Gesellschaft

Aida Loos: „Die Frauen im Iran haben einen kollektiven Wutanfall“

Die Schauspielerin Aida Loos über die ewige Sehnsucht nach ihrem Heimatland Iran und warum sie erst nach einer erfolgreichen Revolution zurückkehren könnte.

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Sie haben Außenminister Schallenberg unlängst eine Box voller Haare überreicht. Wie hat er reagiert?
Aida Loos
Er war sehr freundlich, hat sich bedankt und gesagt, dass Österreich sicher nicht zuschauen werde und dass man auf der Seite der Iraner und Iranerinnen stehe. Das waren erst einmal Lippenbekenntnisse. Die Zukunft wird zeigen, was daran stimmt und was nicht.
Wo haben sie all die Haare her?
Loos
Es begann mit einer WhatsApp-Gruppe, die fünf Exil-Iranerinnen gegründet hatten. Wir wollten nicht nur zuschauen und Mitleid mit den Frauen im Iran haben. Wir wollten etwas unternehmen. Also haben wir uns auf den Stephansplatz gestellt und Passanten angesprochen. Im Iran passiert etwas Größeres. Es ist eine feministische Revolution, die sich dagegen wehrt, dass Männer über den Körper einer Frau entscheiden können. Wenn wir in zehn Jahren zurückblicken werden wir sagen, dass damals feministische Weltgeschichte geschrieben wurde.

Mitte November sammelte eine Gruppe Frauen - darunter auch Aida Loos - unter dem Motto "Eine Strähne für den Iran" Haarspenden von Passant:innen als Zeichen der Solidarität mit den Protesten im Iran. 

Für diese Revolution riskieren Frauen, verschleppt, gefoltert und vergewaltigt zu werden. Viele bezeichnen sie dieser Tage als „mutig“.
Loos
Im Iran riskieren die Frauen Leib und Leben im Kampf für die Freiheit. Das ist viel mehr als nur Mut. Mutig ist, wenn ich einen Köpfler ins Wasser mache, obwohl ich mich das nicht traue. Aber das, was die Frauen im Iran machen, ist so fernab von alldem. Ihre Wut ist größer als ihr Schmerz. Sie haben einfach nichts mehr zu verlieren. Die Frauen im Iran haben einen kollektiven Wutanfall.
Wie und wann haben Sie sich in Bezug auf den Iran politisiert?
Loos
Ich bin 1985 nach Österreich gekommen. Wissen Sie, was meine erste Erinnerung überhaupt ist? Eine Stewardess im Flugzeug nach Österreich, die mir Buntstifte und etwas zum Zeichnen gibt. Damals war ich vier Jahre alt. Ich und meine zwei Schwestern sind mit den Eltern hoch traumatisiert nach Österreich gekommen. Mein Vater hatte in Graz studiert, er konnte die Sprache. Meine Mutter hatte in San Francisco studiert und dann im kleinen Österreich das Gegenteil von Amerika aufgefunden. Meine Kindheit war geprägt von einer ständigen Sehnsucht nach dem Iran und gleichzeitig einer Wut auf dieses Regime. Wir waren die vermeintlich Privilegierten im Ausland. Dabei wären wir lieber bei den Verwandten gewesen.
Haben Sie den Iran als Kind besucht? 
Loos
Ich war zwölf, als ich zum ersten Mal dort war, gerade am Anfang der Pubertät, unzufrieden mit mir selbst. Es ist kein leichtes Alter. Ich habe damals meinen Platz im Leben gesucht und Teheran war eine Identitätsfindung. Auf einmal habe ich mich selbst verstanden. Genau diese Erfahrung wünsche ich meinen Töchtern auch. Das ist mit ein Grund, warum ich mich für die Revolution so einsetze.
Wie war das, in Wien aufzuwachsen und dann die Familie im Iran zu besuchen?
Loos
In meiner Jugend war ich jeden Sommer entweder in New York oder in Teheran. Im Iran habe ich gelernt, was das bedeutet, unter ständiger Beobachtung zu stehen. Dass einem gesagt wird, was man zu tragen und wen man zu lieben hat. Ich konnte mit meinem Cousin nicht auf die Straße gehen, weil der als mein potenzieller Freund gesehen werden könnte. Man lebt in ständiger Paranoia. In Teheran Alkohol zu kaufen war, als würde man in Wien nach Heroin suchen und viel schlimmer, weil alles in Peitschenhieben gerechnet wird.
Die Menschen feiern natürlich trotzdem. Nur heimlich?
Loos
Teheran ist eine schizophrene Stadt. Nirgendwo auf der Welt ist die Kluft so groß zwischen dem was draußen und dem was drinnen passiert. Ich war noch nie auf so geilen Partys wie in Teheran. Mit der schönsten Mode. Ich habe mich immer für sehr stilsicher gehalten, bis ich im Iran war.

Aida Loos im Zoom-Interview mit profil.at

Würden Sie derzeit in den Iran fahren?
Loos
Auf keinen Fall. Ich habe in einem Film namens „Teheran Tabu“ mitgespielt. Da geht es um Homosexualität, Prostitution und Drogenmissbrauch. Ich dachte, dass das ein Underground-Film wird, aber dann stand er 2019 auf der Longlist für den Oscar als bester, fremdsprachiger Film. Ab dem Zeitpunkt war mir klar: Ich kann da nicht mehr hin.
Sie kennen den Iran nur als Gottesstaat. Was haben ihre Eltern Ihnen von der Zeit vor 1979 erzählt?
Loos
Meine Eltern waren beide lange im Ausland. Unabhängig voneinander sind sie in den Iran zurückgeflogen und haben sich dort kennengelernt. Meine Mutter war schon immer eine rebellische Person und hat sich meinen Vater selbst ausgesucht, sich wenig von meinen Großeltern reinreden lassen. Dann haben die beiden schnell geheiratet. Meine ältere Schwester wurde geboren, als die Revolution ausgebrochen ist. Ich kam 16 Monate später. Über die Jahre davor ist aus der älteren Generation nur wenig herauszukriegen. Ich frage mich, ob meine Töchter das auch einmal über mich sagen werden. Sie wissen gar nicht so viel über meine iranische Seite, weil das alles so schmerzhaft ist. Als Mutter will man nicht, dass einen das eigene Kind traurig sieht. Meine Mutter redet nur wenig über ihre Familiengeschichte und mein Vater gar nicht. Ihn hat das Regime so angeekelt, dass er kaum noch Persisch gesprochen hat und nur noch selten nach Teheran flog.
Im österreichischen Schauspielbusiness wurden sie oft als „Perserin“ bezeichnet. Hat Sie das gestört?
Loos
Ständig auf die Herkunft reduziert zu werden hat mich schon gestört. Ich hatte einmal ein Sommergespräch mit Johanna Mikl-Leitner, da war die Headline: Migrantin streitet mit Innenministerin. Als wäre Migrantin ein Beruf.
Perserin ist aber auch ihre Selbstbezeichnung, oder?
Loos
Als wir nach Österreich kamen haben wir uns immer als Perserinnen bezeichnet. Das klang nach schönen Teppichen und edlen Katzen. Iran klang nach Mullah und Kopftuch, nach schwachen Frauen. Jetzt hat sich das geändert. Seit September 2022 steht Iranerin für all das, was eine Frau sein möchte: Kämpferisch, feministisch und laut. Auf einmal sagen wir alle voller Stolz: Wir sind Iranerinnen.
Sie haben nur Schwestern, keine Brüder. Wie wichtig war ihr Geschlecht für die Flucht ihrer Eltern?
Loos
Sie wären auch gegangen, wenn sie vier Söhne gehabt hätten. Ihnen war klar, dass das Leben nicht lebenswert ist, dass man dort depressiv wird. Sie haben keine Zukunft gesehen. Meine Eltern haben immer Wert auf Bildung gelegt. Das ist etwas typisch Persisches. Wir sind ein sehr erfolgsorientiertes Volk. Eltern zählen die Erfolge ihrer Kinder auf.
Das klingt sehr stressig.
Loos
Das ist es. Ich mache mich oft darüber lustig, aber ich verstehe auch den Hintergedanken. [Imitiert ihre Mutter]: ‚Ich bin mit drei Koffern, 7.000 Dollar und einer Unterhose in Schwechat angekommen, damit ihr Kinder Medizin studiert.‘
Und dann wurden sie Schauspielerin.  
Loos
Meine Schwester und ich sind alle in den Kunstbereich gegangen. Bei vielen Iranerinnen aus meiner Generation sehe ich, dass die Eltern Verantwortung auf die Kinder übertragen haben. Man sollte das, was die Eltern für einen riskiert haben, nicht leichtfertig verschenken. Für mich war es ein Kampf, mein Schauspielstudium durchzusetzen. Zum Glück habe ich nicht klein beigegeben.
Ihre Töchter sind 8 und 9 Jahre alt. Verfolgen sie die Revolution im Iran auf Instagram?
Loos
Sie bekommen viel davon mit und sehen, wie sehr es mich beschäftigt. Ich erzähle meinen Töchtern auch deswegen davon, weil ich nicht will, dass sie eines Tages sagen: ‚Meine Mama war damals still.‘ Ich wünsche mir, dass wir alle in den Iran reisen und sie dieses Land kennenlernen. Die Frage ist nicht, ob es zum Sturz des Regimes kommt, sondern wann.

 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.