PFAS-Chemikalien: Gift für die Ewigkeit
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Strohhalme aus Plastik sind böse. Denn Kunststoff belastet die Umwelt, weshalb Trinkhalme heute meist aus Papier bestehen, genau wie Kaffeebecher und Einweggeschirr. Allmählich stellt sich jedoch die Frage, ob der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wurde. Denn wie macht man Papierhalme wasserfest? Und wie halten Lebensmittelverpackungen Fett und Hitze stand? Die Antwort steckt in vier Buchstaben: PFAS.
Das Kürzel steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen. Es handelt sich um eine riesige Gruppe chemischer Verbindungen mit mehr als 10.000 Stoffen. PFAS besitzen zwei herausragende Merkmale, die in scharfem Kontrast zueinander stehen: Sie weisen eine enorme Breite fantastischer Eigenschaften auf, die sie äußerst attraktiv für die Industrie machen; zugleich sind sie dermaßen stabil, dass man sie, sobald einmal in die Welt gesetzt, praktisch nicht mehr loswird. Das österreichische Umweltbundesamt bezeichnet sie als die „langlebigsten Substanzen, die je vom Menschen erzeugt wurden“. Daher heißen sie auch „Forever chemicals“ oder „Ewigkeitschemikalien“.
Die fluorierten Verbindungen lassen sich inzwischen überall auf der Welt nachweisen: in Europa und den USA ebenso wie in der Arktis, in Muttermilch gleichermaßen wie im Gewebe von Eisbären. Sie kontaminieren Flüsse, Seen und Grundwasser und daher mitunter das Trinkwasser. Erst Anfang Juli wurde rund 60.000 Personen in Frankreich, nahe der Grenzen zu Deutschland und der Schweiz, der Genuss von Leitungswasser untersagt, weil aufgrund hoher PFAS-Belastungen gesundheitliche Risiken nicht auszuschließen waren. Ähnliche Vorfälle gab es bereits in Deutschland und Norditalien.
Auch in Ackerböden und Lebensmitteln wie Obst und Gemüse, Milch, Eiern, Fisch und Fleisch finden sich diese Stoffe – genau wie im menschlichen Blut. Analysen der European Environmental Agency (EEA) zufolge weist das Blut von mehr als 14 Prozent europäischer Teenager bedenkliche PFAS-Konzentrationen auf, in Frankreich war es fast ein Viertel.
Eine fast endlose Liste
Die Allgegenwart von PFAS resultiert aus der Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten. Diese umfassen beschichtete Pfannen, Backpapier, Outdoor-Textilien, Imprägniersprays, Teppiche, Skiwachs, Fotopapier, Fastfood-Verpackungen, Arzneimittel und eine Menge Kosmetika, darunter Shampoos, Zahnseide, Eyeliner, Wimperntusche, Lippenstifte, Haarsprays, Puder, Rasierschaum, Sonnenschutzmittel, Anti-Aging-Produkte sowie viele Hautcremes.
Zu den Produkten im Haushalt kommen Anwendungen in der Industrie: für Dichtungen, Hydraulikflüssigkeiten, Wärmepumpen, Papierwaren, Kabelschläuche, Elektronikbauteile, Feuerlöschschaum, Berufsbekleidung, Pestizide, Labor- und medizinische Geräte, Kältemittel, Farben, Lacke, Oberflächenbeschichtungen. Allein zur Behandlung von Textilien, Möbeln und Leder werden in der EU jährlich bis zu 80.000 Tonnen Fluorchemikalien verarbeitet.
Wie kann eine einzige Gruppe von Chemikalien für so viele Einsatzgebiete taugen? „Es handelt sich um wahre Wunderchemikalien“, sagt Thilo Hofmann, Professor am Zentrum für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften sowie Direktor des Forschungsnetzwerks Umwelt und Klima der Universität Wien. „Sie sind beinahe unzerstörbar und haben traumhafte Eigenschaften, die es zuvor in dieser Fülle nicht gab.“
PFAS weisen Wasser, Öl und auch Schmutz ab, verleihen Kochgeschirr Antihaftfunktion, lassen in Jacken Schweiß entweichen, während sie Regenwasser blockieren. Sie sind hitze-, feuer- und chemiebeständig, entziehen Flammen den Sauerstoff, verbessern die Gleitfähigkeit von Skiern und Kathetern und die Aufnahmefähigkeit der Haut für Kosmetika. Sie gewährleisten, dass Nagellack hält und Kosmetika wilde Partynächte überdauern. Möglich macht dies ein scheinbar simples Prinzip: PFAS beruhen auf Bindungen von Kohlenstoff- und Fluoratomen, wobei unterschiedlich lange Kohlenstoffketten und raffinierte Verzweigungen für den unerschöpflichen Reichtum an Eigenschaften sorgen.
