Säugetiersammlung NHM

Wie Forschende mit Genetik und Cyber-Taxonomie neue Arten entdecken

Am Naturhistorischen Museum in Wien spüren Forschende mit Genetik und moderner Technik neue Spezies auf – und dringen in dunkle Bereiche der belebten Natur vor.

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Mit leisem Ächzen schwingen die Holztüren des alten Kastens auf. Auf den Regalböden stehen dicht gedrängt Fläschchen verschiedenster Größen. Es könnte der Arzneischrank eines Quacksalbers sein, vollgepackt mit Wundertinkturen. Tatsächlich enthalten die Gläser Tausendfüßer. In manchen stecken winzige, mit freiem Auge kaum sichtbare Exemplare, in anderen 20 Zentimeter lange Monster, konserviert in Alkohol. Manche dieser Myriapoden sind harmlos, andere hochgiftig. Sie stammen aus aller Welt, von historischen Expeditionen in exotische Gefilde ebenso wie von Funden aus Österreich, wo es etwa 100 Tausendfüßerarten gibt.

Nesrine Akkari nimmt ein Glas mit einem besonders stattlichen Gliederfüßer aus dem Kasten. Manch ein Präparat liege hier seit mehr als 100 Jahren im Regal, ohne je im Detail untersucht worden zu sein, erklärt die Biologin. Sie selbst hat in den vergangenen Jahren eine Reihe neuer, vormals unbekannter Arten identifiziert und wissenschaftlich beschrieben, darunter einen Tausendfüßer, der vor rund 120 Jahren seinen Weg in die Sammlung fand.

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Nesrine Akkari

Die Biologin am Naturhistorischen Museum in Wien

studiert und bestimmt Tausendfüßer, die teils seit mehr

als 100 Jahren in alten Kästen lagern. Sie benutzt dazu

auch moderne bildgebende Verfahren.

Akkari gehört zu einem Team von Forschenden am Wiener Naturhistorischen Museum, das sich einer wenig beleuchteten Disziplin widmet: der Taxonomie, der Beschreibung der Arten der Natur. Die Taxonomie hat ein verstaubtes Image, wirkt für Außenstehende wie aus der Zeit gefallen, gilt außerdem als wenig kreativ, weil Taxonomen, gleichsam als Buchhalter der Natur, der gängigen Ansicht zufolge bloß ordnen und katalogisieren, statt Neues zu kreieren.

Diesem Eindruck tritt die Wissenschaftergruppe am Naturhistorischen Museum entschieden entgegen, indem sie zeigt, dass dieser Zweig heute nicht lediglich Insektenbeine abzählt. „Taxonomie schafft fundamentales Wissen und ist die Basis für viele andere Wissenschaften“, sagt Akkari, die an der Faculty of Sciences in Tunis studierte und an der Universität Kopenhagen forschte, bevor sie 2014 nach Wien wechselte.

Alwin Schönberger

Alwin Schönberger

Ressortleitung Wissenschaft