Schwarzbrauner September

Zeitgeschichte. Österreichische Neonazis unterstützten Palästinenser-Terroristen

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Von Thomas Riegler

Er war die Al Kaida der siebziger Jahre: Mordkommandos des „Schwarzen September“ verübten 1972 das Attentat auf das israelische Sportlerteam in München, sie erschossen den jordanischen Premier und amerikanische Diplomaten, entführten Verkehrsmaschinen und sprengten ein Tanklager in Triest. Der Terrorismus war zum ersten Mal international geworden und konnte überall zuschlagen. Auch in Österreich.

Hierzulande hatten die Palästinenser merkwürdige Unterstützer: Rechtsextremisten von der Nationaldemokratischen Partei (NDP). 1967 von Norbert Burger gegründet, machte die NDP bis zu ihrer behördlichen Auflösung im Jahr 1988 Stimmung gegen „Überfremdung“ und für ein „deutsches Österreich“. Ihre nationale und ausländerfeindliche Gesinnung hielt zwei NDP-Anhänger aber nicht davon ab, mit arabischen Terroristen gemeinsame Sache zu machen. profil kann diese Allianz erstmals im Detail rekonstruieren – basierend auf bislang geheimen Dossiers der Staatspolizei.

So unterschiedlich ihre politischen Ansichten sein mochten – Österreichs Neonazis und die radikalen Palästinenser hatten ein gemeinsames Feindbild: Israel. Überdies gab es in Österreich damals eine Möglichkeit, dem jüdischen Staat Schaden zuzufügen, weil das Land seit den frühen sechziger Jahren die „Schleuse“ für die jüdische Emigration aus dem Ostblock nach Israel bildete. Bis 1973 hatten rund 165.000 Emigranten den kommunistischen Machtbereich auf diesem Weg verlassen. Viele von ihnen verbrachten einige Tage oder gar Wochen in einem Transitlager der Jewish Agency im Schloss Schönau an der Triesting in Nieder­österreich.

In der arabischen Welt wurde die Einwanderung als demografische Stärkung Israels angesehen, die es zu unterbinden galt. Das brachte den „Schwarzen September“ auf den Plan. Die Organisation war 1971 gegründet worden, um Rache an König Hussein von Jordanien zu nehmen. Dieser hatte Jassir Arafats PLO aus dem Land vertrieben. Heute kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass der „Schwarze September“ keine eigenständige Gruppe war – vielmehr handelte es sich um einen inoffiziellen terroristischen Arm der PLO. An der Spitze stand Arafats Geheimdienstchef Abu Iyad. Das Geld für Operationen kam von Libyens Staatschef Gaddafi.

In Österreich war man sich nach den blutigen Ereignissen bei den Olympischen Spielen in München der wachsenden Gefahr bewusst. Am 20. Jänner 1973 wurden drei Palästinenser im Wiener Hotel Westbahn verhaftet. Langwierige Verhöre ergaben, dass es sich um Angehörige des „Schwarzen September“ handelte und noch drei weitere Kommandomitglieder in Österreich unterwegs waren.

Der Auftrag der beiden Gruppen: Schönau und die dortigen Sicherheitsvorkehrungen auszukundschaften. Sobald die Aufklärung abgeschlossen war, sollte sich der Anführer telefonisch in Beirut melden und ein Codewort durchgeben. Das wäre der Startschuss zur eigentlichen Aktion gewesen: einem Überfall auf das Auswandererlager, um dort Geiseln zu nehmen. Diese sollten als Druckmittel zur Befreiung von in Israel inhaftierten Palästinensern dienen.

Einer der Terroristen gab zu Protokoll:
„Konkret war geplant, dass wir gegen vier oder fünf Uhr in das Lager eindringen und ein entsprechendes Ultimatum bis 16 Uhr desselben Tages stellen.“ Für den Fall, dass die israelische Regierung oder die österreichischen Behörden nicht Folge leisten würden, war beabsichtigt, mit dem Erschießen „einer oder mehrerer Geiseln“ zu drohen. So wollte man das Ausfliegen nach Ägypten oder Libyen erzwingen. „Unser Ziel ist es nicht, Gewalttaten zu vollbringen, doch wird die etablierte Welt erst durch Gewalt wach ­gerüttelt“, erklärte der Palästinenser. Man habe ein österreichisches Ziel gewählt, weil das Land „sowjetischen Juden die Einwanderung nach ­Israel erleichtert“. Zum tödlichen Showdown kam es nie, das Unternehmen scheiterte schon in der Vorbereitungsphase.

Die erste im Hotel Westbahn festgenommene Dreiergruppe hatte bereits am Tag nach der Ankunft in Wien wegen ihrer offensichtlich gefälschten Reisepässe Verdacht erregt. Etwas länger hielten die übrigen drei Männer durch – sie hatten in Privatunterkünften ohne polizeiliche Meldung gewohnt.