Die unerreichte Stabilität dieser in der Natur nicht existierenden Stoffe hat ihren Preis: Sie sind sehr schwer bis gar nicht biologisch abbaubar. Außerdem ist inzwischen gut belegt, dass sich PFAS nicht nur in der Umwelt anreichern, sondern auch den Körper schädigen können. Die tolerablen Mengen seien über die Jahre „drastisch herabgesetzt worden, weil die Gefährlichkeit dieser Stoffklasse unterschätzt wurde“, berichtet der Umweltwissenschafter Hofmann.
Wunder mit Nebenwirkungen
Ihre Geschichte begann vor bald 100 Jahren, und wie oft in der Chemie wurde, was sich später als ernsthaftes Problem erwies, zunächst begeistert bejubelt. Im Jahr 1934 entdeckten zwei Forscher des deutschen Chemie-Konglomerats IG Farben neuartige Fluorverbindungen, aus denen später eine Substanz namens PTFE hervorging. Zunächst für das Militär sowie im Manhattan Project genutzt, wurde PTFE später zum Welterfolg: Unter dem besser bekannten Namen Teflon eroberte die Chemikalie die Haushalte und versprach komfortables Kochen ohne lästiges Anbrennen.
Ab den 1940er-Jahren waren es vor allem die Konzerne 3M und DuPont, die das Potenzial der Fluorverbindungen erkannten, Patente erwarben und immer neue Kreationen auf den Markt brachten – bis nach und nach die Branche wuchs und die heutige Produktfülle entstand. Dass der großartige Fortschritt auch seine Schattenseiten hat, wussten viele Hersteller vermutlich spätestens seit den 1980er-Jahren, wie sich bei Prozessen in den USA herausstellte. Systematisch beforscht werden PFAS seit etwa 20 Jahren.
Allerdings ist bisher nur ein Bruchteil der Substanzen hinsichtlich ihrer Risiken untersucht, und von weniger als der Hälfte der mehr als 10.000 Stoffe sind die chemische Struktur und das Wirkprofil öffentlich, also außerhalb der jeweiligen Entwicklungsabteilungen bekannt. Das Dilemma der Behörden ist in solchen Fällen immer gleich: Sie müssen mühevoll, Chemikalie für Chemikalie, den Nachweis für schädliche Effekte erbringen – während die Hersteller durch geringfügige chemische Variation mit einer Flut leicht veränderter Produkte nachlegen.
Zumindest für einige PFAS liegen aber sehr belastbare Daten vor, darunter Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und Perfluoroctansäure (PFOA). Bei beiden handelt es sich um langkettige Verbindungen (solche mit acht oder mehr Kohlenstoffatomen, die als besonders problematisch gelten), beide waren sehr gebräuchlich, beide sind besonders langlebig und nachgewiesen toxisch. Wenn sie über kontaminierte Nahrung in den Magendarmtrakt gelangen, werden sie aus diesem leicht ins Blut aufgenommen. Sie binden dort an Eiweiße wie Albumin, verteilen sich im Blutkreislauf und erreichen innere Organe wie Leber, Niere und Lunge. Und sie verbleiben dort lange Zeit: Je nach Substanz betragen die Halbwertszeiten im Körper rund einen Monat bis zu mehr als acht Jahre.
Geschwächter Immunschutz
Freilich: Bloß weil sich ein Stoff im Körper ansammelt, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass er dort Schaden anrichtet. Doch von einigen der bereits gut untersuchten PFAS kennt man negative Folgen für die Gesundheit, wobei der Weg über die Blutbahn entscheidend ist: So sind Beeinträchtigungen des Immunsystems dokumentiert, speziell bei Kindern. Bei ihnen kann die Antikörperreaktion nach Impfungen herabgesetzt sein. Zusammenhänge sind weiters für chronische Darmentzündungen, erhöhte Cholesterinspiegel, Schilddrüsenleiden, Hoden- und Nierenkrebs, Bluthochdruck in der Schwangerschaft und verringertes Geburtsgewicht beschrieben.
