Donald Trump

Ein Jahr US-Wahl: Bekenntnisse eines Trump-Followers

Fast ein Jahr lang haben wir Donald Trumps Twitter-Account begleitet. Jetzt wollen wir nicht mehr.

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Es ist ein revolutionäres Experiment: Ein US-Präsident bedient sich eines neuen, aufstrebenden Mediums, um sein Volk auf direktem Weg zu erreichen, um Gerüchte streuen und seine wahren Intentionen ohne den Umweg über Journalisten erklären zu können. Das neue Medium bietet ungeahnte Vorteile: "Es kennt keine Verzerrungen oder falsche Zitierungen. Es hat eine hohe Reichweite, und es bringt die Botschaft gleichzeitig an die Nation und an ein internationales Publikum", erläutert ein Pressesprecher des Weißen Hauses.

Am 12. März 1933 spricht US-Präsident Franklin D. Roosevelt live zum amerikanischen Volk - in einer Radioübertragung, die 13 Minuten und 42 Sekunden dauert. Es ist die erste in einer Abfolge von Radioansprachen, die als "Kamingespräche" in die Geschichte eingehen.

Mehr als acht Jahrzehnte später bedient sich erneut ein US-Präsident eines neuen, aufstrebenden Mediums, um sein Volk auf direktem Weg zu erreichen. US-Präsident Donald Trump twittert.

Die Unterschiede in der Kommunikation sind frappierend. Roosevelt wandte sich in 4422 Tagen als Präsident mit 30 "Kamingesprächen" an die Nation, im Schnitt rund alle 147 Tage ein Mal. Trump setzte in dem Jahr seit seiner Wahl (also nicht erst seit seiner Angelobung) 2475 Tweets ab, durchschnittlich fast sieben pro Tag.

Roosevelts Reden durchliefen etwa ein Dutzend Fassungen, ehe das endgültige Manuskript feststand; Trump tippt meist selbst auf seinem Smartphone und drückt auf "Send".

Ein Kamingespräch dauerte zwischen elf Minuten und einer Dreiviertelstunde. Ein Tweet umfasst 140 Zeichen (neuerdings 280).

War die Radiorede gravitätisch, ist der Tweet spontan. "@realDonaldTrump", so der Name von Trumps Twitter-Account, zu folgen, ist eine besondere Übung. Es gibt kaum einen direkteren Weg, um die Gedanken des US-Präsidenten zu ergründen. Seit der Wahl am 8. November 2016 hat die Öffentlichkeit viel über den ungewöhnlichen Mann im Weißen Haus gelernt. profil publiziert seit der Inauguration jede Woche einen herausragenden Tweet, versehen mit einem Kommentar (wobei "herausragend" nicht als Qualitätsurteil zu verstehen ist.)

2475 Tweets später wissen wir ein wenig besser über die Persönlichkeit von Donald Trump Bescheid.

Guten Morgen, @realDonaldTrump

Die meisten Tweets werden zwischen 7 und 8 Uhr morgens Ortszeit abgesetzt. Außerdem twittert Trump an Werktagen öfter als am Wochenende. Der US-Präsident lässt keinen Zweifel daran, dass er die kleinen Botschaften an die Welt als Teil seines Jobs ansieht.

Großartig, schrecklich, traurig

Trump bewertet alles nach einem simplen Raster. Am öftesten, exakt 456 Mal, jubelte er, etwas sei "great" (wobei etwa die Steigerung "GREAT GREAT GREAT" für den Bundesstaat Ohio am 13. November 2016 nur ein Mal gezählt wird).

Dagegen urteilte er 38 Mal "sad", was in seiner Sprache oftmals als abwertend zu verstehen ist -wenn er sich etwa über "linke Aktivisten" ärgert und mit dem Ausruf "Sad!" schließt.

Fake

167 Mal taucht diese Schmähung in den Tweets eines Jahres auf. Trump richtet sie gegen Berichte, die ihm nicht passen, gegen ganze Medienhäuser oder generell gegen die "Fake News"-Medien. Diese Medienkritik, wenn man Trumps Ausbrüche so nennen möchte, ist eines der Lieblingsthemen des Präsidenten.

Sachliche Bemerkungen gehören nicht zu den Vorlieben des Polterers. In 1349 Tweets, also fast in jedem zweiten, findet sich ein Rufzeichen.

Böse

@realDonaldTrump dient dem Präsidenten auch als Werkzeug, um Menschen öffentlich zu verspotten. Eine Auswahl: "Betrügerische Hillary" "Böser (oder kranker) Typ" (über seinen Vorgänger Barack Obama) "Eine der am meisten überschätzten Schauspielerinnen Hollywoods" (über Meryl Streep) "Clown" (über Chuck Schumer, Senator) "verrückt" (über Bernie Sanders, Senator) "kleiner Raketenmann" (über Kim Jong-un , Nordkoreas Diktator).

Pst!

Wenn Trump einmal einen ganzen Tag lang nicht twittert, ist auch das eine Nachricht. Am 15. April dieses Jahres etwa blieb @realDonaldTrump stumm. Nachforschungen der "LA Times" ergaben, dass der Präsident an diesem Tag in seinem Resort in Mar-a-Lago Golf spielte. Ganze elf Minuten, von 18:49 Uhr bis 19 Uhr, war Trumps Twitter-Account am 2. November nicht aufrufbar.

Ein Twitter-Mitarbeiter hatte an seinem letzten Arbeitstag die Kommunikationsverbindung zwischen dem mitteilungsbedürftigen Politiker und seinen Followern gekappt. Die "Washington Post" dokumentierte jede Minute des Blackouts ausführlich.

Kalter Tweet

Via Twitter wurde - zumindest bisher - noch niemandem der Krieg erklärt. Donald Trump kam einem solchen Akt am 23. September dieses Jahres aber schon recht nahe, als er der nordkoreanischen Führung in einem Tweet drohte, sie werde "nicht mehr lange da sein".

All das weiß die globale Follower-Gemeinde von @realDonaldTrump jetzt. Doch vieles, was anfangs unerhört schien, nutzte sich mit fortlaufender Timeline ab und wurde zur immergleichen Pose. Trump fordert für den Terroristen, der in New York am 1. November acht Menschen getötet hat, die Todesstrafe, obwohl er weiß, dass es sie in diesem Bundesstaat nicht mehr gibt. Er tobt gegen Medien wie CNN, NBC, "New York Times" und "Washington Post", aber das hat längst keinen Neuigkeitswert mehr -und deshalb auch keinen Effekt. Trumps Ausbrüche sind wie die Beschimpfungen eines Ehepaars, die aus der Nachbarwohnung durch die Wände dringen: peinlich, aber man ignoriert sie.

Russel Neiss, ein Software-Ingenieur aus St. Louis, hat einen Twitter-Bot eingerichtet, der automatisch jeden Tweet des US-Präsidenten mit einem formellen Layout des Weißen Hauses versieht. Der Effekt: Je ungehobelter der Tweet, umso lächerlicher wirkt er. James Carafano, Vize-Präsident der Heritage Foundation, eines konservativen US-Thinktanks und Mitglied des Trump- Übergangsteams, erzählte bei einem Wien-Besuch vor ein paar Wochen, dass die südkoreanische Regierung Trumps Twitter-Account penibel analysiert habe. Kürzlich habe er ein Regierungsmitglied gefragt, ob sie das immer tun würden. Die Antwort: Nein, was für eine Zeitverschwendung!

profil schließt sich dieser Sichtweise an und stellt den wöchentlichen Trump-Tweet auf seinen Seiten jetzt ein. Es war anfangs lustig, verblüffend und ernüchternd , aber jetzt ist es genug.

Hillary Clinton postete am 9. Juni 2016 an @realDonaldTrump folgenden Tweet: "Löschen Sie Ihren Account." Den retweeten wir.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur