25 Jahre Blutgrätschen-Nostalgie

Blutgrätschen-Nostalgie: Legendäre Partie zwischen Rapid Wien und Celtic Glasgow

Jetzt treffen Rapid und Celtic wieder aufeinander

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Aus, vorbei, endlich. Das Match ist abgepfiffen, die Mannschaft schon in der Kabine, nur der Torschütze lässt sich Zeit und trabt zum Kabinengang. Am Spielfeldrand bricht er plötzlich zusammen, niedergestreckt von einem kräftigen Schlag in den Unterleib. Es ist der Abend des 12. Dezember 1984, Rapid Wien hat soeben den schottischen Pokalsieger Celtic Glasgow mit einem 1:0 im Old Trafford Stadium aus dem Europacup geschossen. Ein Celtic-Fan findet das weniger berauschend und lässt den Torschützen (es handelt sich um den jungen Peter Pacult) entsprechend büßen. Pacult ist nicht der einzige Spieler, der in dieser Begegnung Blessuren davonträgt, einer Begegnung, die bis heute legendär ist, nicht nur des Resultats wegen: verprügelte Spieler, Whiskeyflaschen am Spielfeld, Fouls, Protest, Gegenprotest, Betrugsvorwürfe – Rapid gegen Celtic, das war Brutalität. Das ist Brutalität. Nichts ist aus, nichts ist vorbei.

Fast 25 Jahre später, im Sportteil des „Daily Record“: Die schottische Tageszeitung berichtet von der Auslosung zur neu geschaffenen Europa League, welche die brisante Neuauflage der Begegnung bringt: Erstmals treffen Celtic und Rapid wieder aufeinander. Der „Daily Record“ macht die Geschichte mit einem alten Foto von Peter Pacult auf, wie er sich am Spielfeldrand von Old Trafford windet. Daneben ein Kommentar von Frank McGarvey, in den achtziger Jahren Stürmer für Celtic. Er erinnert sich offenbar noch sehr gut an die damalige Begegnung, viel zu gut. „Ich hasse Rapid mehr als jede andere Mannschaft auf der Welt – mit Abstand“, erklärt McGarvey und fährt fort: „Ich kann ihnen das nicht vergeben. Das war der größte Betrug in der Geschichte des Fußballs. Die UEFA hat das zugelassen, aber wenn es nach mir geht, ist Rapid in Glasgow nicht mehr willkommen.“ Es folgen ein paar Worte, die der „Daily Record“ vorsichtshalber hinter Sternchen versteckt hat.

Mythische Figur. Die Ursache von Frank McGarveys Zorn sitzt derweil in einem Schanigarten in Wien-Erdberg, blinzelt in die Sonne und will von der ganzen Angelegenheit „ehrlich gesagt“ nichts mehr wissen. Rudolf Weinhofer, Rapid-Mittelfeldspieler von 1980 bis 1988, vierfacher Meister und Cupsieger, eine Legende in Hütteldorf, eine mythische Figur in Schottland. In Glasgow geht das Gerücht um, Weinhofer lebe als Einsiedler irgendwo in den Alpen. Tatsächlich arbeitet er bei der Wiener Gebietskrankenkasse und besteht darauf, in Ruhe gelassen zu werden. Leider lässt man ihn nicht: „Dauernd rufen irgendwelche Journalisten an und wollen mich interviewen. Natürlich immer während der Arbeitszeit.“ Rudi Weinhofer hat keine Lust auf Interviews. Mit dem 7. November 1984 hat er abgeschlossen.

An diesem 7. November traten Celtic und Rapid im Glasgower Celtic Park zum Rückspiel im Achtelfinale des Europacups der Cupsieger an. Im Hinspiel hatte Rapid den 33-fachen schottischen Meister (die Wiener hielten bei 27 Titeln) durch Tore von Pacult, Hans Krankl und Leo Lainer mit 3:1 besiegt. Der Aufstieg war in Reichweite, aber bei Weitem nicht sicher. Celtic galt als hervorragende Heimmannschaft, was nicht zuletzt an ihrem Publikum lag. 49.000 Zuschauer in Grün-Weiß (Rapid und Celtic tragen dieselben Vereinsfarben) brüllten ihr Team an diesem 7. November nach vorn. Mit Erfolg: Celtic war klar überlegen, die legendäre Rapid-Mannschaft der frühen achtziger Jahre, mit ewigen Helden wie Panenka, Krankl oder Krajncar im Kader und Otto Baric als Trainer, hatte den Schotten nur wenig entgegenzusetzen. Immerhin: Man kämpfte verbissen. Der Gegner kämpfte zurück. Das Spiel wurde härter und härter, der schwedische Schiedsrichter Kjell Johansson verlor zuerst die Übersicht, dann die Kontrolle. Zur Halbzeit führte Celtic 2:0, die Partie stand auf der Kippe, wurde noch hektischer. Aus rustikalen Fouls wurden Blutgrätschen. Dann, die 76. Minute: Rapid-Ersatztorhüter Karl Ehn eilt einem Weitschuss entgegen, hält ihn, aber der schottische Mittelfeldspieler Tommy Burns fährt Ehn gnadenlos in die Parade, trifft ihn mit gestrecktem Fuß am Körper, Ehn verliert den Ball, Burns schießt ein. Aus heutiger Sicht ein klar regelwidriger Treffer, aus der Sicht von Schiedsrichter Johansson aber korrekt und gültig. 3:0 für Celtic, Rapid ist ausgeschieden, noch eine Viertelstunde bis zum Abpfiff. Dann, kurz vor Schluss: Wieder kommen Ehn und Burns gleichzeitig an den Ball, diesmal verpasst Ehn dem Schotten einen Revanchetritt – Elfmeter, heftige Diskussionen am Feld, Tumult auf den Rängen. Plötzlich geht Rudi Weinhofer zu Boden hält sich den Kopf, offenbar von einer Whiskeyflasche getroffen. Weinhofer kann, anscheinend schwer verletzt, nicht weiterspielen, Rapid-Kapitän Krankl drängt auf Spielabbruch. Nach minutenlangen Debatten spielt Rapid unter Protest weiter, Celtic verschießt den Elfer, es bleibt beim 3:0.

Aus, vorbei – zunächst.

„Hölle von Parkhead“. Erschüttert berichtet die Austria Presse Agentur am Tag danach aus der „Hölle von Parkhead“, der ORF bringt eine Studiodiskussion zum Skandalspiel, in der ein sichtlich erhitzter Hans Krankl noch einmal die Gründe für die Niederlage erläutert: „Wir Österreicher werden im Ausland aufs Ärgste benachteiligt. Weil wir im Fußball ein Entwicklungsland sind wie Albanien und Luxemburg und Malta, und so werden wir auch behandelt.“ Diesmal findet das Entwicklungsland ausnahmsweise Gehör: In zweiter Instanz gibt die UEFA dem Protest Rapids statt, das Skandalspiel wird annulliert und am 12. Dezember auf (fast) neutralem Boden in Manchester wiederholt.

„Wir waren über 180 Minuten die bessere Mannschaft, hatten verdient gewonnen, waren aufgestiegen, und dann wurde uns die Partie gestohlen.“ Murdo MacLeod, damals Celtic-Mittelfeldspieler, heute Fußballkolumnist und TV-Kommentator, hat keine besonders schönen Erinnerungen an den Herbst 1984. Nachtragend will er aber nicht sein: „Das ist Vergangenheit, Ende der Geschichte.“ Hugh Keevins, Sportreporter aus Glasgow, formuliert es weniger konziliant: „Für Leute aus meiner Generation wird Rapid auf ewig mit dieser Nacht verbunden bleiben. Celtic ist das Opfer reiner Schauspielerei. Niemand leugnet, dass eine Flasche geflogen ist, aber jeder weiß, dass Weinhofer nicht getroffen worden ist.“

Weinhofer, der Privatmann, enthält sich heute jedes Kommentars, auch seine einstigen Teamkollegen halten sich zurück: „Das ist natürlich ein sensibles Thema für die Schotten“, erklärt Peter Pacult, damals Torschütze, heute Rapid-Trainer. „Aber die UEFA hat am Ende diese Entscheidung getroffen. Wir haben nur unsere Möglichkeiten ausgeschöpft, das kann uns niemand vorwerfen.“ Die neuerliche Begegnung mit Celtic hält Pacult, ganz emotionslos, für „ein sportlich und wirtschaftlich tolles Los für Rapid“. Andererseits: „Die Atmosphäre damals in Manchester war schon unglaublich. Die Celtic-Fans haben unser Hotel belagert und unseren Bus mit allem beschossen, was man sich vorstellen kann. Auf den letzten Metern vor dem Stadion hat uns die berittene Polizei beschützen müssen.“ Das hinderte die schottischen Hooligans freilich nicht an der Verrichtung: Pacult erwischten sie nach dem Schlusspfiff, Torhüter Herbert Feurer schon vorher: In der 65. Spielminute stürmt ein Celtic-Fan aufs Spielfeld und drischt auf Feurer ein. „Ich dachte zunächst, ein Celtic-Spieler attackiert mich“, erklärte Feurer der APA (er traute den Schotten offenbar wirklich alles zu). Der tatsächliche Täter wurde schon am nächsten Tag zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Spiel lief, wie schon jenes in Glasgow, trotz aller Vorkommnisse einfach weiter. Diesmal gewannen aber die Wiener und erreichten im weiteren Verlauf sogar das Europacup-Finale. Ja, es war wirklich eine andere Ära. Peter Pacult will die neuerliche Begegnung mit Celtic denn auch nicht unnötig hochstilisieren: „Für mich ist das nur mehr Nostalgie.“ Für Rudi Weinhofer auch. Trotzdem wird er in den nächsten Tagen noch etliche Anrufe bekommen, die ihn bei der Arbeit stören. Heute jagt er für die Krankenkasse übrigens Krankfeierer und Simulanten. Wenn das nur die Celtic-Fans nicht erfahren. Eine derartige Ironie würde sie wahrscheinlich in den Wahnsinn treiben.

Sebastian Hofer

Sebastian Hofer

schreibt seit 2002 im profil über Gesellschaft und Popkultur, ist seit 2020 Textchef dieses Magazins und zählt zum Kernteam von faktiv.