Klub der starken Männer

profil 36/1993: „Der Klub der starken Männer“

24 Jahre vor #MeToo initiierte profil-Redakteurin Christa Zöchling eine landesweite Debatte über sexuelle Belästigung in der Politik.

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profil wurde vor den Presserat zitiert. Der Cover-Cartoon von Gerhard Haderer, der ein Spalier von nackten Männern mit traurigen Gemächten und roten Pappnasen zeigte, die hämisch in Richtung eines verwaisten Rednerpults mit steil aufgerichtetem Mikrofon unkten, wurde wegen „pauschaler Verunglimpfung männlicher Abgeordneter“ verurteilt. Ein Urteil, das fast ein Vierteljahrhundert später wie ein Relikt aus der sexistischen Steinzeit anmutet, aber trotz der offensichtlichen Schieflage, was die moralische Verhaltensakzeptanz betrifft, als eine Marginalie gelten kann im Vergleich zu den Folgen dieser Geschichte: hitzige Debatten, Rücktritte, Meinungscrashs an Stammtischen und in bürgerlichen Salons. 24 Jahre, bevor die #MeToo-Welle die westliche Welt erfasste, hatte profil-Redakteurin Christa Zöchling die Weichen für ein geschärftes Bewusstsein gestellt, was die Wechselspiele zwischen Politik und Sexismus betrifft. Was war geschehen? 

Im Sommer 1993, knapp vor der Ferienpause, wollte die grüne Nationalratsabgeordnete Terezija Stoisits in der aufgeheizten Stimmung, die eine massive Verschärfung der Ausländerrechte hervorgerufen hatte, ihre Einwände gegen das neue Gesetz vorbringen. Als das Mikrofon am Pult nicht auf Anhieb funktionierte, meldete sich der ÖVP-Abgeordnete Paul Burgstaller mit der so eindeutigen wie lautstarken Aufforderung „Lutschen, in den Mund nehmen und fest daran lutschen!“ zu Wort. Stoisits’ Replik ging im Gejohle der Anwesenden unter. Burgstaller selbst gab wenig später an, mit seinem Zwischenruf „einen Eislutscher“ gemeint zu haben und fügte ergänzend hinzu: „Ein Schwein ist, wer dabei an einen Penis denkt.“

Zöchling nahm diesen Vorfall zum Anlass, tiefer zu graben, und erkannte im Zuge ihrer Recherchen, dass die „Lutscher-Affäre“, wie der Vorfall in den Boulevardmedien etikettiert wurde, nur eine besonders derbe Spielart jener politischen Alltagskultur war, der Politikerinnen täglich ausgesetzt waren. Unter dem Titel „Hasenjagd im Hohen Haus“ sprach Zöchling mit zahlreichen weiblichen Abgeordneten, die von Häme, Grapsch-Attacken, verschwitzter Belästigung, Verhöhnung und verbalen Abwertungen zu berichten wussten. Der damalige profil-Herausgeber Hubertus Czernin schrieb in der Rubrik „Intern“ dazu: „Die alltägliche sexuelle Belästigung in der Politik, ein Tabu, das bisher Männer sowieso nicht, bis zum Fall Burgstaller auch Frauen nicht brechen wollten.“

Ihren Text eröffnete Zöchling mit einer Szene, die der Burgstaller-Entgleisung durchaus ebenbürtig war: Eine Mandatarin erzählte, wie sie im Foyer des Nationalrats von einem Kollegen regelrecht übermannt wurde, indem der ihr kommentarlos ins Dekolleté ihres Sommerkleids griff. Der Kollege war nicht irgendwer, sondern der amtierende SPÖ-Sozialminister der Republik, Josef Hesoun. Aus Angst, damit ihrer politischen Karriere ein Ende zu setzen, lüftete die SPÖ-Abgeordnete damals ihre Identität nicht. Nach und nach bekannten sich aber auch andere zu den Übergriffigkeiten des Ministers. Hesoun putzte sich damals auf profil-Anfrage ab: „Entweder die Kollegin hat den Wunsch, so zu denken, oder sie hat Phantasie oder sie hat schlecht geträumt.“ 

Die Konsequenz: Die betroffene Politikerin wurde später nicht mehr für den Nationalrat aufgestellt. Ein gängiges Prozedere im Prä-#MeToo-Zeitalter war auch die Stigmatisierung der Opfer, die gerne der Lüge oder der übertriebenen Interpretation der Vorfälle bezichtigt wurden. Und die, wie in diesem Fall, für ihre Aussage bestraft wurden, während die Täter vergleichsweise ungeschoren davonkamen. Die ganze Angelegenheit sei „das Produkt der Fantasie einer profil-Redakteurin“, beharrte Hesoun. Frauenministerin Johanna Dohnal forderte ihren Parteikollegen auf, die Konsequenzen zu ziehen und zurückzutreten. Was Hesoun mit der heute unfassbaren Replik konterte, dass Dohnal nur deswegen so reagiere, „weil sie selbst nicht begrapscht wurde“. „Die Diskussion war einfach zum Speiben“, resümierte Dohnal, die fassungslos zusehen musste, wie Kanzler Franz Vranitzky an Hesoun festhielt.

Im Fall des „Lutscher“-Zwischenrufers Paul Burgstaller waren die Konsequenzen (für damalige Verhältnisse) moralisch befriedigender. Burgstaller lehnte zwar sowohl die ihm seitens der Klubführung nahegelegte Entschuldigung bei Stoisits als auch den Klagsweg ab. „Aus Rücksicht“ auf die ÖVP trat er aber noch im September 1993 aus der Partei aus und fristete noch ein knappes Jahr ein Dasein als „wilder Abgeordneter“. Allerdings gab es Solidaritätskundgebungen seitens einiger Parteikollegen, darunter Andreas Khol: „Der Pauli hat sicher nicht das gemeint, was ihm jetzt unterstellt wird.“

Zwei Jahre danach veröffentlichte die spätere Sprecherin des „Frauenvolksbegehrens“, Eva Rossmann, ihre Studie „Unter Männern. Frauen im österreichischen Parlament“. Viel hatte sich da noch nicht geändert. Anzügliche Zwischenrufe und allgemeine Heiterkeit, wenn eine Frau zum Rednerpult ging, standen  auf der Tagesordnung. Insgesamt gehe es, so die Erkenntnis der Autorin, „im Parlament wahrscheinlich ärger als anderswo zu. Die meisten Abgeordneten haben in Wahrheit keine Ahnung, was Sexismus tatsächlich ist.“

Manche haben es bis heute noch nicht begriffen. FPÖ-Mandatar Harald Vilimsky sorgte erst vor knapp einem Jahr für Aufregung, als 
er in Straßburg bei einer Pressekonferenz die versammelten Medien wissen ließ, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die damals neu gewählte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein „Hexentrio“ darstellten 
und „die Peitsche zu spüren“ bekommen würden. Sieben Jahre nach #MeToo: ungebrochene Bierzeltstimmung im rechten Lager.

Angelika Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort