Lange Leitung

Lange Leitung: Neonazi-Ring in Oberösterreich

Neonazis. Warum schauten die oberösterreichischen Behörden der Bande so lange zu?

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Die Fotos kursierten schon lange im Internet: Einer der drei feisten Burschen trägt ein T-Shirt zu Ehren von „15 Jahre Sturmwehr“; das Shirt des Zweiten ziert eine Ansicht des gefürchtetsten Konzentrationslagers der Nazis: „University Auschwitz, est. 1941“, steht darunter; der Dritte posiert im offiziellen Hemd des Vereins, der in diesem Haus sein Quartier hat: „Objekt 21“. 21 bezieht sich auf die Hausnummer des alten Bauernhofs in Desselbrunn im oberösterreichischen Bezirk Vöcklabruck. Logo des Vereins ist ein Schlagring. 200 Sympathisanten hatte der fragwürdige Klub in seiner besten Zeit.

Die Bilder stammen von einem „Balladenabend“ im September 2010. Ein Jahr zuvor hatten sich die Neonazis in dem der Familie von Filmregisseur Stefan Ruzowitzky gehörenden Haus eingemietet. Seit geraumer Zeit bemühte sich Ruzowitzkys Vater Erich, die schrecklichen Untermieter wieder loszuwerden – bis vor Kurzem vergeblich.

Die nun aufgeflogene Neonazi-Bande – 24 Festnahmen, zehn der Verdächtigen sitzen in U-Haft – sind der bedeutendste Fang seit Langem: Sturmgewehre und ­Maschinenpistolen, Schlagringe, Wurfmesser, abgesägte Flinten und zehn Kilo Sprengstoff wurden in dem alten Gemäuer sichergestellt. Raub, Diebstahl, Nötigung, Körperverletzung, Drogenhandel – in der Desselbrunner Radikalen-Gruppe tummelten sich Kriminelle aller Spielarten. Die Rechtsextremisten stehen auch im Verdacht, im Auftrag von Rotlicht-Größen Konkurrenz-Puffs abgefackelt zu haben. Vor zwei Monaten sollen sie einen Besitzer eines Kleinbordells entführt und mit einer Flex gefoltert haben.

„Wir wissen nichts von Events"
So erfreulich die Dingfestmachung der Truppe ist – den Großteil der Straftaten hat sie quasi unter den Augen der Behörden begangen.
Der Verein „Objekt 21“, der sich im alten Bauernhaus eingemietet hatte, war schon im Frühjahr 2010 mehreren Zeitungen aufgefallen: die germanischen Runen an der Bar im Partyzentrum, der Grillplatz in Form eines NS-Symbols, die Reichskriegsflagge beim Eingang, die mit einschlägigen Tattoos „geschmückten“ Skinheads – kein Zweifel, was hier abging. ­Dennoch führte das Landesamt für Verfassungsschutz (LVT), die frühere Staatspolizei, erst Mitte August eine Hausdurchsuchung durch. Die Tür öffnete ein guter Bekannter: der bereits mehrfach wegen des Verstoßes gegen das Verbotsgesetz vorbestrafte Jürgen W.

Und dann passierte – nichts.

Im Oktober 2010 berichtete die Tageszeitung „Österreich“, das wüste Neonazi-Treiben in Desselbrunn gehe munter weiter. Eine Anfrage des Blatts bei der ­Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck erbrachte wenig: „Wir wissen nichts von Events, wir haben keine Handhabe“, wurde ein Beamter der BH zitiert.

Erst drei Monate später und nach intensiven Recherchen des „Netzwerks gegen Rassismus und Rechtsextremismus“, einer Vereinigung von 67 politischen, kirchlichen und humanitären Organisationen, untersagte die Bezirkshauptmannschaft im Februar 2011 den Verein „Objekt 21“.
Damit war der Spuk aber keinesfalls beendet. Im März 2011 entdeckte der grüne Abgeordnete Karl Öllinger im Internet einen Versandhandel mit Sitz in Desselbrunn unter dem Namen „Nordic Squad“ (Abkürzung: NS), der Nazi-Utensilien vertrieb. Er erstattete Anzeige gegen den im Impressum aufscheinenden Albert E., der, wie sich später herausstellte, den Handel schon seit Jahren betrieben hatte.

Nach einer weiteren Hausdurchsuchung im alten Bauernhaus brachte im Mai 2011 auch das Landesamt für Verfassungsschutz gegen sechs Personen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wels ein.

