Die Wahlschlappe von Merz ist ein Sieg für die AfD
Es war ein turbulenter Vormittag im Bundestag, dem deutschen Parlament. So etwas gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Kaum jemand hat damit gerechnet
Was ist passiert?
Eigentlich hätte der Christdemokrat Friedrich Merz heute zum neuen Bundeskanzler gewählt werden sollen. Nach den Sieg bei den letzten Wahlen führte er Sondierungsgespräche mit den Sozialdemokraten (SPD). Der Koalitionsvertrag war unterzeichnet, das Kabinett gebildet. Olaf Scholz wurde am 5. Mai offiziell als Bundeskanzler verabschiedet. Posten für Minister und Ministerinnen standen fest. Morgen, Mittwoch, wollte Merz seine ersten Antrittsreisen nach Paris und Warschau antreten.
Jetzt der Paukenschlag. Merz ist im ersten Wahldurchgang am Dienstagvormittag gescheitert. Er erhielt in geheimer Abstimmung 310 Ja-Stimmen und damit sechs weniger als die nötige Mehrheit von 316.
Das ist ein Novum. Nach einer siegreichen Bundestagswahl und erfolgreichen Koalitionsverhandlungen gab es noch nie einen designierten Kanzler oder eine Kanzlerin, die bei der Wahl im Bundestag gescheitert ist.
Noch heute Nachmittag soll es einen zweiten Wahldurchgang geben.
Auch wenn Merz am Ende doch zum Kanzler gewählt wird: Der Schaden ist groß. Seine neue Regierung steht vor einem holprigen Anfang. Sie muss bei künftigen Abstimmungen stets damit rechnen, dass Abweichler in den eigenen Reihen Beschlüsse torpedieren. Dabei wollte Merz der Welt eigentlich das Gegenteil signalisieren und sich auch als ein außenpolitischer Kanzler in Stellung bringen. Insbesondere die europäischen Partner warteten auf eine handlungsfähige Regierung in Berlin. Ausgerechnet in diesen herausfordernden Krisenzeiten, wo Europa nach der Wahl von Donald Trump wehrhafter werden muss, fehlt dieses politische Signal aus Berlin. Oder zumindest verzögert es sich.
Abweichler aus der SPD?
Die Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD haben zusammen 328 Sitze im Parlament. Für eine Mehrheit hätte Merz 316 Stimmen gebraucht. Er bekam aber nur 310.
Wer sind diese 18 Abweichler? Und was war ihre Motivation?
Herausfinden wird man das vielleicht nie, weil die Abstimmung eine geheime Wahl ist. Es mag auch die eine oder andere Stimme in der Union dabei gewesen sein, auch wenn das eher unwahrscheinlich ist. Die Wahlschlappe lässt sich vor allem mit der Frustration in den SPD-Reihen erklären.
Viele Sozialdemokraten tragen Merz bis heute nach, dass er im Januar mit Stimmen der rechtsextremen AfD für einen CDU-Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik stimmte. Dieser sah unter anderem mehr Zurückweisungen an den deutschen Grenzen sowie konsequentere Abschiebungen vor.
Die mangelnde Fraktionsdisziplin und fehlende Geschlossenheit könnte auch damit zusammenhängen, wie der designierte Vizekanzler und Finanzminister Lars Klingbeil die Ministerposten verteilt hat. Trotz eines katastrophalen Wahlergebnisses hat er es geschafft, zum stärksten Mann der Sozialdemokraten aufzusteigen. Im Zuge der Sondierungsgespräche führte er einen knallharten Machtkampf, auch gegen die Co-Chefin Saskia Esken. Eigentlich hätte sie Entwicklungsministerin werden wollen, kam letztendlich aber nicht zum Zug. Auch andere SPD-Urgesteine, darunter Hubertus Heil, bisher Arbeitsminister, werden dem künftigen Kabinett nicht angehören. Ein weiterer Name ist Karl Lauterbach, bisher Gesundheitsminister. Gut möglich also, dass sich die mangelnde Parteidisziplin mit diesem Ringen um das SPD-Spitzenpersonal erklären lässt.
Klingbeil steht jetzt vor der Herausforderung, seine Fraktion beim zweiten Wahlgang heute Nachmittag auf Kurs zu bringen. Ihm bleiben dafür nur wenige Stunden.
Wasser auf den Mühlen der AfD
Sicher ist: Die Verzögerung ist schon jetzt ein Schlag ins Gesicht von Merz. Unklar ist, ob er seine für Mittwoch geplanten Antrittsbesuche in Paris und Warschau wird wahrmachen können. Innenpolitisch stärkt seine Wahlschlappe die Rechtsextremen, die sich einmal mehr in Stellung bringen. Die Vorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD), Alice Weidel, forderte Merz zum Rücktritt auf und schlägt Neuwahlen vor. In Umfragen liegt ihre Partei mit der Union gleichauf
Merz wollte auch deswegen schnell und stabil regieren, um den Vormarsch der Rechtspopulisten zu stoppen – in Deutschland und darüber hinaus. Dieses Signal ist vorerst ausgeblieben.