Lost in Traiskirchen

Andreas Babler hat einen unmöglichen Job: Er ist Bürgermeister von Traiskirchen

Porträt. Andreas Babler hat einen unmöglichen Job: Er ist Bürgermeister von Traiskirchen

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Die Parteisitzung hat länger gedauert. Als Andreas Babler, 42, das Sakko über die Schulter geworfen, die Ärmel seines weißen Hemds aufgekrempelt, ins Büro zurückkommt, hat sich bereits die Beschaulichkeit des Feierabends über das Rathaus von Traiskirchen gesenkt. Vor der Glastür mit dem eingravierten Stadtwappen wartet ein Graffiti-Sprayer mit tiefergelegtem Hosenboden. Er bekommt zehn Minuten, um dem Bürgermeister zu zeigen, wie das Sportzentrum aussehen soll, wenn er mit der Fassade fertig ist. Die Sache ist im Nu besiegelt.

Einst stand Traiskirchen für Semperit und Blaschke-Kokoskuppeln. Inzwischen steht es nur mehr für das Flüchtlingslager. Es ist ein unmögliches Amt, hier Bürgermeister zu sein. Doch Andreas Babler wollte das. „Schau, ich gehe auf die 60 zu, irgendwann könntest du die Geschicke der Gemeinde lenken.“ Mit diesen Worten hatte ihm Altbürgermeister Fritz Knotzer vor Jahren den Job des Sekretärs angetragen, und seinen eigenen Sessel gleich dazu. Bevor er darauf Platz nahm, beriet er sich mit seiner Freudin Karin Blum, die in Innsbruck die erste rote ÖH-Vorsitzende der Nachkriegsgeschichte und jüngste SPÖ-Gemeinderätin war. Sie wurde später seine Frau und zog zu ihm nach Traiskirchen.

„Ganz praktisch und direkt“
Babler verdiente deutlich weniger, als er als junger Maschinenschlosser beim Wasserabfüller Vöslauer bekam. Doch Knotzer hatte ihm das Amt schmackhaft gemacht. Es ging um Traiskirchen, wo Babler als Arbeiterkind in den Semperit-Bauten groß geworden war. Es ging um die Jobs, die im Reifenwerk verloren gegangen waren, um die Flüchtlinge, die kamen und gingen, so wie die Innenminister. Babler hatte über Marx und die Welt ein bisschen nachgedacht. Noch heute bescheinigen ihm Wegbegleiter beachtliche Theoriefestigkeit. Er wollte nun etwas verändern, „ganz praktisch und direkt“. Zumindest wollte er es versuchen.

Vergangenen Mittwoch macht sich Babler im verwaisten Vorzimmer am Kaffeeautomaten zu schaffen. Der Tag hatte mit Brandschutzbestimmungen für das überfüllte Flüchtlingslager begonnen. Es waren betagte Geburtstagskinder zu ehren und Babypakete zu verteilen, dazwischen fielen Telefonate und immer neue Schlagzeilen zum Gezerre zwischen Bund und Ländern an: Kasernen, Rot-Kreuz-Zelte, Krisengipfel, die Innenministerin will Bundesheer an den Grenzen. Auf Bablers wuchtigem Besprechungstisch stapeln sich Papiere, ein rosafarbenes Sackerl ragt heraus. Es enthält ein Geschenk für seine Tochter, die vor einer Woche auf die Welt kam. Die Feuerwehrübung am Abend, für die er sich auch noch angesagt hat, wird sich heute nicht mehr ausgehen.

Seit fünf Monaten ist Babler im Amt. An seiner Pinnwand hängen ein Zeitungsbericht über den „streitbaren Bürgermeister“, ein Wimpel des Hamburger Fußballklubs St. Pauli, Fotos, ein Zettel: „Irgend jemand muss den Job ja machen.“ Beim Bundesparteitag vor zwei Jahren in St. Pölten hatte er den SPÖ-Schwenk in der Frage der Wehrpflicht angeprangert – er habe zu einem „tiefen Riss in der Sozialdemokratie“ geführt, es mangle an demokratischer Kultur – und damit den Nerv der Basis getroffen. Nicht einmal 84 Prozent der Delegierten gaben Parteichef Werner Faymann ihre Zustimmung. Der Rekord an Streichungen, den bis dahin Fred Sinowatz gehalten hatte, war damit eingestellt: Sinowatz war 1987 auf „nur“ 88 Prozent gekommen.

Im November tagt die Bundespartei erneut, und die SPÖ-Spitze fühlte in Traiskirchen bereits vor, worauf sie sich dieses Mal einzustellen habe. Auch für Journalisten gilt Babler als erste Adresse, wenn SPÖ-Kritiker aus den eigenen Reihen gefragt sind. Doch ihn nervt es, wenn von seiner Sorge um die Partei oder seiner Kritik daran, dass Asylwerber nicht arbeiten dürfen, in den Schlagzeilen nur „Angriffe“ auf Kanzler Faymann oder Sozialminister Hundstorfer übrig bleiben: „Man gilt schon als Rebell, wenn man normale Positionen der Sozialdemokratie vertritt, nicht einmal besonders links oder radikal. Ich sage weiter, was zu sagen ist. Für Partei-Bashing stehe ich nicht zur Verfügung.“

Dafür liegt ihm zu viel an der Bewegung, deren Anliegen so schwer darzustellen seien, seit ruchlose Fabrikanten von schwer greifbaren Aktiengesellschaften und Finanzgebilden abgelöst wurden: „Es geht immer noch um Arbeit, Pensionen, Wohnungen, die man sich leisten kann, Gesundheit, Zugang zu Bildung, Umverteilung.“ Im gesellschaftspolitischen Forum der Arbeiterkammer diskutiert Babler über die Folgen der Finanzmarktkrise: „Wenn man die Gesellschaft gerechter machen will, muss man die wirtschaftlichen Zusammenhänge verstehen.“ Als er noch mehr Zeit hatte, war er als Referent viel gebucht.

Roter mit Rückgrat
Dieser Tage aber dreht sich wieder einmal alles um das Flüchtlingslager, im Großen wie im Kleinen. Wenn sich Asylwerber im Supermarkt eine Flasche Schnaps kaufen und am Spielplatz dann im Erbrochenen liegen, rufen die Traiskirchner ihn an, den Bürgermeister. Er könne ihnen nicht sagen: „Ihr irrt euch, das ist nicht so.“ Stattdessen sagt er, dass nicht alle Flüchtlinge Probleme machen und es mehr Betreuung braucht. Es ist eine Gratwanderung, bei der Knotzer manchmal ausrutschte. 2005 hatte der Altbürgermeister in einem „ZiB 2“-Interview gesagt, er habe kein Problem mit dem Wort „Neger“, wenn es um Dealer gehe. Das blieb an ihm haften, zu Unrecht, wie Babler meint: In Wahrheit habe sein Vorgänger eine Politik vorgelebt, die sich nicht gegen die Leute richtet, die mit Plastiksackerln flüchten, sondern gegen jene, die für Massenlager verantwortlich sind: „Das ist auch meine Linie.“

Vergangene Woche redete Babler dem Gemeinderat – unter ihnen drei FPÖler – ins Gewissen, mit Flüchtlingen keinen Wahlkampf zu treiben. 2015 werden in Niederösterreich die Gemeinderäte neu gewählt. Manchem NGO-Vertreter ist Babler zu sehr Lokalpolitiker. Etwa, wenn er fordert, es dürften nicht mehr als 150 Flüchtlinge an einem Ort untergebracht sein. Dafür angreifen will ihn niemand. Tenor: Immerhin, er hört zu, man kann mit ihm streiten, rassistische Ausfälle wird man bei ihm nicht erleben. Er gilt als Roter mit Rückgrat.

Gemeinsam mit Andreas Kollross, heute Bürgermeister der Nachbargemeinde Trumau, rückte er die Sozialistische Jugend (SJ) in Niederösterreich seinerzeit an den linken Flügel heran, der sich in Oberösterreich entfaltet hatte. Über Bundesländergrenzen hinweg richtete man Marxismus-Schulungen und Sommersportfeste aus. Unter Babler & Co schossen Ortsgruppen aus dem Boden. Es gehört zu den nachhaltigen Meriten Bablers, dass die SJ wieder an außerparlamentarischen Strömungen anknüpfen konnte. Den Anschluss an alles, was sich außerhalb der Partei bewegte, hatte sie damals längst verloren.

Bablers weit über SJ-Zirkel hinaus gespannten Netzwerke verdanken sich dieser Zeit. In der Friedensbewegung traf Babler auf den evangelisch sozialisierten Grünen Niki Kunrath oder den katholischen Sozialisten Alois Reisenbichler. 1996 nützte er ein Festival der Internationalen Union der Sozialistischen Jugend (IUSY), um hunderte Jungsozis in Bussen vor das deutsche Continental-Hauptquartier zu karren. Dort erzählten sie Journalisten, die von der kleinen Stadt Traiskirchen nie gehört hatten, wie Standorte gegeneinander ausgespielt werden. Bablers Vater hatte es bei der Conti-Tochter Semperit in die Pension geschafft. Viele seiner Kollegen standen auf der Straße.

2002, bei den verzweifelten Protesten gegen die endgültige Schließung des Werks, sah Babler seinen Amtsvorgänger zu Heldenformat auflaufen: „Knotzer ist auch dann zu den Arbeitern gegangen, als es nur mehr schlechte Nachrichten zu überbringen gab.“ Das imponierte dem gelernten Maschinenschlosser. Manchmal trifft Babler die Weggefährten im eigenen Heurigen im Zentrum von Traiskirchen, wo seine Frau und er ein paar Mal im Jahr den Wein ausschenken, den sie auf 0,8 Hektar kultivieren. Auf ihrer Website zitiert das Nebenerwerbs-Winzerpaar Babler-Blum den Sänger Konstantin Wecker: „Wer nicht genießt, ist ungenießbar.“

In den weinseligen Runden können Sätze fallen wie: „Die SPÖ muss die soziale Frage wieder besetzen. Da gehört die Vermögenssteuer dazu, aber auch die Migration.“ Bis es so weit ist, ficht Babler für seinen Fünf-Punkte-Plan für eine gerechte Aufteilung der Flüchtlinge, für mehr, aber kleinere Aufnahmezentren, höhere Tagsätze und Qualitätsstandards. Für Überraschungen bleibt er schon deshalb gut, weil er sich immer noch nicht verbiegen will. Das sagen seine Freunde, das fürchten seine Kritiker. Der Befund freut ihn: „Ich bin mir sicher, wenn man die SPÖ an ihre humanistischen Verpflichtungen erinnert, traut sich auch am Parteitag kein Delegierter dagegen aufzuzeigen.“ Man wird Babler nicht entlocken, was er – außer Bürgermeister – sonst noch gerne wäre. Aber bei Reformen, da sei er „jederzeit dabei“.

Bild: Florian Rainer für profil

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges