„Es bedarf struktureller Änderungen." Ali Aslan Gümüsay, Humboldt Institut
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„Eigene Werte nicht verstecken“

Ali Aslan Gümüsay ist Forschungsgruppenleiter am Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Er beschäftigt sich unter anderem mit Ethik und Nachhaltigkeit in der Digitalisierung.

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profil Portfolio: Integration ökologischer und ethischer Verantwortung und digitale Veränderung sind zwei Kernthemen für Unternehmen. Werden diese gemeinsam angegangen?

Ali Aslan Gümüsay: Ökologische und ethische Verantwortung auf der einen und digitale Veränderung auf der anderen Seite genießen häufig unterschiedliche Prioritäten. Ersteres wird als ein nettes Beiwerk gesehen, während letzteres als notwendig für den Unternehmenserfolg verstanden wird. Dabei könnte eine strategische Transformation, in der beides mitgedacht wird, zu gänzlich innovativen Ergebnissen führen – sich also Nachhaltigkeit und Ethik wirtschaftlich lohnen. Einführungen, Erweiterungen und Einschränkungen von Technologien haben meist soziale beziehungsweise ökologische Folgen. So werden zum Beispiel KI-Anwendungen in Personalprozessen erprobt, wobei die KI Empfehlungen ausspricht – vom Recruitment über Gehälter bis hin zum Entlassen. Generell sind KI-Anwendungen in Personalprozessen ein gutes Beispiel für digitale Veränderungen, die nicht ohne ethische Überlegungen angegangen werden. Sie können weitreichende Konsequenzen für Beschäftigte haben und sind besonders invasiv. Sie dringen tief in das Arbeitsleben der Beschäftigten ein. Daher können KI-Ethikräte beziehungsweise Technologie-Ethikräte dienlich sein, Technologie und Ethik gemeinsam zu denken. Insbesondere Algorithmen müssen von Anfang an als sozio-technische Systeme verstanden werden, da sie sonst eine risikoreiche Eigendynamik entwickeln können.

Die Coronakrise kann genutzt werden, um Transformation wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit anzutreiben. Geschieht dies tatsächlich oder geht es nun vor allem um einen Aufholprozess?

Jein. Teilweise wurde die Krise in der Tat dafür genutzt, sich neu zu denken. Eine Krise ruft sozusagen gewisse notwendige Reaktionen hervor. Der Druck zur Digitalisierung von Angeboten und Prozessen kommt dabei sowohl von außen durch Kunden wie auch von innen durch Mitarbeiter. Unternehmen werden die Digitalisierung ihres Angebotes vorantreiben müssen, um am Markt zu bestehen. Ein Beispiel ist hier E-Commerce, der weiter zunehmen wird. Auch werden ein Großteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Arbeitgeber bevorzugen, die hybrides Arbeiten ermöglichen. Hier wird der Druck also zunehmen, zu digitalisieren – und das sozial zu denken.

Bei Themen der Nachhaltigkeit stehen Unternehmen manchmal im Verdacht, durch eigene Initiativen dem politischen Druck ausweichen zu wollen.

Natürlich kann man hier nicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren. Einige haben erkannt, dass Nachhaltigkeit durchaus einen strategischen Vorteil liefern kann – sei es, weil man technologisch Marktführer wird, weil die Kundinnen und Kunden es wertschätzen oder es beim Recruitment positive Effekte hat. Auch gibt es Betriebe wie Familienunternehmen und Sozialunternehmen, die ihre Werte bewusst, aktiv und zentral einbringen. Gleichzeitig stimmt es leider, dass viele Unternehmen weiterhin im Wesentlichen dem Shareholder Value Prinzip nachstreben, getreu dem Motto von Milton Friedman: the business of business is business. Und dann wird kalkuliert, inwieweit nachhaltige Praktiken einen monetären Mehrwert schaffen. Wenn nicht, werden diese auch nicht verfolgt. Die Außendarstellung wird dann von der Innensituation entkoppelt und Ethik verkommt zum Marketing. Hier muss sich grundlegend das Paradigma von Unternehmen wandeln, wofür es einerseits Regulierung braucht und andererseits ein neues Verständnis von Unternehmertum und Management. Mit anderen Worten: Wenn Ethik und Nachhaltigkeit sich nicht lohnen, muss sich das Paradigma ändern, was eigentlich lohnenswert ist. Hier müssen wir Lehrenden uns auch an die eigene Nase fassen und unser Curriculum in der BWL und in Business Schools radikal neu denken.

Die Arbeitswelt ändert sich wegen der Coronakrise rascher als gedacht. Welche Rolle spielt da Nachhaltigkeit?

Covid-19 verändert die Arbeitswelt. Aufgrund der Notwendigkeit des physischen Distanzierens wurde das Zuhause zum Büro und Konferenzraum. Dadurch wurde viel Verkehr und damit CO2 eingespart. Gleichzeitig darf man die Kehrseite der Medaille nicht außer Acht lassen. Auf der ökologischen Seite ist hier etwa zu vermerken, dass Videoanrufe Energie verbrauchen. Und von den Herausforderungen des Home Office können insbesondere Eltern ein Liedchen singen. Während also Organisationen ihre Angestellten auffordern, ihre Wohnungen betriebsbereit zu machen, sollten sie gleichzeitig ihre Kultur bereit fürs Zuhause machen und so eine Kultur entwickeln, welche die sozialen Bedürfnisse und Herausforderungen von Mitarbeitenden mitdenkt und auch die Zusatzbelastungen berücksichtigt. Und natürlich dürfen auch technikferne Beschäftigte nicht einfach abgehängt werden. Auch zeigt sich, dass im Home Office teilweise mehr gearbeitet wird als im Büro. Das ist dann wie mit Emails. Sie haben die Kommunikation im Vergleich zu Briefen erleichtert – aber wir schreiben auch viel mehr als wir Briefe schreiben würden.

Nicht zu vergessen ist auch, dass der eigentliche Mehrwert von Arbeit oftmals in den Momenten liegt, die nicht formalisiert sind – zum Beispiel auf dem Flur zwischen Treffen, in denen Ideen ausgetauscht werden. All das muss mitgedacht werden für die Arbeitswelt nach Corona.

Klimaschutz wird meistens als von oben verordnete Strategie in Unternehmen umgesetzt. Kann und soll man im Zuge von New Work und mehr Autonomie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aber nun die Verantwortung stärker auf Einzelne übertragen? 

Natürlich sollte man sogenannte Bottom-Up-Initiativen zulassen und fördern. Das wird aber nicht ausreichen, da es grundlegender struktureller Änderungen bedarf. Gleichfalls würde ich andersherum argumentieren: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten ihre eigenen Werte nicht verstecken, sondern diese verstärkt im Unternehmen einbringen. New Work ist auch stark wertebezogen. Und für Führungskräfte heißt es, dass sie dieses Sammelsurium an Werten unter einen Hut bringen müssen – sei es durch prozessuale Führung wie Deliberation oder durch eine Führung, die bewusst Einheit in Vielfalt schafft. Das macht Führung wiederum komplexer – aber auch wertvoller und wertevoller.