Der Nachweis toxischer Effekte führte dazu, dass einzelne Substanzen in Europa aus dem Verkehr gezogen wurden: PFOS bereits 2010, PFOA zehn Jahre später, wenn auch mit Ausnahmen. Weitere Verbote folgten, zum Beispiel für PFHxS im Jahr 2023. Doch nicht nur sind Tausende Stoffe aus der PFAS-Gruppe weiterhin in Verwendung (deren Gefahrenpotenzial die Behörden erst sukzessive prüfen müssen, wobei sie dem Einfallsreichtum der Produzenten chronisch hinterherhinken), auch sind die längst verbotenen Stoffe nach wie vor präsent – in der Natur, im Essen und auch im menschlichen Blut.
Im Vorjahr untersuchte die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) 128 Lebensmittelproben auf ihren Gehalt von vier PFAS-Verbindungen. PFOS wurde in 15 Proben gefunden, besonders viel in Straußeneiern mit 23 Mikrogramm pro Kilo. Laut einer EU-Verordnung sollte die Konzentration in Eiern ein Mikrogramm nicht überschreiten. Andere verbotene Stoffe wies die Ages etwa in Wildschweinen und Süßwasserfischen nach.
Bei Blut- und Urinanalysen werden die Stoffe ebenfalls regelmäßig entdeckt, beispielsweise in einer Studie an österreichischen Kindern, die das Umweltbundesamt und die Universität Wien 2022 publizierten. Jene Untersuchung der europäischen Umweltbehörde EEA, die den PFAS-Gehalt bei Teenagern bestimmte, gelangte zu ähnlichen Resultaten: In neun europäischen Ländern stieß sie auf Werte jenseits der 6,9 Mikrogramm pro Liter Blut, die als gerade noch tolerabel gelten. Nicht nur in Frankreich, auch in Schweden lagen gut 23 Prozent der jungen Menschen darüber.
Dauermieter im Körper
Wie dauerhaft der Körper mit Fluorverbindungen belastet sein kann, testete ein Forscher des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) im Selbstversuch. Verpackt in einen Muffin, nahm er 15 verschiedene PFAS zu sich und wertete über 450 Tage aus, welche Substanzen wie lange nachweisbar waren. Am längsten verblieb PFOA im Körper, bei einer Halbwertszeit von 5,5 Jahren. Das heißt, nur alle fünfeinhalb Jahre halbiert sich die Konzentration im Organismus.
Soll man sich, um Risiken auszuloten, sicherheitshalber auch testen lassen? In Österreich bietet zum Beispiel Labors.at solche Analysen an. Doch vermutlich kann man sich den Aufwand sparen: Forschende gehen davon aus, dass ohnehin praktisch alle Menschen PFAS im Blut haben.
Dorthin gelangen die Stoffe zum einen über Haushaltsartikel. Kosmetika diffundieren durch die Haut, Schwaden von Imprägniersprays für Schuhe kann man einatmen. Beschichtetes Kochgeschirr gilt zwar als sicher, solange man es nicht leer oder übermäßig erhitzt. Wer aber am Gasherd mit hoher Hitze kocht, „hat eigentlich schon verloren“, meint Thilo Hofmann. Dann sei nicht auszuschließen, dass Abrieb in Nahrungsmittel übergehe. Wer Outdoorkleidung wäscht, kann dazu beitragen, dass PFAS aus deren Beschichtung ins Abwasser und in Kläranlagen entweichen – und über diese schließlich auf Felder, auf denen Nutzpflanzen wachsen. Das Ausbringen kontaminierter Klärschlämme gilt als wesentliche Quelle für die Belastung von Nahrungsmitteln.
Als hauptverantwortlich dafür gelten aber nicht die Haushalte, sondern industrielle Prozesse. Dazu zählen Hersteller von PFAS, von denen es in Europa rund ein Dutzend gibt, ebenso wie Betriebe, die Produkte veredeln, etwa für Beschichtungen. Auch Pflanzenschutzmittel, die Unkräuter, Insekten oder Pilze abwehren, können PFAS enthalten. Sie gelangen direkt auf die Felder, Rückstände aus der Industrie über den Umweg von Abwässern oder Emissionen – je nach chemischer Verbindung. Während sich die zunehmend verpönten langkettigen PFAS (mit einer größeren Zahl an Kohlenstoffatomen) stabil und dauerhaft anreichern, ist dies bei kurzkettigen Substanzen nicht der Fall. Dafür sind sie flüchtiger und verteilen sich eher in der Luft.
So haben PFAS beste Voraussetzungen, sich großflächig in der Umwelt festzusetzen. Dennoch gibt es örtliche Belastungsspitzen, in Österreich im steirischen Leibnitzer Feld, am Salzburger Flughafen und in Leonding in Oberösterreich. Ursache sind verblüffend oft Feuerlöschschäu von Einsätzen und Löschübungen.
Die Grenze der Abbaubarkeit
Die einzige Form von Zerfall, dem all diese Substanzen unterliegen, besteht im Verlust von Teilen der Kohlenstoffketten: Sie werden kürzer, Verzweigungen gehen verloren – bis zu einem gewissen Punkt: Letztlich bleibt ein Stoff namens Trifluoracetat (TFA) als terminales Abbauprodukt. „Dann ist das Dead end erreicht“, sagt Hofmann. TFA verbleibt dauerhaft in der Umwelt, ist gut wasserlöslich, wird daher inzwischen regelmäßig in Gewässern nachgewiesen – und steht ebenfalls im Verdacht, toxisch zu wirken.
Ab welchen PFAS-Mengen in Lebensmitteln Gesundheitsgefahr droht, ist schwer zu beantworten. Für Muskelfleisch gelten andere Schwellenwerte als für Muscheln oder Oberflächengewässer. Manchmal wird die Summe der Belastung durch ausgewählte PFAS herangezogen, manchmal jene durch die gesamte Gruppe der Chemikalien, teils wird in Mikrogramm pro Kilo gerechnet, dann wieder in Nanogramm (Milliardstel Gramm) pro Woche.
Am ehesten kann man sich am Wert der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA orientieren: Demnach sollten wir pro Kilo Körpergewicht wöchentlich nicht mehr als 4,4 Nanogramm PFAS aufnehmen, basierend auf vier ausgewählten Stoffen. Daraus wiederum lässt sich eine Konzentration von maximal 6,9 Mikrogramm pro Liter Blut ableiten. Für Trinkwasser gilt ab Anfang kommenden Jahres in der EU eine Grenze von höchstens 01,Mikrogramm pro Liter für die Summe von 20 ausgewählten PFAS beziehungsweise von 0,5 Mikrogramm für die gesamte Stoffgruppe.
Freilich: Neue Forschungen, auch an bisher kaum untersuchten Stoffen, könnten diese Einschätzung wieder verändern. Darum haben mehrere europäische Länder einen radikalen Vorschlag erarbeitet, der momentan auf EU-Ebene heftig debattiert wird: Sie fordern ein generelles Verbot der gesamten Stoffgruppe der PFAS, damit nicht ständig die Toxizität von Einzelsubstanzen studiert werden muss. Doch selbst wenn der Vorstoß glückt, werden uns die Stoffe noch lange Zeit begleiten.
Konkrete Handlungsempfehlungen für Konsumenten sind entsprechend schwierig. Ob und wie sehr Fleisch oder Gemüse belastet ist, ist ohnehin unkontrollierbar, und selbst die Vermeidung PFAS-haltiger Produkte ist eine Herausforderung. Zwar könnte man präventiv auf beschichtete Pfannen oder Funktionskleidung verzichten. Aber wie beurteilen, welche Zusätze in Kosmetika stecken? Niemand kann alle infrage kommenden Verbindungen überblicken und die chemischen Kürzel deuten. Man könnte nur, umgekehrt, Produkte wählen, die als PFAS-frei ausgewiesen sind.
Aber auch Produktkennzeichnungen können irreführend sein, wie Analysen von mit PFAS versetzten Strohhalmen zeigten: Weil sie aus Papier sind statt aus Plastik, wurden sie als biologisch abbaubar beworben.

Alwin Schönberger
Ressortleitung Wissenschaft