Reportage: Das lukrative Geschäft von ägyptischen Grabräubern

Der Schmuggel von Antiquitäten ist fast so einträglich wie Drogen- und Waffenhandel. Reporter Michael Stührenberg ließ sich auf ein riskantes Abenteuer ein: Er schlich sich bei ägyptischen Grabräubern ein, kroch mit ihnen durch unterirdische Gänge - und erfuhr erstaunliche Details über ein international vernetztes Geschäft.

Drucken

Schriftgröße

Im schwachen Licht der Taschenlampen kommen wir nur langsam voran - auf allen Vieren, fünf Meter unter der Erde. Die Hände schmerzen von den scharfkantigen Tonscherben, den Knochen und Schädelstücken, die den Tunnelboden übersäen. Von den Wänden rieseln kleine Lawinen aus Sand und Staub; die Decke, nicht höher als 80 Zentimeter, bröckelt auch. Der beißende Gestank von Fledermauskot schnürt die Kehle zu.

Vor uns kriechen Ali, Achmed und Abdul (Name von Redaktion geändert). Sie sind Grabräuber aus dem Dorf Tarif. Archäologen nennen das Gebiet Theben-West. Hier, auf dem westlichen Nilufer gegenüber von Luxor, befand sich vor über 3000 Jahren die Totenstadt des Neuen Reiches. Das Tal der Könige, mit Pharaonengräbern wie jenen von Ramses XI., Thutmosis I. und Tutanchamun, liegt nur wenige Hundert Meter entfernt.

Nicht mehr als ein paar Tunnellängen also, und doch unendlich fern von uns, wie es scheint. In diesem Tunnel hier wirkt alles schäbig. Endlich erreichen wir unser Ziel: eine von mehreren Grabkammern, die zu einem "Netz" gehören, wie Ali es nennt. Das Netz ist der Grund, weshalb ihre kriminellen Aktivitäten unbemerkt bleiben können. Sind sie mit einem Grab fertig, füllen sie die leere Kammer mit dem Abraum ihrer nächsten Baustelle. So gibt es keine verräterischen Spuren an der Erdoberfläche.

"Atmet durch die Tücher"

Die drei Räuber wühlen jetzt mit nackten Händen in einem Gemisch aus Schutt und Scherben. In Sekunden füllt sich die Höhle mit aufgewirbeltem Staub. "Atmet durch die Tücher", rät Ali, der Chef der Bande. Von ihm selbst sieht man nur noch die dunklen Augen. Versteckt hinter drei Windungen seines Turbans, wirkt der Mann wie eine lebendige Mumie. Der feine Staub dringt dennoch überall ein, führt zu heftigen Hustenanfällen. "Am gefährlichsten sind die Pilzsporen in den Bandagen der Mumie", sagt Jean-Pierre. Er ist unser Experte hier. Und er hat mir den Zugang zur Welt der Schmuggler vermittelt. Ein breitschultriger Abenteurer, der seine erste Osiris-Statuette im Alter von 15 Jahren mitgehen ließ. "Diese Sporen haben wahrscheinlich den Tod der Ausgräber verursacht, die 1922 die Mumie von Tutanchamun exhumiert haben. Damals wurde viel über den Fluch der Mumie fabuliert."

Bandagen? Auf dem Boden liegen braune Stofffetzen und bemalte Holzsplitter. "Vorigen Monat haben wir einen Sarg freigelegt", bestätigt Ali. Jean-Pierre erklärt: Die Grabräuber öffneten den Sarkophag und wickelten die Mumie aus, um an die Grabbeigaben heranzukommen. Meist einfacher Schmuck oder Statuetten. Solche Objekte lassen sich leicht an Dealer oder an Touristen in Luxor verkaufen.

"Und was haben sie mit der Mumie gemacht?", frage ich Jean-Pierre. Die Antwort kommt von Ali, mit argwöhnischer Miene: "Seit wann interessiert sich Monsieur X für Mumien?"

Unsere Reportage ist das Ergebnis einer verdeckten Recherche. Niemand kann das Milieu der Grabräuber und Antiquitätenschmuggler infiltrieren und sich dabei als Reporter ausgeben. Und nichts wäre möglich gewesen ohne die Hilfe jenes Mannes, der hier unter dem Namen Jean-Pierre auftritt. Er ist ein ehemaliger Grabräuber und Schmuggler, der bereit ist, seine Geschichte zu erzählen -und ein extrem erträgliches Business zu beschreiben.

Laut Unesco sind Antiquitäten heute die nach Drogen und Waffen ergiebigste Schmuggelware, mit einem geschätzten Jahresumsatz von fast sechs Milliarden Dollar. Obwohl der Schwarzmarkt nun auch vom sogenannten Islamischen Staat mit geplünderten Artefakten gefüttert wird, erweist sich die Nachfrage seitens privater Sammler als unersättlich. Und Ägyptens Schätze sind nach wie vor die Nummer eins auf dem Markt.

