Meteoriten über Österreich: Wenn Steine vom Himmel fallen
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Am 20. November 1768 um vier Uhr nachmittags hatte Gott einen Wutausbruch. Die Menschen hörten zunächst ein dumpfes Grollen, der Himmel verfinsterte sich, hoch droben am Firmament begann es zu zischen und zu brausen. Dann ertönte ein Knall, laut wie ein Kanonenschuss. Gleich darauf fiel wie aus dem Nichts ein Stein aus den Wolken und stürzte aufs Feld eines Herren namens Georg Bart.
Der Brocken wog gut 20 Kilo. Er war 30 Zentimeter lang, weich und porös und von einer schwarzen Kruste umhüllt. Die Gelehrten waren ratlos. Die meisten fanden es undenkbar, dass Steine einfach vom Himmel fallen können. Viele Leute im oberösterreichischen Mauerkirchen, wo sich der Vorfall zutrug, gingen von einem bösen Omen aus: Sie dachten, Gott zürne ihnen und bestrafe sie, indem er mit Steinen nach ihnen werfe.
Heute wissen wir, worum es sich tatsächlich handelte: um den Fall eines Meteoritenstücks. Trifft ein kleiner Asteroid auf die Erdatmosphäre, birst er durch die Reibungshitze in einzelne Fragmente. Den Aufprall sehen wir manchmal als Feuerball oder Leuchterscheinung, volkstümlich Sternschnuppe genannt. Die Trümmer stürzen danach im freien Fall zu Boden.
In Mauerkirchen, damals bayerisches Hoheitsgebiet, ereignete sich der erste offiziell bestätigte Meteoritenfall auf dem Boden des heutigen Österreich. Der jüngste liegt wenige Wochen zurück: Am 12. Juni gegen 23 Uhr erhellte ein grelles Leuchten den Himmel zwischen St. Pölten und Melk. Die anschließend über Niederösterreich verstreuten Fragmente, vermutlich nicht größer als Marillen, wurden noch nicht geborgen.
Der Meteorit auf dem Hausdach
Nur ein halbes Jahr zuvor war schon einmal ein ähnlicher Absturz registriert worden. Über Haag, ebenfalls Niederösterreich, flammte am 24. Oktober 2024 um 21.25 Uhr ein Feuerball auf, über einem Areal von neun Kilometern hagelten Bruchstücke eines Meteoriten herab. Ein Stein landete auf dem Dach eines Einfamilienhauses und zerbrach in noch kleinere Teile, die auf den Parkplatz hinter dem Haus purzelten. Die Splitter des Haag-Meteoriten, knapp 30 Gramm schwer, wurden vor einigen Wochen dem Naturhistorischen Museum übergeben, das mit mehr als 10.000 Objekten eine der größten Meteoritensammlungen der Welt besitzt.
Dass zwei Abstürze in aufeinanderfolgenden Jahren stattfinden, ist ungewöhnlich. Insgesamt ist in Österreich nur ein Dutzend solcher Vorfälle nachgewiesen, in Ober- und Niederösterreich, in Tirol, der Steiermark und dem Burgenland. Weltweit dürften Jahr für Jahr um die 20.000 kosmische Trümmer die Erde treffen, die meisten davon verschwinden unerkannt in den Meeren. Katalogisiert und anhand der geologischen Beschaffenheit als Meteoriten identifiziert wurden im Vorjahr von der Meteorological Society 3646 Fundstücke. 1250 davon entdeckten Sammler in der Antarktis, 1102 in Afrika, nur elf in Europa.
Doch woher stammen die Geschoße aus dem Weltall ursprünglich? Warum nehmen sie manchmal Kurs auf die Erde? Und wie gefährlich können Treffer von Meteoriten sein? Lange Zeit konnten die Menschen über die beängstigenden Naturphänomene nur ehrfürchtig staunen. Schon Plinius der Ältere berichtete 77 nach Christus von „Steinen, die vom Himmel fallen“. Aus Japan ist aus dem Jahr 861 die Geschichte eines faustgroßen „fliegenden Steins“ überliefert, der im Garten eines Tempels einschlug. Erwiesen ist weiters, dass Pharao Tutanchamun einen Dolch aus Meteoriteneisen besaß. Wahrscheinlich hatten Handwerker zuvor Bruchstücke eines Eisenmeteoriten in der Wüste aufgelesen und daraus eine dem jungen Herrscher angemessene Waffe gefertigt.
