötigt wird - nämlich auf Straßen und Gehsteige -, sondern in alle Richtungen und demnach auch diffus nach oben gestreut, wo die Luftschichten es teils wieder reflektieren und zusätzlich verstärken.

Kostenersparnis
"Wenn man diese Ineffizienzen beseitigt und dafür sorgt, dass das Licht exakt dorthin gelangt, wo es tatsächlich benötigt wird, hat man schon viel erreicht“, meint Reinboth. Er hofft dabei besonders auf den Einsatz von energiesparenden LED-Lampen, mit denen außerdem wesentlich zielgerichteter beleuchtet werden kann. Das Argument der Kostenersparnis allein greife dennoch zu kurz, so Reinboth: "Wenn eine Verwaltung nur aus Kostengründen LED-Straßenlampen anschafft und Nachtabschaltungen einführt, wird sie deshalb noch kein Problem mit der Genehmigung neuer Skybeamer oder Fassadenbeleuchtungen haben, deren Energiekosten ja von privater Hand getragen werden.“

Keine Anzeichen einer Trendumkehr
Die rein ökonomische Sichtweise müsse deshalb sukzessive um ökologische und medizinische Aspekte ergänzt werden. Allerdings: Auch wenn vereinzelt Initiativen gegen die Lichtverschmutzung keimen, gibt es derzeit keine Anzeichen für eine wirkliche Trendumkehr. Die Lichter der Nacht sind nach wie vor schlicht auch ein Symbol für Fortschritt, Wohlstand und Sicherheit. Und dem Wunsch nach einem schönen und dunklen Sternenhimmel steht immer noch jener nach einer hell beleuchteten Stadt entgegen, die auch noch in der Nacht stolz ihre Kirchen, Burgen und anderen Sehenswürdigkeiten weithin sichtbar präsentiert.

Thomas Uhlmann (Herausgeber): "Das Ende der Nacht. Lichtsmog: Gefahren - Perspektiven - Lösungen“, 2. überarbeitete Auflage, Wiley-VCH, EUR 30,-

Foto: Philipp Horal für profil