Und dann geschah wieder nichts.

Nun zog sich auch noch der Verfassungsschutz aus dem Fall zurück. „Aus Sicht des LVT war die Sache abgehandelt“, erklärte ein Sprecher der Landespolizei­direktion Oberösterreich Donnerstag vergangener Woche gegenüber profil.

Daraufhin legten die kriminellen Rechtsradikalen erst richtig los. Die Brandstiftung im Konkurrenzbordell, die Entführung des Puffbesitzers, die Drogendeals: Das alles lief in den folgenden Monaten ab.
Wie konnten die Radikalen jahrelang und praktisch unter den Augen der Behörden ungestört ihr Unwesen treiben? Noch immer liegen die sechs Anzeigen des Verfassungsschutzes aus dem Mai 2011 (!) unerledigt in der Welser Staatsanwaltschaft.

Freunde in der Polizei
Beunruhigend klingt unter diesem Aspekt auch die Aussage des Bauernhof-Vermieters Erich Ruzowitzky in der Sendung „Thema“ vom Montag vergangener Woche: Einer der Rechtsradikalen habe ihm anvertraut, dass seine Gruppe Freunde in der Polizei habe und daher vor einer Hausdurchsuchung gewarnt worden sei, erzählte Ruzowitzky.
In einem profil vorliegenden, einige Tage vor dem Auffliegen des Radikalen-Nestes verfassten Dossier erhebt der als „Datenforensiker“ bekannt gewordene Ex-Kriminalbeamte Uwe Sailer (56) schwere Vorwürfe gegen den oberösterreichischen Verfassungsschutz: Dort seien statt zuvor fünf jetzt nur noch drei Beamte mit dem Problemfeld Rechtsradikalismus befasst. Und zwei der drei hätten selbst enge Beziehungen zur Rechten (ihre Namen sind profil bekannt). Der eine Beamte habe sich öffentlich mehrmals für die Abschaffung des Verbotsgesetzes ausgesprochen und sei „sympathisierendes Mitglied“ der rechten Burschenschaft „Arminia Czernowitz“. Der andere unterhalte freundschaftliche Beziehungen zu Erhard Weinzinger, dem Organisator des „Politischen Aschermittwochs“ in Ried, bei dem H. C. Strache stets noch ein wenig deftigere Worte findet als in der Großstadt. Dieser Beamte habe in kleinem Kreis wiederholt die Grünen als „Linksextremisten“ bezeichnet und gegen Schwule agitiert.
Die beiden Betroffenen wollten auf Anfrage von profil nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen. Es meldete sich allerdings ein Sprecher der Landespolizeidirektion Oberösterreich, der Sailers Angaben pauschal bestritt, auf Details aber nicht eingehen und auch nicht namentlich zitiert werden wollte.

Uwe Sailer war bis 2009 Kriminalbeamter gewesen und hatte als Computerspezialist für den oberösterreichischen Verfassungsschutz gearbeitet, bevor er nach heftigen internen Konflikten den Dienst quittieren musste. Unter anderem wurden ihm seine Kontakte zum grünen Abgeordneten Karl Öllinger vorgeworfen. FPÖ und rechtsradikale Gruppierungen brachten 50 Anzeigen gegen den engagierten Antifa-Rechercheur ein, die allerdings allesamt vor Gericht scheiterten.
Sind die oberösterreichischen Sicherheitsbehörden eine „fünfte Kolonne“ der Neonazis? Das sicher nicht. Dass dem Phänomen Rechtsextremismus aber ausgerechnet in Oberösterreich so lax ent­gegengetreten wird, ist verstörend: In ­keinem anderen Bundesland werden so viele rechtsextremistisch motivierte Straftaten begangen wie im Land ober der Enns (siehe Kasten). Warum das so ist, ­darüber hat Robert Eiter, Sprecher des ­Antifa-Netzwerks, oft nachgedacht: „Ich denke, es gibt hier viele deutschnationale Traditionen, die innerhalb der Familien weitergegeben werden. Dazu kommt die Nähe zu Bayern, wo es ja ebenfalls rege Aktivitäten von Neonazi-Gruppen gibt.“

„Linke Gutmenschen und Hetzkampagnen"
Auch die FPÖ steht in Oberösterreich noch viel weiter rechts als in anderen Bundesländern. Manches aus den blauen Reihen klingt wie aus dem „Völkischen Beobachter“, etwa wenn der damalige FPÖ-Landesparteiobmann Lutz Weinzinger 2008 markig forderte: „Jede blonde, blauäugige Frau braucht drei Kinder, sonst holen uns die Türkinnen ein.“ Weinzingers Nachfolger, der gegenwärtige FPÖ-Obmann und Umweltlandesrat Manfred Haimbuchner, 34, ist schlagender Burschenschafter („Corps Alemannia Wien“) und tat sich als Agitator gegen Arigona Zogaj hervor. Die Abschlusskundgebung vor der vergangenen Europawahl verlegte er in den Zogaj-Wohnort Frankenburg, um dort gegen „linke Gutmenschen und linke Hetzkampagnen“ vom Leder zu ziehen. Der oberösterreichische SPÖ-Obmann Josef Ackerl bezeichnete Haimbuchner einmal als „planmäßigen Rechtsextremisten“.

Noch eine Spur schärfer mag es der Linzer FPÖ-Obmann Detlef Wimmer, 28. Dem Burschenschafter („Arminia Czernowitz“) wurde die Offizierslaufbahn verwehrt, weil er bei Einvernahmen durch das Heeresabwehramt offenbar falsche Aussagen über seine Kontakte zu rechtsradikalen Organisationen gemacht hatte. „Seine Bekundungen lassen die erforderliche Distanz zur Zielsetzung verfassungsfeindlicher Bestrebungen vermissen“, heißt es in der Stellungnahme des Abwehramts. Als der Ring Freiheitlicher Jugend 2010 in Wimmers Wahlkampf Aufkleber mit dem Text „Gemischte Sorte – Zuwanderung kann tödlich sein“ verteilte, erstattete der Chefdirigent des Linzer Bruckner-Orchesters, Dennis Russell Davies, Anzeige.

Wimmers Erfolg tat dies keinen Abbruch. Er puschte die FPÖ in Linz von sechs auf 15 Prozent und ist heute sinnigerweise Stadtrat für Sicherheitsfragen. Der FP-Klubchef im Linzer ­Gemeinderat, Sebastian Ortner, war früher Mitglied der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO), die von einem gewissen Gottfried Küssel geführt wurde.

Unlängst musste er dennoch einen seiner blauen Gemeinderäte zurückpfeifen: Der 76-jährige Horst Übelacker wollte an einem Geheimtreff deutscher Neonazis und Holocaust-Leugner teilnehmen. Und das ging denn doch ein wenig zu weit.

Neonazi-Zwischenfälle in Oberösterreich
In den Jahren 2010 und 2011 wurden nicht weniger als 171 rechtsextremis­tische Delikte verzeichnet. Eine Auswahl:

November 2008: Skinheads stören in Wels eine Gedenkveranstaltung zur „Reichspogromnacht“.

Februar 2009: Das KZ Mauthausen wird mit antisemitischen Parolen beschmiert.

Mai 2009: Jugendliche Täter attackieren Teilnehmer einer Gedenkfeier im KZ Ebensee. Sie werden im Dezember 2010 zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt.

August 2009: Hakenkreuz-Schmieraktion an einer Linzer Kirche. Der Bahnhof von Neuhofen/Krems wird mit Parolen wie „Wir töten Türken“ und „Sieg Heil“ beschmiert.

März 2010: Neuerlich antisemitische Schmierereien in Mauthausen.

Mai 2010: In Ansfelden wird eine Gedenktafel für ermordete ungarische Juden zerstört.

Dezember 2010: Auf einem Linzer Flohmarkt tauchen große Mengen an NS-Devotionalien und NS-Literatur auf.

März 2011: NS-Devotionalien an mehreren Ständen am Flohmarkt in Mauthausen.

Juni 2011: Rechtsextremisten verprügeln in Wels Passanten. Diese werden schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht.

Februar 2012: Brandanschlag auf ein Integrationsbüro der „Volkshilfe“ und auf ein von türkischen Einwanderern bewohntes Haus in Wels: Acht Menschen erleiden Rauchgasvergiftungen.

März 2012: Abermals tauchen auf einem Linzer Flohmarkt große Mengen von Nazi-­Literatur auf.

September 2012: Unbekannte schmieren ein großes Hakenkreuz auf das Dach der Gmundener Eishalle.

Jänner 2013: Die Rechtsradikalen-Bande von Desselbrunn wird gesprengt: 24 Festnahmen, zehn Verdächtige sitzen noch in U-Haft.