Personenschützer bringen Premier Fico unmittelbar nach dem Attentat in Sicherheit.
Slowakei

Attentat auf Premier Fico: Ein Virus namens Hass

Der Anschlag auf Robert Fico ist der Höhepunkt der jahrelangen Gewalt und Hetze in der Slowakei. Das Land ist tief gespalten, die Lager unversöhnlich.

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Robert Fico lag auf dem Operationstisch in einem Krankenhaus im Zentrum der Slowakei, als das Gesicht seines mutmaßlichen Attentäters auf den Handydisplays des Landes erschien. Ein Boulevardmedium hatte ein Video veröffentlicht, das den Verdächtigen nach seiner Festnahme zeigen soll. „Ich bin nicht einverstanden mit der Politik der Regierung“, sagt der 71-Jährige, bei dem es sich offenbar um einen Amateurschriftsteller aus dem westslowakischen Levice handelt.

Kurz zuvor hatte der Mann fünf Mal auf Fico geschossen und ihn drei Mal getroffen, einmal in den Bauch und zwei Mal am Arm. Eine fünfstündige Operation rettete Fico das Leben, am Donnerstag schwebte er nicht mehr in Lebensgefahr. Sein Zustand sei aber nach wie vor kritisch, hieß es aus der Regierung.

Das gilt auch für die Stimmung in der slowakischen Gesellschaft, die seit Jahren von Gewalt, Hetze und extremer Polarisierung geprägt ist.

Vorweg: Nichts rechtfertigt Gewalt oder gar Mordversuche. In der Slowakei kommt es immer wieder zu tätlichen Angriffen und Drohungen gegen Minderheiten, Politiker und Journalisten. Mit ihrer aggressiven Rhetorik haben Fico und seine Partei SMER maßgeblich zur Vergiftung des Klimas beigetragen.

Der Formwandler

Robert Fico ist zwar erst seit Herbst Premier der Slowakei, allerdings schon zum vierten Mal. Kaum ein anderer Politiker hat das Land in den vergangenen zwei Jahrzehnten geprägt wie er. Ursprünglich dem linken politischen Spektrum zugehörig, hat Fico ab Ende der 1990er zur Erfolgsgeschichte der Slowakei beigetragen. Doch im Hintergrund braute sich eine ungute Mischung zwischen Politik, Wirtschaft und organisierter Kriminalität zusammen.

Nach dem Mord am Investigativjournalisten Ján Kuciak, der zu mafiösen Verbindungen der Regierung recherchiert hatte, und an dessen Verlobter im Jahr 2018 trat Fico zurück. Seither bewegt er sich scharf nach rechts. Als neuer alter Premier agiert Fico rechtspopulistisch und kremlfreundlich – und baut das Land, ganz nach dem Vorbild Viktor Orbáns in Ungarn, im Sinne des eigenen Machterhalts um.

Schuldige finden Fico und seine SMER-Partei in der EU, bei Migranten und liberalen Politikern wie der scheidenden Präsidentin Zuzana Čaputová. Sie trafen der Hass und die Häme Ficos und seiner Parteifreunde besonders hart. In ihrer Amtszeit war Čaputová Morddrohungen ausgesetzt, selbst ihre Töchter gerieten ins Fadenkreuz.

„Eine Rhetorik des Hasses führt zu Taten des Hasses“, sagte Čaputová am Mittwoch. „Bitte, lassen Sie uns damit aufhören!“

„Am Rande eines Bürgerkrieges“

Der Aufruf verhallte. Robert Fico lag noch im Operationssaal, als Ficos Parteifreunde meinten, die Schuldigen für das Attentat ausgemacht zu haben: politische Gegner und unabhängige Medien – dabei deutet nichts darauf hin, dass der Attentäter liberale Ansichten vertritt, im Gegenteil. Online fiel er durch rassistische, homophobe und rechtsradikale Kommentare auf. 

„Wegen eures Hasses kämpft Robert Fico um sein Leben“, rief Ľuboš Blaha, Scharfmacher der SMER-Partei, der Opposition zu.

Die Schuldzuweisungen haben die Gesellschaft an einen Punkt gebracht, an dem Gewalt nicht mehr überrascht, sondern fast erwartet wird.

Róbert Zoľák

Fernsehjournalist

Neu ist diese Art der Schuldzuschreibung nicht. Doch die Kluft mitten durch die Gesellschaft scheint nach dem Attentat noch unüberwindlicher geworden zu sein. Auf der einen Seite stehen Ficos SMER sowie deren Anhänger und andere Nationalisten; auf der anderen die Opposition sowie liberale Kräfte. Der Riss verläuft zwischen Stadt und Land, zwischen religiösen Menschen und Progressiven, zwischen jung und alt. Schauplatz ihrer Kämpfe sind die Sozialen Medien, die Kommentarspalten der Online-Plattformen, das Parlament und die Bildungseinrichtungen des Landes. Laut Verteidigungsminister Robert Kaliňák befindet sich die Slowakei gar „am Rande eines Bürgerkriegs“. 

„Die Mitte ist komplett verloren gegangen“, sagt Róbert Zoľák, Fernsehjournalist beim Privatsender „TA3“. „Die Rhetorik der Regierung ist besonders aggressiv, radikalisiert haben sich aber beide Seiten.“ Das zeige sich vor allem online. Auf Bitte der Regierung sperrten Medienplattformen am Mittwoch vorübergehend ihre Kommentarfunktion.

Am Tag danach äußerten manche Beobachter die vage Hoffnung, dass die Eskalation der Gewalt die Gesellschaft wachrütteln und am Ende zu einer Versöhnung beitragen könnte. „Da bin ich skeptisch", sagt Zoľák. „Weder die Politiker noch die Gesellschaft haben aus den Morden in den letzten Jahren – an Kuciak sowie an zwei homosexuellen Männern – auch nur die geringste Lehre gezogen.“ Im Gegenteil, sagt der Journalist: Die Schuldzuweisungen der höchsten politischer Ebene würden immer aggressiver. „Sie haben die Gesellschaft an einen Punkt gebracht, an dem Gewalt nicht mehr überrascht, sondern fast erwartet wird." 

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.