Aus den profil vorliegenden Dokumenten geht hervor: Einer der Unterkunftgeber des „Schwarzen September“ war Harald E. – eine Schlüsselfigur der rechten Szene Österreichs.

1967 als gerade Zwanzigjähriger der von ­Norbert Burger gegründeten NDP beigetreten, hatte sich E. an allen Aktionen der deutschnationalen Szene in Südtirol beteiligt. Er war im Gefolge des nach Österreich geflüchteten Georg Klotz, einer Schlüsselfigur des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS), jener Organisation, die zwischen 1961 und 1969 versucht hatte, die Selbstbestimmung „herbeizubomben“. Klotz und sein „letztes Aufgebot“, darunter eine ehemalige KZ-Aufseherin, der Sohn eines kommunistischen Spanienkämpfers und E., wurden 1968 wegen zweier kleinerer Anschläge jenseits des Brenners verurteilt.

In der NDP trat E. als „Sicherheitsbeauftragter“ Norbert Burgers auf. 1970 stand er erneut vor Gericht: Er hatte Ende der sechziger Jahre gemeinsam mit einem NDP-Kameraden ein neonazistisches „Volkspfadfinderkorps“ aufgestellt. Laut dessen Statuten war es das Ziel der Organisation, „eine kernige, markige, disziplinierte Generation zu schaffen, die gegen Amerikanisierung und Verjudung immunisiert ist“. Außerdem wollte man verhindern, „dass der Jude Kreisky Bundeskanzler wird“. Der straff organisierten „Einsatzgruppe“ von etwa 20 Mann stand bemerkenswerterweise eine Räumlichkeit der Wiener ÖVP zur Verfügung. Die NPDler hatten mit ihren Ideen einen ÖVP-„Propagandareferenten“ begeistert. Dieser wollte später vom politischen Hintergrund seiner Schützlinge nichts gewusst haben.

In einer eigenen „Uniform“ – bestehend aus schwarzer Hose, khakifarbenem Hemd, Krawatte und Barett – traf man sich jeden Freitag im ÖVP-Lokal auf der Landstraßer Hauptstraße zu Exerzier- und Waffenübungen. Zwecks „Nervenkitzel“ hisste E. bei einem Pfingstlager der Gruppe 1968 eine Hakenkreuzflagge.

Wegen der Causa zu einem Monat „schwerem Kerker“ verurteilt, wälzte E. danach Auswanderungspläne nach Libyen. Diesbezüglichen Rat holte er sich bei einem Gesinnungsfreund, der schon im arabischen Raum gelebt hatte. Gerhard B., Sohn eines britischen Besatzungssoldaten, hatte bis 1967 als Buchhalter bei BP sowie bei einer Handelsfirma in Benghazi gearbeitet. Zurück in Wien, lernte B. dann über einen ägyptischen UNO-Beamten den Kontaktmann des „Schwarzen September“, einen gewissen „Abu Abed“, kennen. Gemeinsam statteten sie E. einen Besuch ab. So wurde die Zusammenarbeit angebahnt.

Obwohl B. behauptete, seine Bekanntschaft zu „Abu Abed“ sei rein geschäftlich motiviert gewesen, fand man bei ihm Propagandamaterial, das von einem PLO-Büro in Beirut zugestellt worden war. Auch eine Pressedokumentation zu palästinensischen Anschlägen und ein Hetz-„Gedicht“ gegen Nazi-Jäger Simon Wiesenthal wurden sichergestellt. O-Ton des Pamphlets: „Du Schakal. […] Zwanzig Jahre sind vergangen, sei zufrieden, zieh den Strich, sonst entfesselst Du die Wut. Durstig lächst (sic!) das Deutsche Volk ungestillt nach Juden-Blut.“

Harald E. stellte dem Kommando des „Schwarzen September“ für einige Tage eine Wohnung in der Wiener Großfeldsiedlung als Unterschlupf zur Verfügung. Gemeinsam mit „Abu Abed“ versorgte er die Palästinenser, die sich nicht hinauswagten, mit Lebensmitteln. Als sich das Trio nach Auffliegen der im Hotel Westbahn abgestiegenen Gruppe nach Italien absetzen wollte, chauffierte sie der Neonazi in einem Miet-Pkw nach Arnoldstein. Wieder in Wien, versperrte er das zurückgelassene Gepäck in Schließfächern am Flughafen.

Die flüchtigen Terroristen hatten kein Glück: Kurz nach dem Grenzübertritt fielen sie Zöllnern auf – wegen ihrer matschigen Hosen. Wie aus einem Protokoll des Innenministeriums hervorgeht, wollte man der „erstmals festgestellten Verbindung“ zwischen Neonazis und palästinensischen Terroristen auf den Grund gehen, fand aber keine Anzeichen für systematische Kooperation zwischen PLO und Burgers Partei: „Die rechtsextreme Partei NDP dürfte nach unseren Erkenntnissen von dieser Unterstützung durch ihre Mitglieder keine Kenntnis gehabt haben.“ Ein schon eingeleitetes Verfahren gegen Gerhard B. wurde eingestellt. E. wurde 1974 im Zweifel freigesprochen: Er habe nicht gewusst, dass die Araber Terroristen waren. Doch, so sein trotziger Nachsatz, „hätte ich es gewusst, so hätte ich ihnen meine Wohnung ebenfalls zur Verfügung gestellt“.

Harald E. blieb weiter aktiv.
Zwischen 1976 und 1979 war er Führungsmitglied der „Kameradschaft Babenberg“ – einer besonders radikalen Gruppe junger Neonazis, die sich auf dem Bauernhof eines Wiener Kleinindustriellen hartem Drill unterzog: „Karate, Fallschirmspringen, Schießen, Konditionssport, Fußball, militärische Geländeübungen, Motorstaffel und Singen“. E. war aus „Gesundheitsgründen“ schon ausgeschieden, als der Verband 1980 verboten wurde. Im selben Jahr soll er in einer brisanten politischen Affäre seine Hände im Spiel gehabt haben: dem Kauf von Unterstützungserklärungen für die Bundespräsidentschaftskandidatur von NDP-Chef Burger. Abermals freigesprochen, mobilisierte er für die „Ausländer-Halt-Bewegung“ und schrieb Artikel für NDP-Zeitungen.

Die versuchte Geiselnahme durch den „Schwarzen September“ war Österreichs erste Konfrontation mit dem internationalen Terrorismus gewesen. Die Ermittlungen in Sachen „Schwarzer September“ waren nach profil vorliegenden Informationen von ausländischen Geheimdiensten tatkräftig unterstützt worden. Dass vor allem der Mossad an der Aufklärung beteiligt war, blieb den Palästinensern nicht verborgen. Mitten im Verhör sprang einer plötzlich auf und schrie: „Diese beiden (gemeint waren die Dolmetscher) sind schlechte Menschen, österreichische Polizei ist gut, diese beiden sind keine Österreicher, sie sind Israelis.“

In einer hochrangigen Runde unter dem Vorsitz des Generaldirektors für die öffentliche Sicherheit, Oswald Peterlunger, wurde zur brisanten Kooperation mit dem Mossad Geheimhaltung vereinbart: „Es muss versucht werden zu verhindern, dass es bekannt wird, dass israelische Staatsbürger den österreichischen Behörden behilflich waren. Wir seien gewissermaßen gezwungen gewesen, diese Leute zu benützen.“ Ein Sektionschef meinte, dass man die Dolmetscher künftig „ausschalten“ sollte, „um den Israelis nicht zu viel in die Hände zu geben“.

Zu kurzen Haftstrafen und „unbedingter Landesverweisung“ verurteilt, wurden die Palästinenser im März 1973 nach Syrien bzw. Beirut abgeschoben. Wie die „AZ“ anmerkte, wollte Österreich die Terroristen „so rasch als möglich loswerden“. Es hatte bereits Drohungen gegen die Botschaft im Libanon gegeben.

In der Folge unternahm man beträchtliche Anstrengungen, um die Sicherheit der aus der Sowjetunion kommenden jüdischen Auswanderer zu gewährleisten. Zu diesem Zweck wurde die Vorläuferorganisation der heutigen „Cobra“ aufgestellt. Aber schon im September 1973 gelang es zwei Terroristen der syrischen „Saika“ in einem Einwandererzug an der Grenzstation Marchegg tatsächlich Geiseln zu nehmen. Im Austausch für deren Freilassung erklärte Bundeskanzler Bruno Kreisky das Lager Schönau für geschlossen. Der „Transit“ ging aber ungebrochen weiter.

Als der Bundeskanzler 1975 erstmals Libyens Staatschef Gaddafi traf, erklärte dieser mit drohendem Unterton: „Jeder, der die Immigration zulässt […], nimmt am Krieg gegen die Palästinenser teil und ist ein Kriegsverbrecher.“ In den darauffolgenden Jahren versuchte Kreisky mit seiner Nahostpolitik, das Terrorrisiko präventiv zu entschärfen – etwa durch den Aufbau guter Beziehungen zur PLO. Auch wenn Österreich in den achtziger Jahren wieder Schauplatz des internationalen Terrors wurde, gab es keine weiteren Anschläge gegen jüdische Emigranten. Der „Schwarze September“ bestand zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr: Er hatte sich Ende 1973 aufgelöst, kurz vor Arafats Auftritt in der UNO-Vollversammlung.


Thomas Riegler ist Historiker in Wien. Zuletzt erschienen: „Im Fadenkreuz. Österreich und der Nahostterrorismus“ (2010).