Der Himmelsstein als Talisman
Eine berühmte europäische Anekdote erzählt vom „Donnerstein von Ensisheim“. Am 7. November 1492, kurz vor Mittag, beobachtete ein Bub, wie mit ohrenbetäubendem Getöse ein riesiger Stein vom Himmel raste und in ein Weizenfeld vor der französischen Stadt krachte. Er riss dort ein zwei Meter tiefes Loch. Die aufgebrachte Bevölkerung glaubte an ein Zeichen Gottes und kratzte hastig Material vom vermeintlich heiligen Stein. König Maximilian I., gerade unterwegs zu einem Feldzug nach Frankfurt, säbelte auch ein Stück ab, um sich göttlichen Beistand für die Schlacht zu sichern. Er gewann diese tatsächlich, vermutlich ein Sonderfall von Placebo-Effekt.
Ab Mitte des 18. Jahrhunderts sind zahlreiche Meteoritenfälle überliefert. Bei Modena knallte gegen fünf Uhr nachmittags an einem Julitag 1766 ein Stein mit solcher Wucht auf den Boden, dass eine Kuh von den Beinen gerissen wurde. Am 13. Dezember 1795 sah der Landarbeiter John Shipley aus Wold Cottage, Yorkshire, England, zu, wie ein Brocken aus den Wolken stürzte, genau vor seinen Füßen in den Matsch fiel und dadurch seine Kleider versaute. Fälle von Verletzungen sind kaum dokumentiert. Am schlimmsten erwischte es, soweit bekannt, eine amerikanische Hausfrau, die auf dem Sofa lag, als ein Meteoritenstück ihr Hausdach durchschlug, einen Radioapparat traf, von diesem abprallte und gegen ihren Ellbogen sprang.
Um die Herkunft solcher Steine zu verstehen, müssen wir 4,6 Milliarden Jahre zurückblenden, in die Zeit, als unser Sonnensystem entstand. Der Raum war von Staub und Gas erfüllt, einer Wolke vorwiegend aus Wasserstoff und Helium. Diese Wolke begann plötzlich zu kollabieren, sackte unter der eigenen Schwerkraft zusammen, gewann an Dichte und Temperatur. Letztlich war die Materie so dicht und heiß, dass eine Kernreaktion zündete – die Geburtsstunde der Sonne. Ringsum rotierten Teilchen der Urwolke im Raum, blieben aneinander haften, verschmolzen und verklumpten, bildeten immer größere Fragmente. Je massiver sie wurden, desto mehr wuchsen sie dank der Gravitation zu noch mächtigeren Felsen heran – den Vorläufern der Planeten.
Doch nicht allen Himmelskörpern war es gegönnt, Karriere als anständige Planeten zu machen. Zwischen Mars und Jupiter klaffte eine Lücke, dachte man lange. Welch ein Irrtum: In dieser Zone verhinderte die starke Anziehungskraft zwar, dass sich Gesteinstrümmer zu weiteren Planeten formen konnten, doch dafür schwirren und schlingern Unmengen loser Brocken umher, die den heutigen Asteroidengürtel bilden. Es handelt sich um Bauschutt aus der Frühphase des Sonnensystems, um die älteste und ursprünglichste Materie, die aus unserem Winkel des Universums existiert. Wenn nun ein Teil eines Asteroiden zur Erde gelangt, haben Forschende Gelegenheit, ein Zeugnis von der Stunde Null des Sonnensystems zu studieren.
Von Asteroiden umzingelt
Millionen Asteroiden ziehen zwischen Mars und Jupiter ihre Bahnen. In dem Gedränge kollidieren sie regelmäßig. Infolge solch einer Karambolage kann einer der Felsen seine Bahn ändern und nach vielen weiteren Umläufen aufs innere Sonnensystem zusteuern – auch Richtung Erde. Unser Planet ist von einer dichten Wolke erdnaher Asteroiden umgeben. An die 30.000 solcher Near Earth Objects (NEO) sind mittlerweile erfasst, deren Bahnen eines Tages – möglicherweise – die Erdbahn kreuzen und damit einen Asteroideneinschlag verursachen könnten.
Um die potenzielle Gefahr öffentlich zu thematisieren, wurde der World Asteroid Day ins Leben gerufen, der heuer am 30. Juni zum zehnten Mal stattfand. Initiiert unter anderem vom Apollo-Astronauten Russell Schweickart und vom Queen-Gitarristen und Astrophysiker Brian May, ist ein erklärtes Ziel der Aufbau von Überwachungssystemen, um die Orbits erdnaher Asteroiden zu beobachten und Kollisionsrisiken frühzeitig zu erkennen. Zum Beispiel für den 350 Meter großen Asteroiden Apophis, der just am Freitag, den 13. April 2029, der Erde sehr nahekommen wird. Nach derzeitigen Berechnungen wird er in etwa 30.000 Kilometer Entfernung vorbeifliegen.
100 Tonnen Meteoritenstaub pro Tag
Welchen Schaden Asteroiden bei einem Treffer anrichten, hängt vor allem von ihrer Größe ab. Auch die Nomenklatur richtet sich nach der Dimension. Zwecks besserer Unterscheidbarkeit hat man sich darauf geeinigt, nur große Objekte Asteroiden zu nennen: Ein 100 Meter messender Brocken fällt genauso in diese Gruppe wie Apophis oder ein mehrere Kilometer mächtiger Gigant. Unter einer Größe von etwa 50 Meter spricht man von Meteoroiden. Der Begriff Meteor wiederum bezeichnet die Lichterscheinung, die wir als Sternschnuppe sehen, wenn ein Stein aus dem All die Atmosphäre trifft und Luftmoleküle durch Reibungshitze aufleuchten. Meteoriten heißen all die Geschoße erst dann, wenn sie auf den Erdboden treffen.
Bei der allerkleinsten Klasse geschieht das ständig: Unablässig rieseln Mikrometeoriten aus der Atmosphäre herab, in der Regel nichts anderes als Staub. Mindestens 40 Tonnen davon gelangen jeden Tag auf die Erdoberfläche. Manche Schätzungen gehen sogar von 100 Tonnen täglich aus. Wer sein Fensterbrett oder Autodach abwischt, könnte sich bewusst machen, dabei gerade auch mehr als vier Milliarden alten Sternenstaub eingefangen zu haben.

© AFP/APA/AFP/OLEG KARGOPOLOV
Der Tscheljabinsk-Meteorit
Über der Stadt Tscheljabinsk in Sibirien detonierte im Februar 2013 ein knapp 20 Meter großer Asteroid. Obwohl er die Erdoberfläche nicht traf, verursachte die Explosion eine gewaltige Druckwelle, die Mauern umriss und Fensterscheiben bersten ließ.
Bei einer Objektgröße von wenigen Metern geschieht in der Regel, was sich im Juni über Niederösterreich ereignete: Der Stein übersteht den Crash mit der Atmosphäre nicht und zerbricht in Fragmente, die im freien Fall herabstürzen. Kritisch können aber auch Atmosphärentreffer werden, sobald der Brocken um die 20 Meter misst. Die verheerenden Folgen zeigten sich im Februar 2013 in der sibirischen Stadt Tscheljabinsk: Ein Meteoroid dieser Klasse detonierte damals in 30 Kilometern Höhe. Obwohl er somit gar nicht auf der Erde einschlug, war die Druckwelle so gewaltig, dass Mauern umstürzten und Fensterscheiben zersplitterten. Rund 1500 Personen wurden verletzt.
