Safer Schwips

Safer Schwips: Wissenschaft entwickelt Ersatzdroge für Alkohol

Wissenschaft. Forscher entwickelt Ersatzdroge für Alkohol

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Von Heike Wipperfürth

Als er voriges Jahr eine Rede über Drogenpolitik hielt, zeigte David Nutt, der ehemalige Drogenbeauftrage der britischen Regierung, seinen Zuhörern ein Werbeplakat der Biermarke Budweiser. „Sagen Sie Nein zu Drogen. Dann haben Sie mehr Zeit zum Trinken“, stand darauf zu lesen. Für Nutt ist das Poster ein Beweis, dass die mächtige Alkoholbranche die Öffentlichkeit gezielt in die Irre führt. Denn nicht illegale Drogen wie Cannabis, LSD und Ecstasy, sondern Alkohol und Tabak seien erwiesenermaßen die wirkliche Gefahr für Mensch und Gesellschaft, behauptet der Neuro-Psychopharmakologe. Seine Aufklärungsarbeit stoße aber an Grenzen, weil viele Politiker Drogengesetze unterstützten, die nicht ausreichend wissenschaftlich hinterfragt würden – und dagegen kämpft der stämmige 62-jährige Schnurbartträger, der am Imperial College in London unterrichtet.

Nutt wirkt zwar nicht wie ein Getriebener, doch er treibt vieles an: Derzeit wirft sich der polarisierende Professor etwa für ein neues „Medikament“ ins Zeug, das angeblich eine Alternative zu Alkohol darstellen würde. Es könnte in Bars als Cocktail angeboten werden und einen Rausch wie Bier oder Wodka produzieren – sei aber weniger giftig, so Nutt. Weil er gleichzeitig will, dass Millionen von Menschen das von ihm erfundene Medikament genießen, ohne einen Kater zu bekommen, hat der umtriebige Wissenschafter bereits ein Gegenmittel entwickelt. Dieses würde die Konsumenten der Wunderpille so rasch ausnüchtern, dass sie sich bereits kurz nach deren Einnahme hinters Steuer setzen und nach Hause fahren könnten. „Wenn wir schon die vielen Todesfälle durch Alkohol nicht vermeiden können, dann sollten wir zumindest eine Ersatzdroge haben, die nicht abhängig macht und für die es ein Gegenmittel gibt“, sagte Nutt, als er seine Erfindung im November des vergangenen Jahres in einer BBC-Radiosendung vorstellte. Gleichzeitig forderte er Investoren auf, seine Forschungsarbeit finanziell zu unterstützen.

„Der gefährliche Professor“
Das Interview löste aber nicht nur Begeisterung unter den Zuhörer aus, sondern provozierte auch heftige Gegenreaktionen, die nicht sehr schmeichelhaft für den renommierten Neuro-Psychopharmakologen waren. So empörte sich eine Hörerin über die „als Wissenschaftssendung getarnte Lobbyarbeit“. Auch Alcohol Concern, eine Hilfsorganisation, die gegen Alkoholmissbrauch kämpft, warnte davor, „eine Droge, die abhängig macht, durch eine andere zu ersetzen“. Ein Twitter-User bezeichnete das Medikament als „gruselig“ und verglich es mit der Superdroge Soma in Aldous Huxleys Utopie einer „Schönen neuen Welt“, die alle Vorzüge des Alkohols ohne deren Nachteile verhieß. Das US-Magazin „Science“ verpasste Nutt sogar den Titel: „Der gefährliche Professor“ – „gefährlich“ wohl vor allem wegen seinen teilweise drastischen Formulierungen und Einfälle, mit denen er versucht, drogenpolitische Probleme pointiert auf den Punkt zu bringen.

Selbst vor absurden Vergleichen macht der gelernte Psychiater nicht halt und erregt damit viel Aufmerksamkeit: Vor fünf Jahren legte er als Drogenbeauftragter der britischen Regierung eine Studie vor, in der er die Risiken von Reitsport und Ecstasy verglich. Nach der Einnahme jeder zehntausendsten Pille des bunten Aufputschmittels käme es zu einer „nachteiligen Auswirkung“, im Reitsport werde aber bereits nach jeder „dreihunderfünfzigsten Episode“ ein Reiter verletzt, hieß es darin. Sein Fazit – nämlich dass der Lieblingssport der Briten gefährlicher sei als die sogenannte Tanzdroge – wurde von der britischen Regierung zwar heftig kritisiert, doch Nutt ging es um wesentlich mehr: Er fordert eine rationale Drogendebatte. Weit kam er mit seinen extremen Ansätzen allerdings nicht. Als er kurz nach der Veröffentlichung seiner Studie die Entscheidung der britischen Regierung, die Höchststrafe für Cannabisbesitz von zwei auf fünf Jahre zu erhöhen, öffentlich kritisierte, wurde er gefeuert.
Das hielt ihn keineswegs davon ab, sich sofort wieder mit seinem Lieblingsthema – der Missachtung der Wissenschaft in der Drogenpolitik aus politischem Kalkül – zu befassen. Er gründete das „Independent Scientific Committee on Drugs“, eine unabhängige Denkfabrik, und schaltete sich auf diese Weise wieder in die öffentliche Diskussion ein. 2010 machte er mit neuen Erkenntnissen auf sich aufmerksam, basierend auf einer Rangliste der gefährlichsten Drogen, die er mit einer Zahl zwischen 0 und 100 bewertete. Zunächst stellten sich Heroin, Crack und Methamphetamine als die tödlichsten Rauschgifte für User heraus. Doch als Nutt soziale Auswirkungen wie die Zerstörung von Familien und Gesetzesverstöße in seine Überlegungen mit einbezog, führte auf einmal Alkohol die Rangliste der gefährlichsten Drogen an. Psychedelische Pilze und Ecs-tasy hingegen rangierten weit abgeschlagen am unteren Ende der Skala.

Auch in seinem vor zwei Jahren erschienenen Buch „Drogen – ohne heiße Luft“ hat sich der Wissenschafter mit der Frage einer nachhaltigen Drogen- und Gesundheitspolitik befasst. Darin fordert er ein Klassifikationssystem der einzelnen Drogen. Das sei die beste Voraussetzung für wissenschaftlich fundierte Gesetze. Und nur so könnten sich Menschen sachlich über die Vor- und Nachteile individueller Drogen informieren. Dass der tief in unserer Kultur verwurzelte Alkohol dabei schlecht wegkommt, entspricht Nutts tiefster Überzeugung: „Es gibt keine andere Droge, die so viele schädliche Folgen für so viele Organe in unserem Körper hat wie Alkohol“, schreibt er in seinem Buch, dessen „besonnene“ und „erquickend klar denkende“ Art vom einflussreichen „Economist“-Magazin gelobt wurde.
Tatsächlich ist der Schaden groß, den Alkohol anrichtet. Dabei ist die farblose Flüssigkeit, die die berauschende Wirkung ausmacht, eigentlich nur ein einfaches Molekül aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff: C2H5OH. Ihre chemische Bezeichnung lautet Ethanol. Eine legale Droge, die enthemmt, entspannt und häufig auch Durst macht auf noch mehr und sich an einer Vielzahl verschiedener Rezeptoren im Gehirn anlagert und dieses dazu bringt, Botenstoffe auszuschütten, die Glücksgefühle hervorrufen.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bringt Alkohol jährlich 2,5 Millionen Menschen um. Sie sterben entweder durch alkoholbedingte Unfälle oder kommen um durch Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Leberzirrhose. Auch in Österreich ist Alkohol die Volksdroge Nummer eins – mit 1,2 Millionen Österreichern, die, laut Statistik des Anton Proksch Instituts, alkoholgefährdet sind, und 8000 Alkohol-Toten pro Jahr. Das Land wäre somit ein riesiger Absatzmarkt für die Ersatzdroge, die David Nutt entwickelt hat. Viele Einzelheiten über das Medikament waren bisher nicht zu erfahren, doch laut der britischen Tageszeitung „The Guardian“ handelt es sich um abgeleitete Stoffe von synthetischen Benzodiazepinen – das sind Beruhigungsmittel, die Ängste lindern und entspannen.

„Regelmäßiger Alkoholkonsum ist generell nicht sinnvoll“
Das berühmteste Benzodiazepin ist Valium, die erste psychoaktive Substanz, die 1963 auf den Markt kam und das erste Blockbuster-Medikament der Geschichte wurde. Ebenso wie Alkohol wirken Medikamente dieser Art über Haftstellen im Gehirn. Über diese Rezeptoren wird an den Schaltstellen der Nervenzellen die Bremsfunktion der Gamma-Aminobuttersäure (Gaba) verstärkt, und Beruhigung setzt ein. Vor zwei Jahren konnten Wissenschafter von der Universität Wien und der MedUni Wien eine Computermethode entwickeln, die zeigt, wie Benzodiazepine sich an eine bestimmte Bindungsstelle von Gaba-Rezeptoren festsetzen. Diese Bindung ist dann auch für deren beruhigende Wirkung zuständig. Auf Basis dieses Modells soll die Entwicklung weiterer Medikamente ermöglicht werden, die noch gezielter wirken als Valium, aber mit deutlich weniger Nebenwirkungen und eben keinem Suchtpotenzial. Auch David Nutt behauptet, dass sein Wundermittel nicht abhängig mache, daher komme es nicht zu Entzugserscheinungen.

Dennoch bezweifeln Suchtexperten, dass sich das weltweite Alkoholproblem durch David Nutts Chemie-Cocktail lösen lässt. „Wenn man das Mittel als angenehm empfindet, dann verleitet es ja dazu, dass man es wieder nimmt“, warnt etwa Michael Musalek, Leiter des Anton Proksch Instituts. „Wenn diese Substanz gleichzeitig nur über eine kurze Dauer wirksam ist und es entsprechend rasch auch wieder zu einem Abfall kommt, möchte der Konsument diesen Zustand natürlich wiederherstellen. Er wird also mehr davon nehmen; so kommt es erneut zu einer Sucht-entwicklung“, warnt der österreichische Suchtexperte.

Doch egal, was am Ende passiert, eines ist bereits klar: David Nutt hat die Debatte über die Drogenpolitik und den Alkoholkonsum auf ein neues Niveau gehoben. „Egal, wie man es dreht und wendet, regelmäßiger Alkoholkonsum ist generell nicht sinnvoll“, warnt der deutsche Pharmakologe Rainer Spanagel. „David Nutt und seine eher unkonventionellen Maßnahmen haben dieser Diskussion eine zusätzliche Qualität verliehen.“