profil 6/2000: „Die Schande Europas“

profil 6/2000: „Die Schande Europas“

Christian Seiler erinnert sich, wie Wolfgang Schüssels Tabubruch ein legendäres profil-Cover inspirierte – und welche Fragen der Eigentümervertreter daraufhin an die Chefredaktion hatte.

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Wir waren eine junge Chefredaktion, damals im Jänner des Jahres 2000. Weder Christian Rainer, Stefan Janny noch ich hatten den 40. Geburtstag schon im Visier, wir waren ein bisschen mehr als ein Jahr im Amt und widmeten uns unseren Jobs mit maximalem Engagement. Oft saßen wir, wenn wieder einmal ein Titelblatt entstehen musste, stundenlang mit Erik Turek und Erich Schillinger in der verrauchten profil-Grafik und probierten Zeilen und Bilder aus, merkwürdig optimistisch, dass uns irgendwann etwas Gutes einfallen würde. (Wenn ich heute in der Rubrik „profil vor 25 Jahren“ Cover aus dieser Zeit sehe, habe ich den Eindruck, dass wir über das eine oder andere Cover besser noch ein bisschen länger nachgedacht hätten).

Jedenfalls war uns kurz vorher, nach der Nationalratswahl im Oktober 1999, etwas Spektakuläres gelungen. Wir hatten in der Ausgabe, die wir in der Nacht nach der Wahl zusammenbauen mussten, eine Titelseite entworfen, auf der die Gesichter von Wolfgang Schüssel, dessen ÖVP auf Platz drei gelandet war, und Jörg Haider, dessen FPÖ sensationell zweitstärkste Partei hinter Wahlsieger SPÖ geworden war, zusammengemorpht wurden. Prophetisch die Titelzeile, die mit Sicherheit von Christian Rainer stammte, ich allein hätte mich das nie getraut und Stefan Janny auch nicht: „Sieger Haider! Kanzler Schüssel?“

Wir waren für diese Einschätzung des Wahlergebnisses ausgelacht und verspottet worden (auch von der eigenen Innenpolitik-Redaktion, aber das nur nebenbei). Haiders FPÖ in der Bundesregierung, das war eine so absurde, eine gegen alle Konventionen verstoßende Idee, dass nicht einmal laut darüber nachgedacht werden durfte. Die FPÖ war der Paria der österreichischen Innenpolitik, das Motto lautete: Nur nicht anstreifen. Aber nur vier Monate und ein paar gescheiterte (und wiederum geglückte) Koalitionsverhandlungen später saßen wir wieder in der Grafik, um den undenkbaren politischen Tabubruch in ein profil-Cover zu übersetzen.

Bekanntlich hatte Wolfgang Schüssel mit Jörg Haider einen Kuhhandel abgeschlossen und es geschafft, als gescholtener Wahlverlierer Bundeskanzler zu werden. Er hatte seinen Vorgänger Viktor Klima ausmanövriert und getan, was gegen alle politischen Hygienevorschriften verstieß: Er ließ sich von einem rechten Parvenü mit ungeklärter Distanz zum Nationalsozialismus zum Kanzler wählen.

Wir waren empört, mehr noch, abgestoßen von Wolfgang Schüssels Entscheidung, die Ächtung der FPÖ aufzugeben und sich ihrer zur eigenen Beförderung an die Regierungsspitze zu bedienen. Ich erinnere mich, dass wir (was nicht oft vorkam) sogar darum stritten, wer den Leitartikel schreiben durfte (und schrieben dann zwei, den ersten Christian Rainer, den zweiten ich). Und wir wollten ein Cover gestalten, das die Dimension des politischen Sündenfalls auf den ersten Blick erkennbar machen sollte.

profil-Grafik, verraucht: Schande. Europa. Schwarz. Das waren die Bausteine.

Die Grafik schlug vor, ein kleines Bild von Schüssel und Haider beim Unterzeichnen des Koalitionspakts auf schwarzem Hintergrund zu platzieren und in weißen Lettern die Headline darunterzusetzen. Bald stand da: Die Schande Europas“, eine starke und, wie sich später zeigen sollte, wiederum einigermaßen prophetische Ansage: Denn nur wenige Tage nach der Angelobung des Kabinetts Schüssel verhängten die damaligen 14 EU-Partner wegen der Regierungsbeteiligung der von Jörg Haider geführten FPÖ „bilaterale Maßnahmen“ gegen Österreich: die berühmt-berüchtigten EU-Sanktionen. Die EU-Partner empfanden die österreichische Regierung als Schandfleck, genauso wie wir.

Beim besten Willen kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wer die Idee hatte, den roten Rahmen, der damals jedes profil-Cover umrandete, schwarz einzufärben, um den Effekt des Titels – DIE SCHANDE EUROPAS, natürlich in Versalien – noch einmal zu verstärken. Sehr wohl erinnern kann ich mich daran, wie zufrieden wir beim Verlassen der profil-Grafik über das Zeichen waren, das wir mit diesem Cover setzen würden. Es war ein kraftvolles, ein eindeutiges, ein plakatives Zeichen, das die Haltung von profil und uns selbst auf den Punkt brachte.

Wir machten ein bisschen bange Scherze darüber, ob wir wohl in einer Stunde noch einen Job haben würden. In Wahrheit waren wir uns alles andere als sicher, ob „Die Schande Europas“ nicht die letzte Amtshandlung dieser Chefredaktion gewesen sein könnte.

Nun ist nicht ganz außer Acht zu lassen, dass profil damals wie heute einen Eigentümervertreter hatte, der der ÖVP nahestand. Raiffeisen-Generalanwalt Christian Konrad hatte seinerseits ein feines Gespür für die Unabhängigkeit der Redaktion, die er in den Jahren, als ich ihn als Chefredakteur regelmäßig sah, niemals antastete. Gleichzeitig kann ich mir lebhaft vorstellen, dass er immer wieder Anrufe aufgebrachter Politiker, zum Beispiel Bundeskanzler, entgegennehmen musste, die über die Berichterstattung von profil alles andere als erfreut waren. Deshalb waren wir auch nicht ganz überrascht, als wir am Montag, als das schwarze Schande-Europas-profil erschien, unsererseits einen Anruf von Christian Konrad entgegennehmen mussten, der uns drei zu sehen begehrte, und zwar am selben Abend im Gasthaus Grünauer.

Wir fuhren gemeinsam von der Redaktion zum Grünauer, Rainer, Janny und ich. Wir machten ein bisschen bange Scherze darüber, ob wir wohl in einer Stunde noch einen Job haben würden. In Wahrheit waren wir uns alles andere als sicher, ob „Die Schande Europas“ nicht die letzte Amtshandlung dieser Chefredaktion gewesen sein könnte.

Es kam anders. Christian Konrad, der in Begleitung des damaligen „Kurier“-Chefredakteurs Peter Rabl gekommen war, stellte uns zuerst einmal ein paar Fragen. Was habt ihr euch dabei gedacht? Wie, denkt ihr, kommt das in der Bevölkerung an (er meinte damit, vermute ich, einen spezifischen Ausschnitt der Bevölkerung mit Arbeitsplatz am Ballhausplatz)? Und, als Schlussfrage: Was macht ihr, wenn wirklich einmal etwas Arges passiert?

Damit war die Diskussion eröffnet, und nachdem wir unsere Positionen abgesteckt und uns erklärt hatten, waren wir nicht gekündigt, sondern mit Christian Konrad per Du. Wenn ich mit der gebotenen Distanz auf „Die Schande Europas“ zurückschaue, sehe ich, dass beide Parteien recht hatten: Wir fingen mit dem Cover den Moment ein, als der europäische Rechtspopulismus salonfähig gemacht wurde. Christian Konrad hatte möglicherweise schon noch schlimmere Konstellationen vor Augen. Die evozierten allerdings keine Reaktionen mehr wie ein schwarzes profil-Cover, weil wir alle begannen, uns an ein Europa, in dem die Schande zum Alltag geworden ist, zu gewöhnen.

Christian Seiler

ist Kolumnist, Autor und Verleger in Wien, war ab 1995 Reporter und von 1998 bis 2003 Chefredakteur des profil.