Der Meteoritenkrater in Bayern
Dabei handelte es sich bei dem Exemplar noch um einen Winzling, verglichen mit richtig großen Boliden. In Österreichs Nähe zeugen noch heute Spuren davon: im Nördlinger Ries in Bayern. Überblickt man vom Kirchturm der Stadt Nördlingen die Landschaft, erstreckt sich vor dem Betrachter eine üppig bewachsene Senke, umgeben von einer sanften Hügelkette. Die Hügel sind die Überreste eines Kraterrandes, der vor 15 Millionen Jahren entstand. Die Senke verrät den rund 25 Kilometer messenden Einschlagskrater, den ein 1,5 Kilometer großer Asteroid riss.
Ein Objekt dieser Größe wird von der Atmosphäre nicht aufgehalten, es rast fast ungebremst hindurch. Beim Einschlag entstehen Temperaturen von mehreren 10.000 Grad und ein Druck von Millionen Bar. Gestein schmilzt oder verdampft, Schockwellen laufen mit Überschallgeschwindigkeit durch den Boden, es werden Energien frei, die keine irdische Kraft erzeugen könnte. Der Komprimierung beim Aufprall folgt eine gewaltige Explosion, wodurch Gestein aus dem Boden gerissen und kilometerweit fortgeschleudert wird. Es ist der Beginn der Kraterbildung. Die enormen Energien und Schockeffekte verändern Gesteine für immer, sodass Geologen Meteoriteneinschläge eindeutig bestimmen können. 190 Einschlagskrater wurden bis heute weltweit nachgewiesen.
Der mächtigste unter ihnen ist der Vredefort-Krater in Südafrika mit 250 bis 280 Kilometer Durchmesser, entstanden vor mehr als zwei Milliarden Jahren. Der Promi unter den Kratern ist aber ein anderer: der Chicxulub-Krater auf der mexikanischen Halbinsel, bekannt durch jenen Umbruch der Weltgeschichte, der vor 66 Millionen Jahren die Dinosaurier vom Planeten fegte.
Der Begriff Inferno ist für das, was sich damals abspielte, eine starke Untertreibung. Ein Asteroid von zehn Kilometern Größe, höher als der Mount Everest, raste mit rund 140.000 Stundenkilometern zur Erde. Er durchdrang die Atmosphäre in ein, zwei Sekunden, riss beim Einschlag augenblicklich ein 40 Kilometer tiefes Loch und setzte eine Energie von einigen Milliarden Atombomben frei. Die wahre Katastrophe begann aber erst danach.
Milliarden von Atombomben
Erdbeben mit einer Stärke von 11 bis 12 erschütterten die Region, Hunderte Meter hohe Tsunamis rollten gegen die Küsten. Glühendes Gestein vom Einschlag schoss in die Höhe und setzte noch in Zehntausenden Kilometern Entfernung Wälder in Brand. Ruß von den Feuern stieg zusammen mit Staub, Wasserdampf und schwefelhaltigen Gasen in die Höhe, Abertausende Kubikkilometer davon hüllten den Planeten ein und blockierten rund 80 Prozent des Sonnenlichts. Es wurde kalt und finster, ein sogenannter Impaktwinter folgte. Zugleich fiel saurer Regen. Später verursachte das durch den Einschlag freigesetzte Kohlendioxid eine massive globale Erwärmung, die Tausende Jahre anhielt.
Das Leben auf der Erde verkraftete all das nicht sehr gut. Die Photosynthese kam zum Erliegen, Pflanzen gingen ein, Tiere fanden keine Nahrung mehr. Gut die Hälfte aller Spezies fiel einem Massensterben zum Opfer, darunter die Dinosaurier. Es war das Ende eines Erdzeitalters.
Allerdings dürfen wir dieser Apokalypse, die in diesem Ausmaß, statistisch betrachtet, alle 100 Millionen Jahre einmal vorkommt, durchaus auch dankbar sein. Denn erst durch den Asteroidentreffer wurde die Bühne frei für den Welterfolg der Säugetiere – und schließlich auch für uns Menschen.

Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft