Ein Sturm zieht auf: Die FPÖ und das gespaltene Land

Ein Sturm zieht auf: Die FPÖ und das gespaltene Land

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Ein Sturm zieht auf. Ein Trupp zieht ein. Vorneweg Heinz-Christian Strache, dicht an seiner Seite Johann Gudenus, umstellt von Männern eines privaten Sicherheitsdiensts, dahinter Fotografen und Kameraleute. Der Pulk schiebt sich langsam durch den Festsaal des Wiener Rathauses. Es ist Sonntag, 18.10 Uhr, und die Enttäuschung steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Noch kurz zuvor war im Festzelt der Freiheitlichen vor dem Rathaus die Stimmung auf dem Siedepunkt gewesen. „Die Stunde der Wahrheit“, hatte John Otti von der gleichnamigen blauen Hausband in die Menge geschrien, die HC-Strache-Schals schwenkend auf die erste Hochrechnung wartete. Dann erst einmal Stille. Nichts ist es geworden mit dem „blauen Wunder“. Der Abstand zur SPÖ beträgt mehr als acht Prozentpunkte. Damit hatten sie nicht gerechnet.

Ursula Stenzel ist in dieser Stunde nicht an Straches Seite zu sehen. Sie hat ihre Schuldigkeit getan. Nach Wahltags-Umfragen hat sie der FPÖ ein bis zwei Prozentpunkte gebracht. Im Wahlkampf war sie noch neben Strache auf Tribünen auf Marktplätzen gestanden, lebendes Symbol für die neuen Zeiten, in denen Bürgerliche sich nicht schämen sollen, die Strache-Partei zu wählen, wie Stenzel meint. Sie wird fortan ein Schattendasein im Gemeinderat führen.

Es ist eine kleine und verschworene Clique, die diese bizarre und gefährlich erfolgreiche Kampagne ausgeheckt hat. Diese Clique fieberte bis zuletzt merkbar darauf hin, dass etwas explodiert, das sie an die Macht bringen würde. Jede kleinste Meldung war gut genug: Flüchtlinge, die sich prügelten, die Essen wegwarfen, die an Ruhr erkrankten. Faustdicke Lügen über Asylwerber, die Supermärkte ausraubten, über das, was sie angeblich alles vom Staat bekommen, wurden auf Straches Website verbreitet. Im Finale des Wahlkampfs wurde es besonders niederträchtig: Flüchtlinge wurden im Stakkato als „dschihadistische Massenmörder“ vorgestellt. Strache stellte die rhetorische Frage, was die vielen jungen Männer denn wohl tun würden, wenn sie keine Frauen kriegten. Wie ein Lottospieler, der den Jackpot schon vor sich hat, fehlte ihm noch der ganz simple Zufall der Geschichte. Doch die deutschen Grenzen blieben offen.

Strache hat in diesem Wahlkampf das Land gespalten wie kein anderer zuvor. Seinen Anhängern hat er nicht weniger als die Erlösung versprochen und ein Ende der „Fremdherrschaft“.

Strache hat in diesem Wahlkampf das Land gespalten wie kein anderer zuvor. Seinen Anhängern hat er nicht weniger als die Erlösung versprochen und ein Ende der „Fremdherrschaft“. – „Mit uns bist du ein Gewinner“, hieß es in einem blauen Werbevideo. 31,0 Prozent lautet das vorläufige Endergebnis bei Redaktionsschluss (inklusive der Wahlkartenprognose). Was aber tun jetzt diese „Gewinner“?

Straches Clique sei im Grunde froh darüber, dass es diesmal noch nicht für den ersten Platz gereicht hat, glaubt der rechtsnationale Historiker Lothar Höbelt. Jetzt könnten sie weiter radikale Oppositionspolitik betreiben. Man erzählt: Vor nichts hätten sie mehr Angst gehabt als vor Koalitionsverhandlungen, dem politischen Tauschgeschäft und der peinlichen Frage nach den Versprechen, die sie im Wahlkampf gegeben haben: Jobgarantien für Gemeindebedienstete, 15.000 neue Gemeindewohnungen, Gratis-Parkpickerl, mehr Polizisten, höhere Gehälter und Ähnliches – das hätte das Stadtbudget gesprengt.

Doch die FPÖ hat kein Problem mit gebrochenen Versprechen. Sie wird nicht bewertet wie andere Parteien im demokratischen Spektrum. Die Strache-Partei gleicht vielmehr einer Bewegung, die ins Stocken gerät in Zeiten der Langeweile und aufblüht in Zeiten der Unruhe.

Strache ist ein schlichtes Gemüt im Vergleich zu Haider, dem Rechtsintellektuellen, der die Medien mit kalkulierten Provokationen auf Trab hielt.

Schon Straches Vorgänger Jörg Haider hatte einmal – in einer Rede in der Hofburg – mit dem Begriff „Revolution“ gespielt. Haider meinte damals augenzwinkernd, das Establishment solle nicht nervös werden, es sei nicht notwendig, in diesem Lande eine Revolution zu machen. Die FPÖ komme auch so an die Macht. Bei Haider war immer noch ein Schuss Ironie dabei, bei Strache nicht. Strache ist zwar die beste Haider-Kopie, die man sich denken kann – Modulation der Stimme, Gestik, Fotos mit nacktem Oberkörper, selbst Wahlkampfhits („Willst du eine Gemeindewohnung haben, musst du ein Kopftuch tragen“) hat er übernommen –, doch die Kopie funktioniert nur, weil es ein interessantes Original gab.

Strache ist ein schlichtes Gemüt im Vergleich zu Haider, dem Rechtsintellektuellen, der die Medien mit kalkulierten Provokationen auf Trab hielt. „Strache verfügt nicht über die intellektuelle Bandbreite“, urteilte einmal der FPÖ-Historiker Höbelt. Das Wahlergebnis ist eine Zeitenwende. So ist ernst zu nehmen, dass Strache ein „Ende der Fremdherrschaft“ über Wien propagierte und eine Erlösung vom Flüchtlingsproblem in Aussicht stellte. Es ist beunruhigend, dass ihm der ungarische Premier Viktor Orbán als Vorbild dient und er im autoritären russischen Präsidenten Wladimir Putin einen „reinen Demokraten“ sieht. Nach Ansicht des Schriftstellers und Essayisten Franz Schuh läuft das auf eine „Orbánisierung“ der Politik hinaus – „eine Demokratie mit autoritären Zügen: die ,illiberale‘ Demokratie.“

Strache kommt aus dem äußersten rechten Spektrum, aus dem Umkreis von Neonazis. Darüber hat er die Öffentlichkeit, solange es ging, belogen, immer nur peu à peu zugegeben, was man ihm nachweisen konnte.

Strache geht über den Rechtspopulismus hinaus, auch wenn es bisweilen aussieht, als sei er in die Mitte gerückt. In einer SPÖ-Wahlkampfbroschüre, die kaum wahrgenommen wurde, steht: „Die FPÖ ist gefährlich, weil sie gefährliche Inhalte vertritt. Sie ist brandgefährlich, weil ihr Zynismus gegenüber Migranten und Flüchtlingen nicht zu überbieten ist, weil sie Nazi-Gedankengut in den eigenen Reihen zur Bierzelt-Gaudi verharmlost.“ Im Gemeindebau haben solche Argumente keinen Menschen überzeugt. Doch nicht nur dort, sondern ganz allgemein hat sich die FPÖ in den vergangenen Jahren erfolgreich immunisiert, indem sie Begriffe wie ­„Gutmensch“ und „Faschismuskeule“ gegen die Kritiker richtete.

Während seiner Lehrjahre war Strache Stammgast auf der Bude der Pennälerverbindung „Vandalia“, die einen so radikalen Ruf hatte, dass andere Burschenschaften nichts mit ihr zu tun haben wollten.

Strache war schon in jungen Jahren politisiert worden. In der Schule war es nicht so gut gelaufen, der Vater, ein Lebemann, der die Familie bald verließ, hatte noch am Wiener Lycée maturiert und war dann als Reiseleiter durch die Welt gezogen. Der Junior aber lernte das Handwerk des Zahntechnikers und holte die Matura in einer Abendschule nach. Während seiner Lehrjahre war Strache Stammgast auf der Bude der Pennälerverbindung „Vandalia“, die einen so radikalen Ruf hatte, dass andere Burschenschaften nichts mit ihr zu tun haben wollten. Man focht dort mit Gesichtsschutz. So blieb Strache von hässlichen Narben verschont, doch nicht von der Welt des Rechtsradikalismus. In diesen Kreisen lernte er den derzeit einsitzenden notorischen Neonazi Gottfried Küssel kennen und andere Alt- und Jung-Nazis. Strache nahm auch an einer der berüchtigten Wehrsportübungen von Küssel teil. In solchen Trainingslagern wurde – wie durch Videoaufnahmen später bekannt geworden – vorgeführt, wie ein Gegner durch Genickstich lautlos zu erledigen wäre.

„Entsetzlich“ sei das gewesen, und er sei früher heimgefahren, sagte Strache später gegenüber den Journalistinnen Nina Horaczek und Claudia Reiterer („HC Strache“. Ueberreuter-Verlag, 2009). Damals, 2009, waren Fotos von Straches „Gotcha-Spielen“, wie er Wehrsportübungen mit Knüppel und Paintball-Pistolen verharmlosend nannte, in Umlauf gekommen. Auch Fotos, auf denen er einen verschämten Hitlergruß macht, Fotos, die ihn unter Anhängern des britischen Holocaust-Leugners David Irving zeigen, waren damals aufgetaucht.

Straches Facebook-Site bietet eine wilde Mischung aus antikapitalistischen, antisemitischen und rechten Verschwörungstheorien.

Später, als Bezirksrat der FPÖ, wollte Strache das Schächten, die rituelle Tötung von Tieren nach muslimischen und jüdischen Glaubensvorschriften, verbieten lassen. Er forderte, Gastarbeiterfamilien keine Aufenthaltsbewilligungen mehr zu erteilen und sprach im Gemeinderat gegen die „drohende Überfremdung“. Das war in den 1990er-Jahren. Da hatten Strache und seine Freunde Johann Gudenus und Niklaus Amhof schon eine rechte Phalanx in der FPÖ organisiert, um die Altliberalen in der Wiener FPÖ auszuhebeln. Die rechten Umtriebe blieben weitgehend unbeachtet. Im Jahr 2004 entschied das Oberlandesgericht Wien in einem Prozess, den Strache wegen eines Artikels in profil angestrengt hatte, man könne ihm „eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut“ nachsagen.

Das war gestern. Heute sind es irrationale Welterklärungsmuster, bei Rechtsradikalen und Linksradikalen gleichermaßen beliebt. Unter Politikern ist Strache der Facebook-König. Auf seiner Site finden sich jede Menge Hasspostings, die oft nur von „Freunden“ oder vom Poster selbst eingesehen werden können, wie die Facebook-Gruppe „Heimat ohne Hass“, die das rechte Treiben im Netz beobachtet, berichtet. Straches Site bietet eine wilde Mischung aus antikapitalistischen, antisemitischen und rechten Verschwörungstheorien. Auf der Website des FPÖ-Bildungsinstituts wird etwa das Buch „Das Verschwinden der Europäer“ beworben. Demnach werde Europa bald eine „Kolonie Afrikas“ sein. Zwei, drei Klicks weiter ist man bei den „Ufologen“, die glauben, eine diabolische Elite in den USA wolle Europa durch „Überflutung“ von Ausländern schwächen; bei der „Rothschild-Flüchtlingsindustrie“. Man könnte das alles als verrückt abtun, doch in seinen öffentlichen Auftritten lässt Strache Anklänge an diese Welt erkennen.

Man könnte das als private Spinnerei abtun, wenn es sich nicht um den Chef einer Partei handelte, die nach Umfragen auf Bundesebene bereits die stärkste Partei ist.

Man habe den Eindruck, die Amerikaner wollen Europa bewusst destabilisieren, sagte Strache im Wahlkampf. Er will nicht ausschließen, dass es „Chemtrails“ gibt: geheim ausgebrachte Chemikalien in Kondensstreifen, die die Menschheit manipulieren. Strache verbreitet auf Facebook selbst dubiose Mitteilungen über Chemtrails, Kornkreise und Schauergeschichten über die „Bilderberger“, jene handverlesene Elite aus Politik und Wirtschaft, die sich einmal im Jahr zum Gedankenaustausch trifft. „Manches, was als Theorie abgetan wird, ist gelebte Praxis“, sagte Strache dazu in einem „News“-Interview.

„Hoffentlich stehen wir nicht unmittelbar vor dem Beginn eines großen Krieges“, schrieb Strache im März 2014 auf Facebook und berief sich dabei auf den Verschwörungstheoretiker Gerhard Wisnewski, der die Ansicht vertritt, es werde ein geheimer Krieg gegen Putin geführt, der Anschlag auf das WTC sei von den USA selbst inszeniert worden, den Klimawandel gebe es nicht und auch der Unfalltod Haiders sei ein Akt von Geheimdiensten. Auch Strache zweifelt am Klimawandel und ist sich über Haiders Unfalltod nicht ganz sicher. Vor wichtigen politischen Ereignissen zieht er bisweilen eine „Magierin“ aus Niederösterreich zu Rate. Man könnte das als private Spinnerei abtun, wenn es sich nicht um den Chef einer Partei handelte, die nach Umfragen auf Bundesebene bereits die stärkste Partei ist.

Vor fünf Jahren hieß es im Wahlkampf der FPÖ: „Knüppel aus dem Sack“ und „Die Linken stinken“. Es wurde damit gedroht, dass in den Redaktionsstuben bald aufgeräumt werde. Diesmal war der Stil anders, doch nicht weniger einschüchternd. Ursula Stenzel meint, die FPÖ sei eine Partei „neuen Stils“. Doch ein politisches Ziel, bei dem diese Bewegung an ihr Ende kommen würde, ist nicht zu erkennen. Außer jenem der Machtergreifung und der Rache an den Gegnern.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling