Sozialminister Alois Stöger: "Die Branche sollte sich auch überlegen, warum ein Viertel der Lehrlinge, die sich für die Gastronomie entschieden haben, die Ausblidung wieder abbricht."

Sozialminister Stöger: "Großer Nachholbedarf bei Integration"

Sozialminister Alois Stöger über die wachsende Zahl an freien Jobs in der Gastronomie und Integrationsprobleme am Arbeitsmarkt.

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profil: Wie ist die paradoxe Situation zu erklären, dass bei Rekordarbeitslosigkeit immer mehr Wirte über Personalmangel klagen? Alois Stöger: 73 Prozent der Stellen im Tourismus, die beim AMS gemeldet werden, sind schon nach einem Monat besetzt. Aber natürlich ist die räumliche Distanz zwischen Arbeitslosen und der Arbeitsstätte eine Herausforderung. Saisonbeschäftigte bekommen vielleicht einen Job in irgendeinem Tal, aber der Lohn ist so niedrig, dass ein Wechsel des Wohnortes mit Familie schwierig ist. Bei einer kurzen Saison ist die Frage, wie man hinkommt und den Lebensmittelpunkt verlagert, schwerer zu beantworten als in einer Jahresbeschäftigung.

profil: Ist es jungen Arbeitslosen ohne Familie zuzumuten, ein paar Monate im Jahr in Tirol zu arbeiten? Stöger: Es kommt immer auf den Einzelfall an, ob es zumutbar ist oder nicht und wie sich die Arbeit auf die weiteren Chancen am Arbeitsmarkt auswirkt. Und natürlich muss die Qualifikation mit dem Job-Profil übereinstimmen. Nicht jeder funktioniert sofort im Tagesablauf des Betriebes. Da braucht es Einschulungszeiten.

profil: Es gibt auch einfache Gastro-Jobs. Und es gibt Arbeitsplätze, die für Tagespendler erreichbar wären. Sollte Arbeitslosen mehr als eine Stunde Fahrzeit zum Arbeitsplatz zugemutet werden? Stöger: Die Wegstrecken sind Richtwerte. Das kann auch deutlich mehr sein. Eine Diskussion darüber, was Arbeitslosen zumutbar ist, halte ich außerdem gerade im Dienstleistungssektor für falsch. Dort brauche ich Personal mit der richtigen Qualifikation, das gut mit Kunden umgehen kann. Darum muss ich mich bemühen. Die Branche sollte sich auch überlegen, warum ein Viertel der Lehrlinge, die sich für die Gastronomie entschieden haben, die Ausbildung wieder abbricht. Die Bauwirtschaft hatte vor 20 Jahren ein Nachwuchsproblem und reagierte mit überbetrieblichen Bauhöfen und mehr Geld für Lehrlinge. Vielleicht müssten sich auch die Betriebe im Gastgewerbe zusammentun, um die Ausbildung zu stärken. In der Gastronomie wird sich aber immer die Frage stellen, wie gehe ich damit um, dass andere feiern, während ich arbeite.

Wer geringfügig arbeitet, muss wie jeder andere Arbeitslose auch eine Vollzeitstelle annehmen, wenn es eine gibt.

profil: Die Arbeit am Wochenende und Abend wird die Branche kaum abschaffen können. Stöger: Ich mute es Arbeitnehmern ja zu. Aber die Frage ist, wie flexibel ist die Branche, um in dieser Zeit Kinderbetreuung und genügend Zeit mit der Familie sicherzustellen. Flexibilität wird ja gerne nur von Arbeitnehmern verlangt.

profil: In Weiden am See gibt es ein Fisch-Restaurant, das seit Monaten verzweifelt Mitarbeiter fürs Wochenendgeschäft sucht. Nach Wien sind es mit dem Auto 45 Minuten. Dort ist fast jeder dritte junge Mann arbeitslos. Stöger: Gerade im städtischen Bereich haben Arbeitslose nicht immer ein Auto. Da bin ich vorsichtig. Ich würde die Frage aber dem Wirten stellen. Was hat er gemacht, um die Leute einzuladen?

profil: Er hat sich beim AMS gemeldet. Von dort kommt nichts. Stöger: Das ist genauso zu wenig, wie Arbeitslose, die nur stempeln wollen und sich nicht bewerben.

profil: Der Fischbrater müsste sich selbst in Wien-Favoriten nach Personal umsehen? Stöger: Das kann nicht schaden. Ich muss aktiv Leute holen und ihnen gute Arbeitsbedingungen und Löhne, von denen man leben kann, bieten.

profil: Nicht wenige Arbeitslose aus der Gastronomie arbeiten nebenbei geringfügig. Vielleicht ist der Abstand zu den Vollzeitlöhnen einfach zu niedrig? Stöger: Wer geringfügig arbeitet, muss wie jeder andere Arbeitslose auch eine Vollzeitstelle annehmen, wenn es eine gibt. Man kann aber natürlich die Höhe der Löhne wie auch die Arbeitsbedingungen nicht außer Acht lassen.

Wenn ich alles Schwarz-Weiß sehe, werde ich die bunten Wiesen nie erkennen.

profil: Migranten aus der Türkei oder Ex-Jugoslawien sind überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Warum arbeiten nicht mehr von ihnen in klassisch-österreichischen Restaurants und Hotels statt der vielen Ungarn und Deutschen? Stöger: Das hat auch damit zu tun, wie wir mit Vielfalt umgehen. Wenn sie in eine fremde Stadt fahren und sie haben Kontakt mit jemandem, der ihre Sprache und Kultur versteht, tun sie sich leichter. Das ist ein normales menschliches Verhalten. Wenn ein Gastwirt Personal aus dem Ausland hat, könnte er die Speisen, die der Mitarbeiter von daheim mitbringt, auf die Speisekarte nehmen.

profil: Also Kebab auf der Alm? Stöger: Warum nicht, als Ergänzung zu Gulasch und Germknödel?

profil: Ist das nicht ein Integrationsversagen, wenn kulturelle Unterschiede bei Menschen, die in Österreich geboren sind, bei der Arbeitsuche noch immer eine Rolle spielen? Stöger: Es ist unbestritten, dass Österreich bei der Integration einen großen Nachholbedarf hat.

profil: Wie meinen Sie das? Stöger: Es mangelt an Offenheit, mit der wir auf Leute aus anderen Kulturen zugehen. Da wurden in der Vergangenheit leider viele Fehler gemacht. Es gibt Bereiche, wo wir jungen Menschen nicht genügend gefördert haben. Manche Jugendliche haben wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang kaum Wertschätzung erfahren. Das hat Folgen, auch für ihre Chancen am Arbeitsmarkt. Dieses Nicht-Wertschätzen müssen wir durchbrechen. Aber das geht nicht, wenn man noch rigider ist. Die Gastronomie-Branche muss sich stärker engagieren, so wie es aktuell die Hotelier-Vereinigung tut.

profil: Vielleicht fehlt den Jugendlichen auch die Motivation. Auf die Frage nach dem Berufswunsch gibt es in urbanen Brennpunktschulen nicht selten „AMS“ zur Antwort. Stöger: Wenn Schüler für das AMS ausgebildet werden, ist das ein Problem. Wenn junge Menschen am Ende der Schulpflicht nicht lesen und schreiben können, hat das Schulsystem versagt. Punkt. Wenn ich will, dass Migranten gut lernen, muss ich mich auf ihre Kulturen einlassen. Das ist Beziehungsarbeit. Das darf man nicht außer Acht lassen.

profil: Wie weit kann sich der Staat auf andere Kulturen einlassen? Bei der türkischen Community gibt es eine Debatte, ob sie mit dem Kopf noch zu stark in der Türkei lebt. Stöger: Am Arbeitsmarkt müssen wir jene stärken, die gut integriert sind. Wenn ich alles Schwarz-Weiß sehe, werde ich die bunten Wiesen nie erkennen.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.