Bei unserem ersten Treffen führte Jean-Pierre seinen Plan für die Recherche aus. Ich würde als Abgesandter von Monsieur X auftreten. Der prominente Pariser Antiquitätenhändler ist auch am Oberlauf des Nils bekannt, als Käufer von heißer Ware.

"Monsieur X schert sich nicht um Mumien", antworte ich Ali jetzt tief unten im Tunnel. "Aber er will wissen, woher die Stücke kommen, die er seiner Kundschaft anbietet." Mit wichtiger Miene wende ich mich an den Fotografen: "Machen Sie noch ein paar Aufnahmen von dieser Grabkammer!"

Als wir das Tunnel-"Netz" wieder verlassen - fünf Stunden, nachdem wir es durch ein zwischen Müll verstecktes Loch im Hinterhof von Alis Haus betreten haben -, bittet uns die Familie zum Tee. Es sind einfache Bauern, ihr Dorf besteht aus Baracken. Tarif zerfließt wie ein unansehnlicher Brei zu Füßen der Hügelkette, die das Nil-Tal vom Tal der Könige trennt. "Der Untergrund ist voll von alten Gräbern", sagt Alis Bruder Abdul. "Alle unsere Nachbarn graben, genau wie wir. Und je näher man an die Bergflanke herankommt, umso größer wird die Chance, auf ein wertvolles Grab zu stoßen."

Grabräuber in achter Generation

Dies erklärt den ehemaligen Reichtum des Dorfes Gurna gleich in der Nähe. Und seinen Fall. Über Jahrhunderte klebten seine hübschen Häuser am Hügelhang, mit direktem Zugang zu prächtigen Gräbern. Bis Ägyptens Regierung im Winter 2006/2007 die Bewohner auswies und ihre Häuser plattwalzen ließ. Der Unesco und den Touristen zuliebe ließ man ein paar Fassaden stehen. Immerhin galt der Ort als Heimstatt der "größten Grabräuber aller Zeiten". Seit Napoleons Ägypten-Feldzug 1798 bedienten sich Franzosen, später auch Briten, Deutsche und Italiener großzügig an Ägyptens Gräbern. Die "Grabräuber" selbst waren und sind vor allem Ägypter. Ali zählt die Ahnenfolge an seinen Fingern ab. Vater Achmed, Großvater Mohammed, Urgroßvater Hussein. Er kommt auf acht Generationen. "Wir haben bei der Ankunft der Franzosen begonnen."

Napoleons Feldzug war der Beginn der Ägyptologie. Davor hatten die Bauern der Umgebung die antiken Tongefäße einfach zermahlen und als Dünger verteilt. Nun aber wurde ägyptische Antike der letzte Schrei. In London, Paris, Berlin gab es mondäne Partys, deren Höhepunkt darin bestand, um Mitternacht einen Sarkophag zu öffnen, um die Mumie auszuwickeln. Heute allerdings sind Sarkophage fast unverkäuflich. "Theoretisch sind sie noch immer ein Vermögen wert", erklärt Jean-Pierre. "Sammler in Europa würden fünf Millionen Euro oder mehr dafür zahlen. Aber wie soll man diese Ware jetzt aus Ägypten hinausschaffen?"

Zu Zeiten des Regimes von Hosni Mubarak war alles einfacher. In der Regel reichte es aus, sich mit einem ägyptischen Armeegeneral zu verständigen und einen Botschaftsattaché zum Freund zu haben. Erstaunlich, was da alles in den diplomatischen Koffer passte. 2011 kam der Arabische Frühling und in seiner Folge das Chaos. Bewaffnete Banden plünderten landesweit Museen und Magazine von Ausgrabungsstätten. Den regierenden Muslimbrüdern war es egal. Ihnen galt Archäologie ohnehin als Sünde. Der Schwarzmarkt wurde von ägyptischen Artefakten überschwemmt. Nach der Machtübernahme von Präsident Sisi im Sommer 2013 wurden zwar die Gesetze verschärft -auf Raub oder Schmuggel von Antiquitäten stehen nun 25 Jahre Gefängnis -, allerdings: "Das Geschäft läuft weiter. Angebot und Nachfrage florieren", erklärt Jean-Pierre.

Der Dealer, bei dem er mich einführt, wohnt vor den Toren von Neu-Gurna. So heißt die triste Siedlung, die 2007 auf die Nil-Ebene gepflanzt wurde, um die Vertriebenen aus den Hügeln unterzubringen. Hassan trägt eine elegante Dschellaba. Sein geräumiges Haus, mit Teppichen ausgelegt und geschmackvoll eingerichtet, quillt über vor Unterhaltungselektronik made by Sony und Apple.

Wir lassen uns um ein Tischchen im Wohnzimmer nieder. Hassan serviert Tee: "Und wie geht es meinem Freund X?" Ich nicke begeistert: "Hervorragend! Monsieur X sendet seine besten Grüße aus Paris an seinen allerbesten Freund Hassan in Theben." Wir schlürfen den Tee, lächeln ohne Unterlass. Bis Hassan dezent in die Hände klatscht und sein junger Bruder den Raum betritt, beladen mit Artefakten. Er deponiert sie vor uns auf dem Tisch.

"Willst du uns beleidigen?"

Jean-Pierre begutachtet ein paar geschnitzte Figuren, schnüffelt am Holz, bedenkt unseren Gastgeber dann mit einem bösen Blick: "Habibi, willst du uns beleidigen? Dieser Gentleman hat eine weite Reise gemacht. Und du willst ihm diese Fälschungen andrehen." Der andere lächelt weiter, wenn auch mit einem Ausdruck des Bedauerns: "Aber es sind gute Imitationen! Die sind doch auch etwas wert, oder?" Der Bruder räumt ab.

Ein paar Minuten später kehrt der junge Mann mit echten Stücken zurück. "Ich mag die Masken", raune ich Jean-Pierre zu. Der belehrt mich: Das seien Kopfstücke von Sarkophagdeckeln. "Man sägt sie ab. Auf diese Weise kann wenigstens der wertvollste Teil eines Sarges verkauft werden." Der Fotograf macht Aufnahmen für Monsieur X, ich erkundige mich nach den Preisen. Diese beiden Köpfe seien 50.000 und 70.000 ägyptische Pfund wert, heißt es.

Was hält Jean-Pierre von dem Angebot? "Vernünftig." Später erklärt er mir die Faustregel für die Rechnung: Man teilt den Preis des ägyptischen Händlers durch 8,5 - das ergibt die Summe in Euro. An die hängt man eine Null an - das ist der vermutliche Verkaufspreis in Europa. Für diese beiden Köpfe würden Privatsammler rund 60.000 und 80.000 Euro zahlen.

Woher kommen diese Stücke? Hassan legt die Hand aufs Herz -bei Allah! - und beschwört die Echtheit seiner Ware: frisch aus den Thebanischen Hügeln. Dort bestehen seit der Ausweisung der Bewohner von Alt-Gurna mittlerweile archäologische Ausgrabungsstätten, betrieben von Franzosen, Engländern, Amerikanern, Polen und weiteren Nationalitäten. Ihre ägyptischen Arbeiter stammen überwiegend aus Neu-Gurna. Wenn sich die Gelegenheit bietet, lassen sie gern auch mal ein paar Statuetten mitgehen.

Und wie steht es mit dem Transport nach Übersee? Kein Problem, weiß Jean-Pierre: Kleinkram geht im Koffer, versehen mit der Rechnung eines Basarhändlers, der bestätigt, diese "Imitation" zu einem bescheidenen Preis an den Touristen soundso verkauft zu haben. Größere Artefakte werden in Noppenfolie gewickelt und per Container nach Marseille, Genua oder in ein EU-Zolllager verfrachtet. "Das Stück liegt dann oft inmitten von ähnlich aussehendem Billigkram. Kein Zöllner kann auf Anhieb den Unterschied feststellen."

Die Zollfreilager von Genf, Basel, Bern und anderen Schweizer Handelsplätzen sind die Zentren des Schmuggels. Hier können illegale Waren sicher gelagert werden: unversteuert und unter zollamtlicher Überwachung. Einfuhrgenehmigungen sind hier nicht notwendig. Immer häufiger werden die Lager auch als Showrooms genutzt. Sammler ergötzen sich ungestört am Anblick ihrer Kulturgüter oder empfangen Interessenten für den Weiterverkauf.

In Genf, ergab eine Recherche der französischen Zeitung "Le Figaro", steht das größte Zolllager der Welt, eine "Schatzhöhle Ali Babas". Den Gesamtwert der dort lagernden Kunstgegenstände, darunter zahlreiche Antiken, werde auf 100 Milliarden Franken geschätzt. Mittlerweile bemüht sich die Schweiz, das üble Image eines Hehler-und Geldwäschestaates loszuwerden. Im Jänner gab die Genfer Polizei bekannt, zwei Sarkophage und 45 Kisten mit etruskischen Antiquitäten seien gerade an Italien zurückgegeben worden - nach 15 Jahren im Zollfreilager. Und wenig später übergab ein Schweizer Staatsanwalt dem ägyptischen Botschafter in Bern eine 4000 Jahre alte Tafel aus Alabaster. Aufgeflogen ist die Sache nur, weil die Genfer Besitzerin, die das Stück erworben hatte, Anzeige erstattete und auf einer Rückführung der Tafel nach Ägypten bestand.

Unesco im Kampf gegen Antikenschmuggel

Auch die Direktorin des Unesco-Welterbezentrums, die Deutsche Mechtild Rössler, durfte im vergangenen Jahr an einer Schweizer Rückgabezeremonie teilnehmen. "Es war großartig", erzählt Rössler in ihrem Büro am Pariser Unesco-Sitz. "Die Zollbehörden schöpften Verdacht, als sie auf einen versiegelten Sarkophag stießen, der zwar als Imitation präsentiert wurde, ihnen aber ungewöhnlich schwer vorkam. Sie scannten den Sarg und fanden in seinem Innern 32 echte Antiken von großem Wert."

Rössler, die sich auf die Mitarbeit von Interpol stützen kann, verkörpert die ranghöchste Instanz im internationalen Kampf gegen Antikenschmuggel. Denn das rechtliche Gerüst, auf dem dieser Kampf fußt, ist die seit 1970 gültige Unesco-Konvention gegen illegalen Handel mit Kulturgut. Seit Jüngstem zeigt auch der Weltsicherheitsrat neue Entschlossenheit. Im Februar 2015 wurden einstimmig Maßnahmen zur Bekämpfung des Antikenschmuggels als Finanzierungsquelle des Terrorismus beschlossen.

Dahinter steckt die Gefahr des Islamischen Staates, der sich auch über den Verkauf geplünderter Antiquitäten aus Syrien und Irak finanziert. Dieser Handel läuft über dieselben oder ähnliche Kanäle wie der Schmuggel mit Drogen und Waffen, im Nahen Osten über mafiaartige Organisationen in der Türkei, im Libanon, in Israel. Der Schwarzmarkt für ägyptische Antiken, die einen viel größeren Anteil am Kulturschwarzmarkt ausmachen, funktioniert indes anders. Hier sind alte und neue Milliardäre am Ende der Verwertungskette, gegen die kaum jemand wirklich vorgehen will. "Wenn der Kunsthandel nicht mitmacht, gibt es keine Chance, den Schmuggel trockenzulegen", sagt Rössler.

Aber wie kann nun einer wie Monsieur X seine Schmuggelware "legal" machen? Darauf weiß Jean-Pierre die Antwort aus eigener Erfahrung: "Für den Fall, dass das Stück in einem Auktionshaus oder per Katalog verkauft werden soll, gibt es verschiedene Tricks, zum Beispiel die Dachbodenoption." Die funktioniert so: Monsieur X kennt eine Person, deren Großoder Urgroßvater nachweislich eine Reise nach Ägypten unternommen hat. Und zwar vor 1950, als die Bestimmungen zur Ausfuhr von Antiquitäten noch nicht sehr streng waren. Danach sei Opas Souvenir irgendwo auf dem Speicher vergessen worden. Nun habe die Familie das Stück wiedergefunden und wünsche, es an Monsieur X zu verkaufen. Für vielleicht 50.000 Euro? Auch wenn der Händler es für eine Million weiterverkaufen wird.

Zum Abschluss der Reise stellt Jean-Pierre noch Ibrahim vor. Der Mann, einer der mächtigsten Schmuggler Oberägyptens, empfängt uns in seiner Villa in Luxor. Ich gebe vor, mich ausschließlich für Sarkophage zu interessieren. Da sei ich bei ihm an der richtigen Adresse, versichert Ibrahim. Er zieht ein Smartphone hervor und scrollt durch die Liste seiner Angebote. Verschiedene Sarkophage erscheinen auf dem Bildschirm; sie scheinen im Dreck eines Hinterhofs zu verrotten. Kann ich mir die ansehen? Klar, kein Problem, sagt Ibrahim: "Sie müssen nur eine nicht erstattungsfähige Anzahlung von 100.000 Pfund leisten. Dann können Sie sich die Särge aus der Nähe anschauen."

100.000 Pfund entspricht etwa 12.000 Euro. Wir verabschieden uns. Draußen erwartet uns eine klare Winternacht, über dem Karnak-Tempel leuchtet der Vollmond. Sarkophage? Hatte es nicht geheißen, die seien heute unverkäuflich?" In Europa und Amerika. Nicht in den Golfstaaten. Es heißt, in manchen Nächten würden Jets in der Wüste landen und kurz darauf wieder starten. Es heißt, Katar habe gerade drei neue Museen gebaut. Und es heißt auch: Die müssen nun gefüllt werden."