Erdogan und der umstrittene Kampfbegriff "Islamophobie"

Ein Thinktank in Erdoğans Umfeld prangert "Islamophobie" in Österreich an

Ein Thinktank in Erdoğans Umfeld prangert "Islamophobie" in Österreich an

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Die richtige Location adelt jede Veranstaltung. Wird etwa ins Haus der Europäischen Kommission in der Wiener Wipplinger Straße im 1. Bezirk geladen, sind öffentliche Anerkennung und Aufmerksamkeit garantiert. Damit durften auch die Politikwissenschafter Enes Bayrakli von der Deutsch-Türkischen Universität in Istanbul und Farid Hafez von der Universität Salzburg rechnen, die im EU-Haus am 20. Juni den von ihnen herausgegebenen 600 Seiten starken European Islamophobia Report 2015 präsentierten. Zur Diskussion mit den Autoren waren die muslimische Feministin und Aktivistin Dudu Kücükgöl und Andrea Kdolsky vom Verein der Europäischen Föderalisten geladen. Doch die ehemalige ÖVP-Gesundheitsministerin sagte im letzten Moment ab.

Vielleicht hatte sie eine böse Vorahnung. Im Gegensatz zum Anspruch der Autoren handelt es sich beim European Islamophobia Report nicht um ein Kompendium zur Muslimfeindlichkeit in Europa, sondern um ein Sammelsurium teils tatsächlicher, teils angeblicher islamophober Vorkommnisse. Und Auftraggeber des Berichts ist keine EU- oder EU-nahe Organisation, sondern ein türkischer Think- tank im Einflussbereich von Präsident Recep Tayyip Erdoğan.

Umso überraschender ist die Dürftigkeit des Österreich-Kapitels im European Islamophobia Report.

Herausgeber Farid Hafez ist auch Autor des Kapitels über Österreich. Der 34-jährige promovierte Politikwissenschafter aus Ried im Innkreis ist ein Jungstar seiner Branche. Neben seiner Tätigkeit an der Uni Salzburg war er Visiting Scholar an der Columbia University in New York. Seit 2010 gibt er das Jahrbuch für Islamophobieforschung heraus. 2009 erhielt er für sein Buch „Islamophobie in Österreich“ den Bruno-Kreisky-Anerkennungspreis. Wenn jemand mit dem Thema vertraut ist, dann Hafez. Das dachte sich wohl auch der EU-Abgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ), der Hafez Anfang Mai zur Präsentation des Berichts ins EU-Parlament einlud.

Umso überraschender ist die Dürftigkeit des Österreich-Kapitels im European Islamophobia Report. Zur Stützung von Hafez’ These, „alarmierende Daten“ belegten „die Ausbreitung der Islamophobie“ in Österreich, wird etwa eine Studie zitiert, wonach 64 Prozent der befragten Österreicher gegen einen Moscheebau in ihrer Nachbarschaft wären, aber nur 42 Prozent gegen einen buddhistischen Tempel. Auch die Tonalität des auf Englisch verfassten Berichts verblüfft. So behauptet Hafez, Politik, Gesellschaft und Medien in Österreich hätten auf die islamistischen Anschläge in Paris (130 Tote) mit „Hysterie“ reagiert.

Hohe Sensibilität an der Grenze zur Hysterie entwickelt der Report bei der Beurteilung angeblich islamophober Medienberichte. Kritisiert werden etwa ein profil-Artikel über Erhebungen des Heeresabwehramts gegen muslimische Rekruten wegen Verdachts auf Islamismus oder islamkritische Äußerungen in einem „Presse“-Interview mit Ungarns Regierungschef Viktor Orbán. Auch ein Kommentar in den „Salzburger Nachrichten“, in denen Muslime zur Gleichbehandlung von Töchtern und Söhnen aufgefordert werden, fand Eingang in den Islamophobie-Report.

Geht es um Kritiker aus eigenen Reihen wird der Bericht offen denunziatorisch.

Direkte oder indirekte Kritik übt der Bericht des Weiteren am neuen Islamgesetz; an der Aufforderung des Bildungsministeriums, Lehrer sollten auf mögliche Radikalisierung von Schülern achten; an Befragungen, welche die Stadt Wien in islamischen Kindergärten durchführte; an nicht weiter präzisierten „islamophoben Slogans“ der ÖVP; am gesetzlichen Verbot von islamistischen Terrorsymbolen; an Warnungen, unter den Flüchtlingen könnten sich auch IS-Kämpfer befinden. Und warum der Entzug der Staatsbürgerschaft bei Mitgliedschaft in einer islamistischen Terrororganisation im Österreich-Kapitel des European Islamophobia Report thematisiert wurde, erschließt sich wohl nur dem Autor.

Geht es um Kritiker aus eigenen Reihen wird der Bericht offen denunziatorisch, vor allem in Zusammenhang mit dem Wiener Universitätsprofessor Ednan Aslan vom Institut für Islamische Studien. Aslan ist Autor der breit diskutierten Studie über unerwünschte Entwicklungen in islamischen Kindergärten in Wien. Wie Hafez schreibt, würden „viele islamophobe Akteure Aslan als Beweis dafür zitieren, dass ihre Islamkritik nicht rassistisch“ sei. Aslan zähle zu jenen Muslimen, die „Islamophobie unterstützen“. In einer Fußnote werden Aslans wissenschaftliche Kenntnisse in islamischer Theologie als „schwach“ bezeichnet.

In Zusammenhang mit dem eigentlichen Thema des Berichts, der „steigenden Zahl von Belästigungen und Angriffen gegen Muslimen auf der Straße“, zitiert Hafez extensiv Zeitungsartikel oder nennt als Quelle ihm zugeschickte Mails. Es gehe nicht um ein präzises Monitoring von Übergriffen, so der Politikwissenschafter gegenüber profil, sondern um ein Bild ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Der oberösterreichische Grünpolitiker Efgani Dönmez kritisiert Methodik und Absicht des Islamophobie-Reports: „Es gibt die geschilderten Übergriffe. Aber die wahre Intention des Berichts ist es, die Opferrolle der Muslime in Österreich zu zelebrieren.“ Dönmez’ Zusatz: „Das ist eine Taktik des politischen Islam.“ Auch der Auftraggeber der Studie, der türkische Thinktank SETA, sei fragwürdig. Dönmez: „SETA ist eindeutig eine Propaganda-Organisation des Staatspräsidenten der Türkei Erdoğan.“

Hierzulande fiel die Organisation jüngst dadurch auf, dass sie österreichische Türken aufforderte, mögliche Erdoğan-Gegner bei türkischen Behörden zu melden.

SETA (Stiftung für Politik-, Wirtschafts- und Sozialforschung) mit Standorten in Istanbul, Ankara und Washington bezeichnet sich selbst als führende Denkfabrik der Türkei. Gründungsdirektor und langjähriger Chef war Ibrahim Kalin, derzeit außenpolitischer Chefberater von Präsident Erdoğan. Nach dem gescheiterten Putsch im Juli änderte SETA den Betriebsmodus: vom regierungsnahen Thinktank zur Verlautbarungsstelle im Kampf gegen die Gülen-Bewegung, die von Erdoğan für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird. SETA steht in Kontakt mit der auch in Österreich hochaktiven UETD (Union of European Turkish Democrats), einer Vorfeldorganisation von Erdoğans Regierungspartei AKP. So wurde der Islamophobie-Bericht in Deutschland von der UETD präsentiert.

Hierzulande fiel die Organisation jüngst dadurch auf, dass sie österreichische Türken aufforderte, mögliche Erdoğan-Gegner bei türkischen Behörden zu melden. Im Jahr 2014 hatte die UETD einen Auftritt des türkischen Präsidenten vor Tausenden Fans in der Wiener Albert-Schultz-Halle organisiert.

Farid Hafez schließt gegenüber profil aus, sich als Wissenschafter von SETA oder der AKP vereinnahmen zu lassen. Es sei ihm aber „bewusst, dass SETA vermutlich Gelder von der türkischen Regierung erhält“. Hafez: „Ich kann als Mitherausgeber des Islamophobia Report sagen, dass es keine einzige Intervention von Seiten SETA gegeben hat, was den Inhalt anbelangt. In der Kooperation mit den weiteren 36 Mitautoren und Autorinnen wurde mir absolute Freiheit gegeben.“

Um negative Einstellungen gegenüber Muslimen zu benennen, sei der Begriff „Muslimfeindlichkeit“ geeigneter.

Umstritten ist nicht nur die Studie, sondern auch der ihr zentraler Begriff. Der Autor und Historiker Heiko Heinisch kritisiert, „Islamophobie“ sei ein „nebulöser“ Terminus, der längst zum „Kampfbegriff“ geworden sei, weil er nicht „zwischen Ressentiment gegenüber Muslimen“ und „der Aufklärung verpflichteter Kritik an der Religion“ differenziere. Ziel des Islamophobie-Vorwurfs sei es, Kritiker des Islam „mit dem Stigma des Rassismus zu versehen“. Um negative Einstellungen gegenüber Muslimen zu benennen, sei der Begriff „Muslimfeindlichkeit“ geeigneter.

Der Konter von Farid Hafez: Er behandle Islamophobie nicht als „individuelle Einstellung, sondern als rassisch konstruiertes Machtverhältnis“. Damit lehne er sich „am Begriff des institutionalisierten Rassismus an, der auch ,unbemerkt‘ in Institutionen reproduziert“ werde. Im Vorwort von Hafez’ Report wird „Islamophobie“ schlicht als „anti-muslimischer Rassismus“ bezeichnet. Efgani Dönmez zählt zu jenen, die den Begriff ebenfalls als politisches Mittel bewerten: „In türkischen Medien wird Österreich seit Wochen als rassistisches Land bezeichnet. Es gibt in Österreich Ressentiments gegenüber Muslimen, aber der pauschale Vorwurf der Islamophobie ist reine politische Strategie.“

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.