Belarus: Nachbar in Not

Belarus erlebt derzeit die größten Proteste seiner Geschichte. Hunderttausende Menschen sind zuletzt gegen den Autokraten Alexander Lukaschenko auf die Straße gegangen. Der Langzeitherrscher steht unter Druck wie noch nie in seiner 26-jährigen Amtszeit. Ein Hauch von Revolution liegt in der Luft.

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Wie der Machtkampf zwischen Regimegegnern und Lukaschenko ausgeht, hängt stark von einem Faktor ab: Russland. Viel wurde über eine mögliche Intervention Moskaus spekuliert, sollte Lukaschenko stürzen. Dieser forderte militärische Bruderhilfe aus dem Osten an. Aus Moskau hieß es, bei einer "Militärintervention von außen" wäre man bereit, Hilfe zu leisten. "Die Belarussen müssen ihre Probleme selbst lösen", legte ein Kreml-Sprecher nach.


Doch im Kreml sind Worte das eine und Taten das andere. Tatsächlich gibt es einiges, was gegen eine Intervention aus Moskau spricht. Die Trennlinien verlaufen hier, im Unterschied zur Ukraine-Krise der Jahre 2013/14, nicht entlang einer diffusen Orientierung Richtung EU oder Russland. Bei den Protesten in Belarus spielen geopolitische Fragen keine Rolle. Der Preis für Putin wäre zu hoch - aus rationaler Sicht. Dennoch schrillten bei Beobachtern die Alarmglocken, als die russischen Staatsmedien nun dazu übergingen, den Aufstand in Belarus in eine historische Reihe mit "Farbrevolutionen", etwa in Georgien, Kirgisien oder der Ukraine, zu stellen. Diese Form der Propaganda war 2014 die Vorstufe zur militärischen Operation im Nachbarland gewesen. Derweil wird ein anderes Szenario zum Vergleich herangezogen: der friedliche Machtwechsel in Armenien 2018, den Russland nicht militärisch behindert hatte. Zuletzt standen Lukaschenko und Putin, bei aller öffentlich zelebrierten Brüderlichkeit, im Dauerclinch. Die Zeiten von "Öl gegen Küsse" - freundschaftliche Gesten aus Minsk gegen billige Rohstofflieferungen aus Moskau - sind vorbei. Doch Russland bleibt der wichtigste Partner für Belarus, politisch wie wirtschaftlich. Und Moskau will Belarus innerhalb seiner Einflusssphäre behalten. Nur wie? Die Analystin Tatjana Stanowaja vom Carnegie Moscow Center glaubt, dass Putin Lukaschenko noch braucht, um einen "geordneten Übergang" zu einem Nachfolgekandidaten zu schaffen - aus Moskauer Sicht die bessere Variante als ein völliger Kollaps des Systems Lukaschenko.