Unsichere Schwangerschaftsabbrüche: "Eine vernachlässigte medizinische Krise"

Unsichere Schwangerschaftsabbrüche sind eine der häufigsten Todesursachen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt. Medizinanthropologin Doris Burtscher forschte dazu für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen im Kongo.

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profil: Als Medizinanthropologin forschen Sie für Ärzte ohne Grenzen in unterschiedlichen Regionen der Welt. Was machen Sie da? Burtscher: Mein erster Einsatz war in Mauretanien. Dort sollte ich erforschen, was die Bevölkerung wirklich an medizinischer Versorgung braucht. Meist werde ich angefordert, wenn unsere Teams vor Ort auf bestimmte Situationen stoßen, die Fragen aufwerfen. Zum Beispiel, wenn die Menschen einfach zu spät oder gar nicht ins Krankenhaus kommen. Es geht um ein besseres Verständnis zwischen dem Personal und den Patienten. Die Leute freuen sich immer, wenn jemand kommt und ihnen zuhört.

profil: Wie gehen speziell Frauen in Ländern mit schlechter Versorgung mit Gesundheitsproblemen um? Burtscher: Es kommt darauf an, in welchem Land die Frau lebt, ob sie eher in der Stadt oder am Land wohnt. In dörflichen Strukturen werden solche Probleme meist in der Familie besprochen. Dann geht es natürlich um die finanzielle Situation. Oft muss für den Besuch in einem staatlichen Krankenhaus Geld aufgetrieben und manchmal sogar eine Ziege oder ein Huhn verkauft werden. In den Einrichtungen von Ärzte ohne Grenzen ist die Hilfe kostenlos, aber für viele ist allein die Anreise eine Herausforderung. Viele Frauen wollen oder können ihre Kinder nicht allein lassen, oder haben keine Betreuung für sie und können deswegen nicht kommen.

profil: Sind die Frauen auch skeptisch? Burtscher: Natürlich spielt es eine große Rolle, welche Erfahrungen die Frauen bisher mit der Gesundheitsversorgung gemacht haben. Wir sind da schon auch selbstkritisch und wollen, dass sie sich bei uns wohlfühlen. Viele fühlen sich im Krankenhaus ausgeliefert, während sie zu Hause von anderen Frauen unterstützt werden. In Niger haben wir zum Beispiel erlaubt, dass die eigene Hebamme auch mit ins Krankenhaus kommen kann. Die Frauen haben oft auch Angst in ein Krankenhaus zu gehen, weil sie fürchten, zurechtgewiesen zu werden, weil sie zum Beispiel zu einem Heiler gegangen sind. Diese Heiler spielen am Land immer noch eine große Rolle, wenn auch nicht mehr eine exklusive.

profil: Ist die Trennung zwischen traditionellen Strukturen vor Ort und der Schulmedizin hier hinderlich? Burtscher: Die Frauen nutzen nach bestem Wissen und Gewissen, was ihnen zur Verfügung steht. Natürlich gibt es Krankheiten, die man nur mit schulmedizinischen Methoden behandeln kann. Die Heiler spielen eine oft vielfältigere Rolle, die bei uns vielleicht ein Psychologe einnehmen würde.

profil: Gibt es besonders bei Themen wie Menstruation, Verhütung oder Schwangerschaftsabbruch noch viele Tabus? Burtscher: Auch wenn es viele Hindernisse gibt, ist es den Frauen schon ein Anliegen zu uns zu kommen - vor allem zu vor- und nachgeburtlichen Untersuchungen. Das hat sich sehr verbessert.

profil: Sie haben im Kongo zu Schwangerschaftsabbrüchen geforscht. Was haben Sie dort erlebt? Burtscher: Wie in vielen Ländern finden Schwangerschaftsabbrüche dort unter sehr unsicheren Umständen statt, weil sie offiziell verboten sind. Die Frauen sind verzweifelt, die Männer machen sich aus dem Staub. Viele Mädchen lassen sich zum Beispiel mit älteren Männern ein, damit diese ihnen den Schulbesuch finanzieren, werden dann aber allein gelassen, sobald sie schwanger sind. Wollen sie eine Abtreibung, werden sie von den Ärzten weggeschickt und kommen dann mit den Konsequenzen einer unsicheren Abtreibung wieder – seien es Blutvergiftung, eine Überdosis Schmerzmittel, Äste in der Vagina oder gar Batteriesäure. Es handelt sich um eine vernachlässigte medizinische Krise. Unsichere Schwangerschaftsabbrüche sind eine der fünf häufigsten Todesursachen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt.

profil: Führt Ärzte ohne Grenzen auch selbst Schwangerschaftsabbrüche durch? Burtscher: Unsere Prioritäten sind in erster Linie die Verhütung und die Hilfe bei Komplikationen nach unsicheren Abtreibungen. Aber in Notfällen führen wir auch medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche durch. Die Nachfrage ist auf jeden Fall da, und viele Menschen mit denen ich gesprochen habe denken, dass eine Legalisierung nötig wäre. Denn natürlich gibt es im Kongo auch massive sexuelle Gewalt. Ein Mädchen, das ich dort kennengelernt habe, wurde zwei Mal vergewaltigt und wurde schwanger. Ihre Eltern mieden sie deswegen. Ihre Tante hat sie dann überredet, das Kind zu bekommen. Die Mädchen dürfen, wenn sie schwanger sind, aber nicht mehr in die Schule. Wie soll das Leben für sie weitergehen? Die Stigmatisierung einer vergewaltigten Frau und sogar des Kindes ist oft extrem. Wir bieten in solchen Fällen psychologische Beratung an.

profil: Wie sehen Sie angesichts dessen die Diskussion über Schwangerschaftsabbrüche in Österreich? Burtscher: Natürlich gibt es in den meisten Ländern, in denen wir arbeiten, auch viele Menschen, die gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen negativ eingestellt sind. Die Realität ist aber eine andere. Allein 2017 hat Ärzte ohne Grenzen 23.000 Patientinnen mit Verletzungen, die durch unsichere Abtreibungen zustande gekommen sind, behandelt. Die Situationen der Frauen sind oft ausweglos. Die Diskussion in Österreich zu hören, fällt mir dann schwer. Dass diese Rechte bei uns wieder eingeschränkt werden sollen, ist einfach unglaublich.

Doris Burtscher, 53, hat in Ethnomedizin promoviert. 2001 war sie zum ersten Mal für Ärzte ohne Grenzen unterwegs. Seit Oktober 2011 ist sie als Medizinanthropologin Teil der "Evaluation Unit" und unterstützt die Organisation mit Studien zur kulturellen Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit sowie den Umgang damit.