Nahost-Gespräche

Außenminister Schallenberg: „Es darf keine Vertreibungen geben“

Außenminister Alexander Schallenberg erwartet von Israel eine politische Perspektive im Nahost-Konflikt und spricht sich für Sanktionen gegen gewalttätige jüdische Siedler aus.

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Israel hat nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober militärisch zurückgeschlagen. Damals herrschte weitgehend Konsens, dass das gerechtfertigt ist. Jetzt, nicht ganz vier Monate später, sieht die Lage anders aus. Israel hat aufgrund seiner Kriegsführung nahezu in der ganzen Welt dramatisch an Rückhalt verloren. Was ist da passiert?

Schallenberg

Ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, um was für eine asymmetrische Auseinandersetzung es sich hier handelt: Auf der einen Seite steht mit Israel eine pluralistische Demokratie, ein Rechtsstaat, auf der anderen die Hamas, eine Terrororganisation, die zivile Einrichtungen wie Kindergärten und Spitäler für ihre Zwecke missbraucht und Zivilisten als Schutzschilde einsetzt, weil ihr Menschenleben herzlich egal sind. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Hamas nicht nur eine Terrororganisation ist, sondern auch eine Ideologie, und der kann man mit militärischen Mitteln vermutlich nicht vollends beikommen.

Heißt das, Israel setzt möglicherweise auf die falsche Strategie?

Schallenberg

Jeder Staat der Welt würde sich zur Wehr setzen, wenn er so etwas erlebt wie diese bestialischen Anschläge vom 7. Oktober. Dass Israel sich verteidigt, ist also völlig selbstverständlich. Die Frage ist natürlich das Wie. Ich fand es zum Beispiel sehr bemerkenswert, dass der Internationale Gerichtshof bei seiner einstweiligen Maßnahme im Verfahren gegen Israel sehr wohl das Narrativ mit dem 7. Oktober begonnen hat. Wir dürfen nicht in eine Opfer-Täter-Umkehr verfallen, sondern müssen immer klar sagen: Hätte Hamas am 7. Oktober nicht angegriffen, gäbe es jetzt keinen Krieg in Gaza. Und noch immer feuert die Hamas jeden Tag Raketen auf Israel ab und hält über 130 Geiseln in ihrer Gewalt, darunter einen österreichisch-israelischen Familienvater.

Dieser Logik, wonach Israel ein Selbstverteidigungsrecht hat, ist die Öffentlichkeit ja mehrheitlich gefolgt. Aber US-Verteidigungsminister Lloyd Austin hat schon Ende des vergangenen Jahres gesagt, Israel sei dabei, einen taktischen Sieg in eine strategische Niederlage zu verwandeln. Anders formuliert: Israel läuft Gefahr, diesen Krieg zu verlieren.

Schallenberg

Man hat manchmal das Gefühl, egal was Israel macht, es verliert in den Augen der Öffentlichkeit. Beendet es den Krieg, beansprucht die Hamas den Sieg für sich; setzt Israel den Krieg fort, verliert es die internationale Unterstützung. Israel ist between a rock and a hard place.

Ist es in Ihren Augen legitim, die israelische Kriegsführung zu kritisieren? Die israelischen Streitkräfte werfen etwa die größten verfügbaren Bomben auf den dicht besiedelten Gazastreifen ab. Ist das eine verhältnismäßige Form der Jagd auf Terroristen?

Schallenberg 

Die israelische Führung muss sich jeden Tag überlegen: Ist das, was wir tun, wirklich verhältnismäßig? Als die israelischen Streitkräfte etwa im November das Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza eingenommen haben, brachten sie Brutkästen und Babynahrung mit, um zu vermitteln: Wir unterscheiden zwischen der palästinensischen Zivilbevölkerung und der Terrororganisation Hamas, die wir bekämpfen. Israel muss sehr darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, dass es diese Unterscheidung nicht mehr trifft. Dann wäre es zunehmend schwieriger, das Vorgehen Israels zu rechtfertigen.

Aktuell werden die Vereinten Nationen scharf kritisiert, weil offenbar einige der Hamas-Terroristen Mitarbeiter des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) waren. Österreich hat wie andere Staaten angekündigt, die Unterstützung der UNRWA einzustellen. Sie haben gesagt, sie wollen die Bevölkerung in Gaza über andere Kanäle versorgen. Gibt es tatsächlich irgendeine Organisation in Gaza, die den Job der UNRWA übernehmen kann?

Schallenberg

Derzeit geht es um unmittelbare humanitäre Hilfe, um Medikamente, um Essen und um sauberes Wasser. Dafür haben auch wir 13 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, für das Rote Kreuz, den Roten Halbmond, das World Food Programme. Wir haben zwei Forderungen: dass mehr humanitäre Hilfe reinkommt und dass die Geiseln rauskommen. Für beides braucht es humanitäre Waffenpausen. Was Sie aber meinen, sind andere Tätigkeiten, die bisher von der UNRWA übernommen wurden, etwa der Betrieb von Schulen. Ich finde es besonders verwerflich und schockierend, dass offenbar gerade auch Lehrer unter den Unterstützern der Hamas waren. Deshalb muss die UNO jetzt eine klare rote Linie ziehen, um ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.

Die Genfer Konvention verpflichtet eine Kriegspartei dazu, die Bevölkerung des Gebietes, das sie besetzt hält, zu versorgen. Finden Sie, dass Israel dieser Verpflichtung bisher ausreichend nachkommt?

Schallenberg

Eben nicht. Das ist während der Kampfhandlungen nicht möglich. Deshalb braucht es humanitäre Waffenpausen.

Die Forderung nach Waffenpausen hat Österreich allerdings bisher nicht unterstützt.

Schallenberg

Das ist ein totaler Fehlglaube! Als wir im Dezember in der UN-Generalversammlung gegen eine entsprechende Resolution votiert haben, ging es darum, dass darin weder das Selbstverteidigungsrecht Israels, noch die Benennung der Hamas als Terrororganisation enthalten waren. Deswegen haben wir einen Abänderungsantrag eingebracht, der leider nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit gefunden hat. Daher konnten wir diesem Text nicht zustimmen. Es ging nicht darum, dass wir Waffenpausen ablehnen.

Eine wesentliche Frage in diesem Krieg ist: Weiß Israel, worauf es am Ende hinauswill?

Schallenberg

Das ist sicher ein Vorwurf, den man erheben kann. Es braucht eine Perspektive, denn weder die Palästinenser noch die Israelis werden sich in Luft auflösen. Das eine ist, so illusorisch es momentan klingen mag, die Zweistaatenlösung, das andere der Normalisierungsprozess der arabischen Staaten mit Israel. Für mich ist auch klar, dass Gaza palästinensisch bleiben muss, dass es keine Vertreibungen und keine Besetzung durch Israel geben darf.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur